Berg: Charles Lindbergh. Ein Idol des 20. Jahrhunderts

Berg LindberghUnter den großen Idolen des 20. Jhdts. ragt der amerikanische Flieger Charles Lindbergh nicht nur deswegen heraus, weil er zeitweise der bewunderteste Bewohner der USA war sondern auch, weil er nur gute zehn Jahre später zum verhassten Landesverräter und einer Art „Staatsfeind No. 1“ herabsank. Eben weil Lindberghs Leben die äußersten Amplituden von Ruhm und Verachtung durchmisst, eignet es sich nach der Meinung von A.Scott Berg mehr als das der meisten anderen Schicksale dazu, die Epoche, in der er lebte, wie in einem Hohlspiegel darzustellen und zu begreifen.
Als Charles A. Lindbergh am 4.2.1902 als „Nachfahre schwedischer, englischer, schottischer und irischer Ahnen“ geboren wurde, befand sich die Luftfahrt noch in den Kinderschuhen. 1903 unternahmen die Gebrüder Wright ihren ersten 12 Sekunden-Flug, 1908 flog Louis Berrriot schon 27 km über den Ärmelkanal, und im ersten Weltkrieg jagten bereits die Jagdbomber über den Himmel der Westfront. Der junge schlaksige Lindbergh ist wie viele seiner Zeitgenossen von der Fliegerei fasziniert, er schmeißt die Ausbildung und bastelt sich aus den Überresten der amerikanischen Jägerstaffeln, die irgendwo in der Prärie herumliegen, mit enormem technischem Verständnis ein Fluggerät und kurvt als begnadeter junger Flieger-Autodidakt als eine Art Luftclown“ durch die Staaten. Als die Luftpostlizenzen in den führen Zwanziger Jahren verteilt werden, arbeitet Lindbergh als Postflieger in St. Louis, überlebt drei Abstürze und wird zu einer lokalen Berühmtheit. Mehr als eine Außenseiterchance wird ihm aber nicht eingeräumt, als sich die Fliegerasse der Welt daran machen, einen Direktflug von New York nach Paris ( oder umgekehrt ) zu absolvieren, um damit den mit 25.000 Dollar dotierten „Orteig Preis“ zu gewinnen. Doch Lindberghs Konzept eines Alleinfluges in einer nur für diesen Flug um ihn herum konzipierten Maschine geht auf: im Mai 1927 gelingt ihm zum Staunen der Welt in 36 Stunden der Ein-Personen-Direktflug zwischen NY und Paris. Die Verhältnisse dieses Fluges kann man sich dabei kaum primitiv genug vorstellen: als sich Lindbergh kurz vor Europa in Regen und Nebel vollkommen verflogen hat, steuert er seine Maschine nur wenige Meter über dem Meeresspiegel an einem Fischerboot vorbei und schreit „Wo verdammt noch mal, geht es nach Irland?“ Mit einer Ankunft in Paris ist Lindbergh dann auf einen Schlag weltberühmt. Wohin er auch kommt, „gebärden sich die Menschen als sei über das Wasser gegangen als darüber geflogen“ (Berg) , eine nie gekannte Massenmanie macht ihm zu Idol der Epoche. Damit endet der erste Teil des Buches (1902-27).
Teil 2 beschreibt die Mitarbeit des nunmehr berühmtesten Fliegers der Welt am Aufbau der transkontinentalen Post- und Passagierrouten in den USA. Er fliegt durch die ganze Welt als Botschaften des Friedens, er heirat die steinreiche Anne Morrow, ehe sich plötzlich sein bisher so märchenhaftes Leben ins Tragische wendet. Der deutsche Serienkriminelle Bruno Richard Hauptmann entführt und ermordet das gerade erst ein Jahr alte Lindbergh Baby und beteuert trotz erdrückender Indizien seine Unschuld. Eine gewissenlose Massenpresse ergreift Partei für den vermeintlichen Underdog, es kommt zu Drohungen und Ausfällen gegen Lindberghs Familie so dass Lindberg schließlich im Dezember 1935 die Vereinigten Staaten verlässt um sich in England niederzulassen.
Damit endet der zweite Lebensabschnitt (1927-35) und auch der dritte (1937-45) sollte nicht erfreulicher werden. Denn in Europa begegnet Lindbergh dem Irrtum seines Lebens, dem wieder erstarkten Deutschland, dessen äußeren Erscheinung und immense Leistungsfähigkeit ihn tief beeindruckt. Vor allem der Stand der Luftrüstung verblüfft den hofierten Gast der Nazi-Regierung, er lobt die deutsche Akkuratesse und Ordnung und verschließt so weit es nur geht, die Augen vor den antisemitischen Exzessen des Dritten Reiches. Seine europäischen Reisen und seine Regierungskontakte, der er noch immer im Auftrag der amerikanischen Regierung unternimmt festigen in ihm bald die Einsicht, dass allein das wieder erstarkte Deutschland innerhalb Europas in der Lage ist, der Herausforderung des totalitären Kommunismus die Stirn zu bieten. So wird er Schritt für Schritt zum führenden Gegner der Rooseveltschen Kreigseintrittspolitik, und je mehr er sich in dieser Rolle einbringt, desto mehr verhöhnt ihn die offiziöse Presse als „Nazi-Baby“ und „Landesverräter“. Der amerikanische Autor Nikolas Baker hat erst 2009 in seinem Buch „Menschenrauch“ der Lindberghschen Position vom Standpunkt eines entschiedenen Pazifismus aus Gerechtigkeit wiederfahren lassen, aber daran war 1941 nicht zu denken. Mehr noch: als die USWA endlich in den Krieg eintraten, hatte Lindbergh sogar Schwierigkeiten, sich mit seinen überragenden technischen Fähigkeiten einzubringen
Der vierte und kürzeste Teil des Buches(1945-75) beschreibt Lindberghs Leben und Wirken von seiner Zeit als Besatzungssoldat im zerstörten Deutschland, als Vorstand der PanAm bis zu seinem Leben auf Hawaii, wo er im Frühjahr 1975 verstirbt. Lindbergh erlebte noch wie die Luftfahrt zu einer der bedeutendsten Industrien der Erde wurde und wie der Flugverkehr die Welt zum ersten Mal wirklich zu einer Einheit werden ließ. Bis in seine späten Jahre blieb er eine Legende der Zeitgeschichte, aber seine vermeintliche Nazi-Nähe wurde ihm nie ganz verzeihen. Noch vor wenigen Jahren wärmte Philip Roth mit seinem fiktiven Roman „Verschwörung gegen Amerika“ dieses Missverständnis, wenngleich nicht besonders gelungen, auf.
Scott A. Berg hat für die vorliegende meisterhafte Biographie mit Recht den Pullitzer-preis erhalten. Auf der Grundlage einer immensen Recherche entfaltet der Auto auf epischen 650 Seiten das Panorama eines Jesus, der zum Judas“ wurde mit großer Sachkenntnis, Anschaulichkeit und sprachlicher Kraft. Uneingeschränkte Empfehlung für jeden, der sich für die amerikanische Geschichte und Mentalität interessiert.

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