Hazlewood: Der Mann, der für einen Knopf verkauft wurde

Hazlewood der Mann der für einen Knopf verkauft wurdeDie Begegnung der europäischen Entdeckernationen mit den Ureinwohnern fremder Kontinente war von heute aus gesehen eine Anlass zum Fabulieren, zum Fabulieren darüber, was der Mensch ursprünglich war, ist und sein soll. Im Hinblick auf diese Frage lassen sich von heute aus gesehen, grob gesagt zwei Schulen unterscheiden: die Diderot Schule, deren Adepten in freier Interpretation der Entdeckungsreisen einfach die Ideologie von Rousseau auf die Erkenntnisse von Bougainville und Cook übertrugen und den Wilden zum „edlen Wilden“ erklärten. Die andere Schule kann man mit dem Namen Darwin verknüpfen, der beim Anblick der Yamana Indianer in Feuerland sich entsetzt abwandte und für den es selbstverständlich war, dass nur Erziehung und Religion diese tierähnlichen naturwesen dem vollen Niveau menschlicher Humanität näherbringen würde.
Die Geschichte des Yamanaindianers Jemmy Button, so wie sie der englische Autor Nick Hazlewood in dem vorliegenden Buch beschreibt, ist oft als eine Probe aufs Exempel auf diese Frag gelesen worden. Jemmy Button ist der englische Name des Yamana-Jungen Orenddellicos, den Kapitän FitzRoy im Mai 1830 aus der Wulaia Bay, einem Seitenarm des Beagle Kanals einfach entführte und zusammen mit drei anderen Feuerlandindianer nach England brachte, um sie dort in die englische Sprache, die einfachen Wahrheiten des Christentums“ und grundlegende Techniken in Ackerbau und Viehzucht zu lehren. Jemmy Button lernt rudimentär Englisch, liebst pfauenhafte Kleidung und scheint sogar, so der Bericht der Pädagogen am Ende einer einjährigen Grundschulzeit, für die höheren Wahrheiten der Religion empfangsbereit. Vor allem dass er, der geborene Kannibale sogar Gemüse isst, will man als gutes Zeichen werten.
Ende 1831 sticht die Beagle wieder in See, ihr Auftrag ist die Kartografierung des östlichen Feuerlands und die Erkundung der gerade erst endeckten Beagle-Straße. Mit an Bord sind nicht nur der junge Charles Darwin (22) sondern auch die drei Feuerländer. Im Januar 1833 kommt die Beagle wieder in der Wulaia Bay an, Jemmy sieht seinen Bruder, seine Mutter und seine Schwester wieder, und alle wundern sich über die geringen Emotionen, die dabei sichtbar werden. Als Beagle 13 Monate später, im März 1834, noch einmal in Wulaia Bay ankert, erwartet die Engländer eine böse Überraschung. Wulaia ist verlassen, Jemmy taucht völlig verwildert in einem Boot auf und erzählt, dass ihm alles gestohlen wurde. Im Bewusstsein, dass das Experiment gescheitert ist, segeln FitzRoy und Darwin weiter und überlassen Jemmy seinem Schicksal.
Die weitere Dynamik der Geschichte entzündet sich an dem Wunsch britischer Protestanten, die „Wilden“ Feuerlands zu missionieren und zu erlösen. Alan Gardiner, ein bemerkenswert glaubensstarker und zugleich inkompetenter Missionar macht sich nach schlechten Erfahrungen beim Zulus König Dingaans in Südafrika in den vierziger Jahren nach Feuerland auf, wo er Jemmy Button sucht, um ihn für die Missionierung der Indianer einzuspannen. Er wird mehrfach ausgeplündert und kann nur mit Mühe und Not sein Leben retten. Schließlich erscheint er mit zwei Barkassen und einigen ebenfalls durchgeknallten Getreuen vor Lennox Island, strandet und verhungert.
Als im November 1855 die „Alan Gardiner“, ein Schiff der patagonischen Missionsgesellschaft, in der Wulaia Bay auftaucht, ist Jemmy Button noch da, dreckig, launisch wie immer, nur eben älter und mit Familie bestückt. 1858 erscheint die „Alan Gardiner“ zum zweiten Mal in der Wulaia Cove und überredet diesmal Jemmy Button und seine Familie zur weiteren Unterweisung mit zur Missionsstation auf Keppel Island auf die Falklandinseln zu kommen. Dort zeigen sich die Feuerlandindinaner allerdings von ihrer faulen, diebischen und cholerischen Seite. Bald ist ihnen ihre neue Heimat verhasst, und sie können ihre Rückkher nach Feuerland kaum erwarten. 1859 bringt die „Alan Gardiner“ neun neue Feuerländer mit nach Keppel Island, deren Aufenthalt ein einziges Desaster wird. Zuerst schlachten sie einen Teil der mühsam etablierten Pinguinkolonie, dann verursachen sie ein Feuer, das fast die gesamt Missionsstation verwüstet. Sie klauen wie die Raben, wollen weder lernen noch arbeiten, sind aber stinkesauer, wenn man sie beim Diebstahl erwischt. Als die Indianer Ende 1859 nach Feuerland zurückgebracht werden, zeigt Jemmy Button offen seinen Unmut über die seiner Ansicht nach unzureichenden Geschenke. Nur wenige Tage später kommt es zu einem eruptiven Gewaltausbruch, bei dem die sechs Matrosen, Kapitän Fell und der Missionar erschlagen werden. Allein der Koch, Alfred Cole, der sich gerade auf der Alan Gardiner befindet, überlebt. Als Augenzeuge berichtet er in Falkland von dem Massaker, identifiziert Jemmys Bruder als einen der Mörder und Jemmy selbst als Anstifter. Um das ganze Projekt nicht in der Öffentlichkeit herabzusetzen, wird Jemmy in einem Prozess auf Keppel Island freigesprochen. In England schlägt der Fall aber hohe Wellen, ohne dass es zu einer Klärung kommt
Soweit im Wesentlichen die Handlung des vorliegenden Buches. Es ist gut lesbar geschrieben, sorgfältig recherchiert und mit zahlreichen Originalzitaten versehen. Nur bei seiner Gesamtbeurteilung haut der Autor vielleicht ein wenig zu sehr auf die politisch korrekte Pauke. Obwohl sein Buch voller Belege für die Heimtücke und Raffgier der Indianer ist, scheint ihm dergleichen als kulturell angepasste Folklore verständlich. Am Ende läuft seine These sage und schreibe darauf hinaus, dass der Mord an den acht Briten eine Folge der englisch-britischen Überheblichkeit und der Härte war, mit der sie die Diebstähle der Indianer ahndeten. Jemmy Button wird am Ende ein groteskes Nachwort zuteil, in dem als Opfer dargestellt und von allen Vorwürfen freigesprochen wird.
Fragt man im Sinne der einleitenden Frage „Darwin oder Rousseau“ noch einmal nach der Moral von der Geschicht‘ ergibt sich ein grotesker Befund. Bein allen Vorbehalten gegen die zeitbezogene Engstirnigkeit der Missionsbemühungen kann ihnen doch der humanitäre Impetus nicht abgesprochen werden. Auch in Bezug auf die Notwendigkeit der Zivilisierung geben alle Fakten Darwin recht, doch der Autor stülpt den Fakten einfach eine rouseausche Narrenkappe über. Und zwar so offensichtlich quer zu allen von ihm selbst berichteten Tatsachen, dass man fast an Ironie glauben möchte.Hazlewood der Mann der für einen Knopf verkauft wurde

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