Andrej Wolos: Churramobod

Russe zu sein, war in den Letzen hundert Jahren kein Vergnügen. Nicht nur, dass der kommunistische Totalitarismus viel länger dauerte als der nationalsozialistische und dass er dem russischen Volk viel mehr Opfer abverlangte als selbst der deutsche, nicht nur, dass es in einhundert Jahren Geschichte praktisch keine „helle“ Periode gab, keine Zeit der Blüte und des Aufschwungs – die Russen erlebten außerdem nach dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums eine Demütigung sondergleichen. Ungeachtet ihrer zahllosen Missetaten als größtes Volk Europas haben sie am Ende die Völker ohne große Kriege in die Freiheit entlassen. Das Imperium implodierte und ließ zig Millionen Russen in fremden Ländern zurück. Dort leben sie nun als ungeliebte Minderheit, werden diskriminiert und geächtet, ehe sie in die nach Russland zurückkehren. Davon handelt dieses Buch.

Ort der Handlung ist der fiktive Ort Churramobod, eine Stadt irgendwo in Tadschikistan oder einer der Nachbarrepubliken, in den in den Dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts immer mehr Russen einwandern, auf der Flucht vor dem stalinistischen Terror im Zentrum des Landes, oder auch  in der Hoffnung, eine neue Heimat zu finden. Sie bauen ihre Häuser, heiraten, schließen Freundschaften, bekommen Kinder und betrachten schließlich Zentralasien als ihre Heimat. Bis der große Umbruch kommt, bis im Jahre 1991 sich die fünf zentralasiatischen Republiken Usbekistan, Tadschikistan, Turkmenistan, Kirgistan und Kasachstan für unabhängig erklären. Von dem schrittweisen Ausgrenzen, von dem melancholischen Abschied von der Heimat handeln die 12 Kapitel des vorliegenden Buches. Um die Wahrheit zu sagen: besonders mitreißend geschrieben sind sie nicht, und man muss schon erhebliches Interesse für die Thematik aufzubringen, um durchzuhalten.  Alle 12 Geschichten können für sich gelesen werden, sie sind nur locker chronologisch aufgereiht und biografisch hier und da miteinander verknüpft. Als Einstieg in die Thematik empfehle ich die Erzählung   „Ushik“, die Geschichte einer kleinen Natter, die sich mit einer alten Frau anfreundet und stirbt, als die Frau sich anschickt, nach Russland zurückzukehren.

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