Obama: Ein amerikanischer Traum. Die Geschichte meiner Familie

ObamaObwohl ich kein ein Obama-Fan bin und die messianische Verehrung, die dem Hoffnungsträger aus den sogenannten „aufgeklärten“ Kreisen in Europa entgegenschlug, einfach nur lächerlich finde, hat mich der selbst verfasste Lebensbericht des ersten schwarzen US-Präsidenten sofort gefesselt. Auch auf die Gefahr hin zu übertreiben: Der Erzählgestus des vorliegenden Buches erinnert an manche Bluesballaden aus dem tiefsten Düsen der USA: auf den ersten Hinhörer erscheinen sie einem einnehmend und vollkommen und erwecken das Gefühl: Ich will mehr davon!
Das Buch, das schon auf seinen ersten Seiten eine derartige Leselust erweckt, ist ein sehr persönliches Buch über Amerika. Und zwar ein Buch über Amerikas dringendstes Problem: die Rassenfrage, dargestellt anhand der Kindheit und Jugend des Autors, dessen gesamter Werdegang nach diesem Drehbuch verläuft. Im Unterschied zu vielen gerade weißamerikanischen Liberals vermeidet Obama dabei jede Larmoyanz – er erzählt abgewogen und wie es den Anschein hat, auch ehrlich, über die Rolle der Rassenfrage in seinem Leben. Ganz so schlimm war es nämlich gar nicht: Schon „Barrys“ Großmutter Toti hielt sich wegen ihrer krummen Nase viel darauf zugute eine Cherokee unter ihren Vorfahren zu haben, der Großvater war ein Rauhbein, aber vorurteilsfrei, und als Obamas Mutter, Stanley Ann, einen kenianischen Studenten namens Barack Obama (!) mit nach Hause brachte, folgte bald die Heirat. So weit so überraschend. Dann aber wieder das trübe Bild. Wie so viele schwarzamerikanische Ehemänner nahm auch Baracks Obama Senior bald Reißaus, um in Richtung Kenia zu verschwinden, wo mit einer neuen Frau sechs weitere Kinder zeugte.
Doch das Leben ging weiter. Barrys Mutter Stanley Ann heiratete bald erneut – und zwar einen indonesischen Geschäftsmann, dem sie mit ihrem kleinen Sohn nach Djakarta folgte, wo der künftige Präsident der Vereinigten Staaten mit kleinen Javanenesen in den Hinterhofstraßen von Djakarta herumtollte. Das hatte doch was. Da Barrys Schulleistungen tadellos waren, kehrte er als ungefähr 10jähriger nach Hawaii zurück, um dort unter den Fittichen der Großeltern eine angesehene Missionsschule zu besuchen. Obwohl die multikulturelle Atmosphäre Hawaiis sich wohltuend von der des Festlandes und vor allem des Südens der USA unterschied, obwohl es keine offene Rassendiskriminierung gab, empfand Barack auf dieser Schule zwischen mehrheitlich Weißen und Japanern zum ersten Mal ein unbestimmtes Gefühl der Zurückgesetztheit und Diskriminierung: „Die Schwarzen spielen immer auf dem Feld der Weißen“, ganz egal was sie tun, sie tun es in einem weiß geprägten Kontext, auch und gerade, wenn sie sich mit vorurteilsfreien Liberalen umgeben, notierte Obama. Nach dem erfolgreichen Abschluss der Schule in Hawaii studierte Barack eine Zeitlang in Los Angeles, ehe er im Jahre 1981 zur Columbia University nach New York umzog. In dieser Zeit schwankte er weltanschaulich zwischen Radikalität und Affirmation, las alle schwarzen Autoren, die damals „in“ waren, war moderat politisiert und schloss sein Studium im Jahre 1983 problemlos ab
