Bill Clinton: Mein Leben

Clinton Mein LebenEin Buch von 1492 Seiten (!) zu lesen, ist als ob man einen Berg besteigen würde, und da ist es ein Gebot der Nächstenliebe, seinen Nachwanderern einige Tipps für diese Wanderung mit auf den Weg zu geben. Zunächst: die Wanderung respektive die Lektüre dieser Endlos-Biographie lohnt durchaus, man muss nur genügend Zeit und Interesse für eine geradezu panoramaartige Entfaltung der amerikanischen Politik im letzten Viertel des 20. Jhdts. mitbringen. Und ein Panorama in der breitestmöglichsten Form entfaltet der Herr Ex-Präsident fürwahr: von der Geburt am 19. August 1946 (Seite 9) bis zum Tsunami am 26. Dezember 2004 (S. 1462) wird jedes Ereignis erklärt, beschrieben und in das Clintonsche Weltbild eingeordnet. Dabei weiß Clinton durchaus anschaulich und unterhaltsam zu erzählen, die Stärken und Schwächen einer Persönlichkeit in wenigen Skizzen zu umreißen und er ist, was seine politischen Gegner betrifft, meistens recht fair und ausgewogen. Ein sympathischer Hang zur Selbstironie und ein feiner Witz würzen das Buch in allen Kapiteln, so dass selbst bei den verwickeltesten Feinheiten der Innenpolitik von Arkansas oder der Whitewater-Affäre keine Langeweile aufkommt. Sicher: manche Mitteilung hätte der Herr Präsident seinen Lesern ersparen können, etwa die Tatsache, dass sich Gore und Clinton beim wöchentlichen Arbeitsessen mit dem Tischgebet abwechselten(S. 783), dass er nach mehreren Wochen im Weißen Haus noch keinen Frisör gefunden hatte(S. 787) oder dass er, wenn er Nachts nicht schlafen kann, zur Bibel greift um im alten Testament zu lesen.(S. 829). Aber witzig ist auch, wenn er die Psychospiele seiner Generation mit der Babyboomen-Variante der chinesischen Tröpfchenfolter vergleicht oder sich über sich über ein Bild lustig macht, dass ihn selbst als jungen Mann mit Bart zeigt. So kann man sich also getrost auf die Lese- und Lebensreise machen, und wer auf dem weiten Weg durch fast andershalbtausend Seiten die Orientierung verliert, wird bei einem umfangreichen Register im Anhang Hilfe finden. Wir begleiten den cleveren Landjungen durch seine nicht ganz einfache Kindheit, staunen, wie schnell der kleine Bill sich in dem amerikanischen Politikzirkus als unermüdlicher Wahlkampfhelfer zurechtfindet und profiliert, ehe er schließlich selbst 1978 im Alter von 32 Jahren nach dem Amt des Gouverneurs von Arkansas greift – und gewinnt. Inzwischen ist auch schon Hillary eingetroffen, die wie eine Mischung aus Heiliger Elisabeth und Pussy Riot erscheint und von der immer nur in allerhöchsten Tönen die Rede ist. Was eventuelle Ehreverfehlungen betrifft, bleibt das Buch allerdings extrem zurückhaltend. Alle eventuellen Leichen im Keller oder Kinder in der Hinterhand verschwinden hinter der mehrfach verwendeten Universalfloskel „Ich wusste, dass ich kein vorbildliches Leben geführt hatte“, worunter sich ein jeder dann vorstellen kann, was er mag.

Pünktlich zur Hälfte des Buches, etwa auf Seite 710, ist die Präsidentschaft dann errungen, und eine ganz andere Story beginnt. Denn der neue Präsident hatte es sich zum Ziel gesetzt, das Defizit zu senken, eine allgemeine Krankenversicherung für den Durchschnittsamerikaner auf den Weg zu bringen, neue Arbeitsplätze zu schaffen und die Mittelschicht, die in der konservativen Reagan Bush Ära hatte bluten müssen, endlich zu entschädigen. Wenn man weiß, dass auch noch der Nordirland-Konflikt, der Zerfall der Sowjetunion, der Nahostkonflikt, die Massaker auf dem Balkan und der Oslo- Friedensprozess, die Intervention in Haiti, die NAFTA-Verhandlungen und das Desaster in Somalia auf der Tagesordnung standen, dann kann man sich vorstellen, welches Arbeitspensum den Präsidenten erwartete. Immer wieder staunt man über die Dichte der Entscheidungsprozesse, aber auch die Findigkeit, mit der Clinton sich als Meister der Gesten erweist, etwa, wenn er einen aidskranken Jungen im Krankhaus anruft oder die Kantine des Weißen Hauses für freiwillige Helfer öffnet. Er ist ein Meister der Rede, ein Wählermagnet, eine charismatische Figur, die tatsächlich dem Bild gleicht, das John Travolta als Jack Stanton in dem Hollywood Film „Primary Colours“ auf so kongeniale Weise entworfen hat. Alles wäre also gut, wären da nicht die bösen Republikaner, die dem Präsident gleichsam vom ersten Tag seiner achtjährigen Amtszeit im Nacken saßen und die in Clinton, der nie einberufen wurde, der ein Gegner des Vietnamkrieges gewesen war, der Marihuana „nur inhaliert aber nicht geraucht“ hatte und der eine forcierte Politik für die Minderheiten betrieb, den leibhaftigen Gottseibeiuns sahen, den es um jeden Preis aus dem Amt zu drängen galt. Trotz beachtlicher Erfolge in der Umweltpolitik und dem Defizitabbau, in der Wirtschaftsstimulierung und der Gesundheitspolitik verloren die Demokraten tatsächlich schon am Ende von Clintons erster Amtszeit ihre Mehrheiten im Kongress, so dass es den Republikanern zeitweise gelang, die Bundesverwaltung lahm zu legen. Auch die Wahl des späteren Präsidenten Geoge Bush jr. zum Gouverneur von Texas fiel in diese Phase. In der zweiten Amtszeit kamen dann nach Sonderermittler Starr, die Whitewater Affäre, Paula Jones und Monikia Levinski ins Spiel, so dass man am Ende zeitweise keinen Pfifferling mehr auf das politische Schicksal des vor aller Welt bloßgestellen Womanizers geben mochte. Doch wie immer man auch zur moralischen Vorbildfunktion des Präsidenten und der Art und Weise, wie sie in dem vorliegenden Buch dargestellt wird, stehen mag: so einfach war der Zigarrenraucher Clinton nicht aus seinem „Oral Office“ herauszubringen, und am Ende gelang es ihm sogar, seinen Verfolgern eine Nase zu drehen. Denn die Ökonomie blühte in den Clinton Jahren, die Internet-Revolution steigerte Produktivität und Einkommen, die Wirtschaft wuchs wie seit Generationen nicht mehr, so dass die Amerikaner ihrem Babyboomer- Präsidenten seine privaten Eskapaden nachsahen und seiner politischen Leistung ein insgesamt positives Andenken verwahrten So blickt Bill Clinton nach dem Ende seiner Amtszeit mit einem gewissen Recht zufrieden vom Cover des vorliegenden Buches dem Leser in die Augen, hilft ihm doch der immense Verkaufserfolg seines Buches auch dabei, die Anwaltsschulden aus seiner Präsidentschaft abzubezahlen. Und wenn es nicht reicht, wird er wahrscheinlich noch ein Buch schreiben. Und wenn es wieder so unterhaltsam ist, darf es ruhig noch dicker sein.

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