Erlanger: Richelieu

Erlanger RichelieuDer französische Kardinal Richelieu gehört zu den Gestalten, die es ihren Biographen nicht leicht machen. Seiner unbestreitbaren Intelligenz und Folgerichtigkeit stehen düstere Züge wie Grausamkeit und Härte gegenüber, so dass Richelieus Charakterbild ebenso wie das seines Zeitgenossen Wallenstein in der Geschichte mitunter ganz schön ins Schwanken geraten ist. Der französische Historiker Philippe Erlanger aber macht in dem vorliegenden Buch aus dieser Not eine Tugend, indem er dem Leser ermöglicht, das meisterhafte Kartenspiel des Kardinals zu verstehen und sich über die moralische Gnadenlosigkeit, die dahinter steht zugleich zu wundern. 1585, als Armand du Plessis, der spätere Kardinal Richelieu, geboren wurde, befindet sich das zerrissene Frankreich in der finalen Phase der Hugenottenkriege, 1642, als der Kardinal das Zeitliche segnet, hat Frankreich das drückende Übergewicht Spaniens abgeschüttelt und die ersten Schritte zu einer Hegemonie unternommen, die unter Ludwig XIV. zum goldenen französischen Jahrhundert führen wird. Dazwischen liegt ein Leben auf des Messers Schneide, eine Politikerkarriere im Schnittpunkt von Intrige, Mordanschlägen und Verleumdungen, die Richelieu an die Spitze des Staatsrates führt, von dem aus er zwischen 1624 bis 1642 die Geschichte Frankreichs und Europas bewegt. Was sind die Etappen dieses Lebens? Die Bekanntschaft mit Papst Pius V, die Lehrjahre als Bischof von Lucon, die Ermordung des Guten Hönig Henri Quatre, die Herrschaft der Concinis und deren Sturz, die Intrigen Maria von Medicis, die Launen Ludwigs XIII, die Belagerung von La Rochelle, mit der die Sonderstellung der Hugenotten in Frankreich beendet wurde, der zuerst verdeckte und dann der offene Eingriff Frankreichs in den Dreißigjährigen Krieg und am Ende der Prozess gegen Cinq-Mars und der Tod – dies alles und eine geradezu enzyklopädische Vielfalt von Personen und Ereignissen machen das vorliegende Werk zu einem grandiosen Geschichtsroman, der den Leser, der es ganz genau wissen will, von der ersten bis zur letzten Seite fesselt. Was aber ist das Ergebnis dieses großen Lebens? fragt Erlanger am Ende des Buches. Für die deutsche Geschichte ist Richelieu sicher eine verhängnisvolle Figur gewesen, der Verhinderer und der endgültige Zertrümmerer der Reichseinheit, ohne den allerdings der Aufstieg des weit östlich gelegenen Preußens langfristig nicht möglich gewesen wäre. Aber auch für Frankreich bleibt Richelieus geschichtliche Bedeutung ambivalent. Er hat den Absolutismus und den Glanz des großen Louis vorbereitet, aber er hat auch in seiner Regierungszeit die Steuern vervierfacht und das Elend des einfachen Volkes in einer so unerhörten Weise vergrößert, so dass ihn viele als einen der Ahnväter der Großen Revolution ansehen. Aber selbst die Große Revolution hat, um einen Gedanken von Toqueville aufzugreifen, sein Werk, die Einheit Frankreichs, nicht beseitigt, sondern eigentlich erst vollendet. Am Ende könnte man sagen: wenn sich je die Gefühlsarmut, Folgerichtigkeit, die Größte und Unbarmherzigkeit des Staates als solchem in einer Person verkörpert hat, dann in Richelieu. Diese Einsicht verdanke ich dem vorliegenden Buch und dafür gebe ich fünf Sterne.Erlanger Richelieu

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