Nach einem Jahr erfolgreicher Berufsarbeit bei einem Wirtschaftsunternehmen wurde Obama eine Art Streetworker in Chicago, wo er schnell auch die Schattenseiten der Stadtteilarbeit kennenlernte:(1) staatliche Gelder versickerten effektlos in den Aktivistenorganisationen mit lauter Nichtskönnern und Wichtigtuern (2), sog. „schwarze Bürgerrechtsorganisationen“ verlangten in ihren Vierteln Schutzgelder von Koreanern und wurden von Gangstern geführt und (3) Bürgerrechtsaktivitäten wurden daran gehindert, gegen die schwarze Stadtverwaltung Basispolitik zu machen. Dazu muss man wissen, dass damals die geballte Stimmenmacht der Minderheiten zusammen mit einer Minderheit weißer Liberaler zum ersten Mal einen schwarzen Bürgermeister in Chicago ins Amt gehievt hatte – und gegen einen schwarzen Bürgermeister kann man als Schwarzer ja wohl nicht demonstrieren. Diese Chicago-Koalition war übrigens der erste Probelauf der späteren Obama-Mehrheit, die ihm im landesweiten Maßstab später die Präsidentschaft bescheren sollte. Am Ende der Stadtteilarbeit stand allerdings der deprimierende Befund eines afroamerikanischen Amtsträgers, der auf der Grundlage lebenslanger Erfahrung dem jungen Obama Folgendes mitteilte: Ein Aufstieg der Schwarzafrikaner, so wie ihn etwa die Koreaner vorexerzierten, sei kein gangbarer Weg, denn „sieben Tage in der Woche mit der ganzen intakten Familie zu arbeiten“ sei für Schwarze „völlig unmöglich“. Immerhin gelang es dem jungen Obama die städtische Berufsbildungs- und Trainingsbehörde dazu zu veranlassen, wenigstens ein Trainingszentrum in einem Schwarzenviertel einzurichten. Was daraus geworden ist, darüber schweigt sich das Buch vornehm aus.
Der dritte Teil des Buches beschreibt den Besuch Obamas bei seiner Familie väterlicherseits in Kenia. Barack Obama (sen.) war inzwischen verstorben, doch auch die restliche Verwandtschaft, die Barack Obama (jun.) in Nairobi und Umgebung kennenlernte, war kaum noch überschaubar. Für mich war dieses Kapitel der uninteressante Teil des Buches. Ich hätte stattdessen lieber etwas über die weiteren Stufen des Obama-Aufstieges im demokratischen Parteisumpf von Chicago und über die Frage gelesen, wie man in diesem Haifischbecken nach oben kommen konnte, ohne nicht die eine oder andere Leiche im Keller verstecken zu müssen. Dass es da sicher bei näherem Hinsehen auch in der Vita des Friedensnobelpreisträgers manch Unerfreuliches zu entdecken geben wird, wird wohl ein Grund dafür sein, dass die Obama- Fans noch lange auf eine Fortsetzung des vorliegenden Buches werden warten müssen.
Trotzdem habe ich das Buch gerne und mit Interesse gelesen. Mr. Obama besitzt Humor und Selbstironie, mit denen er genau in den richtigen Dosen den Text veredelt. Inhaltlich veranschaulicht es sehr plastisch die unglaubliche Vielfältigkeit der multikulturellen Strukturen, in denen sich das amerikanische Leben abspielt. Außerdem ist es ein ehrliches Buch, das die Malaise der Schwarzen in Chicago nicht beschönigt, sondern durchaus auch die selbstgemachten Probleme inklusive der kriminellen Strukturen benennt. Und es macht Mut, denn Barack Obama selbst ist das beste Beispiel dafür, dass Diskriminierung kein Lebensschicksal bleiben muss, sondern dass auch für Schwarzafrikaner ein Aufstieg selbst bis ins höchste Amt des Landes möglich ist. Insofern karikiert es die Vulgärsoziologie gerade vieler Obama-Anhänger, die alle sozialen Übel NUR auf Benachteiligungen zurückführen wollen. Allerdings hat man fast das Gefühl, dass es Obamas deprimierende Erfahrungen in der Stadtteilarbeit waren, die den späteren Präsidenten auf den politischen Weg der puren Minderheitenpolitik und Umverteilung verwiesen, da der koreanische Weg des sozialen Aufstieges für die meisten Minderheitler nicht gangbar ist. Es war nicht zuletzt dieser politische Grundansatz, der dazu führte, dass bei der letzten Präsidentenwahl 2012 zwei Drittel der Weißen für Mitt Romney (Sie repräsentieren 80 % des Steueraufkommens) und fast alle Minderheitler für Obama stimmten. Der so sympathisch als Versöhner angetretene Präsident hat auf diese weise ungewollt das Land tiefer gespalten als jemals zuvor.

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