Fischer Weltgeschichte Bd. 19: Das Chinesische Kaiserreich

FWG 19 ChinaManche behaupten, die Vorherrschaft des Westens seit der Epoche der Entdeckungen und Kolonialisierung werde sich rückblickend als eine Episode erweisen. So wie bis zum Beginn des 2. Jahrtausends unserer Zeitrechnung China in kultureller Hinsicht Europa weit überlegen gewesen sei, werde es schon bald wieder den Westen überflügeln und seinen angestammten Rang als Mitte und Maß der Welt einnehmen. Wie immer man diese These auch beurteilen mag, ist sie doch Grund genug, sich mit der Geschichte Chinas zu befassen. Doch das ist leichter gesagt als getan. Wie soll man sich mit hinreichend Aussicht auf Erfolg einer vier bis fünftausendjährigen Geschichte annähern? Der vorliegende 19. Band der FWG bietet die Antwort. In elf gut lesbaren und abgeschlossenen Kapiteln führen die Autoren Herbert Franke und Rolf Trauzettel den Leser von den mythologischen Anfängen der chinesischen Kultur(Kap 1 ) in das erste

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vorchristliche Jahrtausend,.  (Kap. 2). Mit der Einigung Han unter Kaiser Chin Shi Huang-ti und der Dynastie der Han beginnt dann um 220 Chinas Eintritt in die Weltgeschichte (Kap.3). Seitdem gleicht die chinesische Geschichte einem Wechsel von Einigung und Zerfall im Rhythmus der Jahrhunderte – Dynastien wie die Sui, Tang und Ming einigen das Reich, Fremdvölker wie die Mongolen, die Lia oder die Mandschus überwältigen es, um aber dann doch vom kulturell überlegenen China assimiliert zu werden ( Kap. 4-11). Und genau in dem Umfang, in dem sich China, das demographische Schwergewicht Eurasiens, einigte oder verfiel, wurde auch die Entwicklung weit entfernter Zentren beeinflusst: mit dem Sieg der Han über die Hunnen beginnt deren Westwanderung, die 375 in Europa die Völkerwanderung und das Ende des Römischen Reiches auslösen sollte. In dem Maße, in dem die sich China im 11. und 12. Jhdts spaltet wird erst die mongolische Machtentfaltung ermöglicht, und das Vordringen Russlands und Englands im 19. Jhdt. weit in die Tiefen des asiatischen Raumes hinein ist ohne den Niedergang der Mandschu-Dynastie in dieser Zeit nicht denkbar. So erscheint China als Koloss wie die Konstante der Weltgeschichte, dessen Schwäche oder Stärke über die Ausdehnung oder Einengung anderer Zentren entscheidet.
Das ungemein dicht geschriebene Buch macht diesen Pulsschlag der asiatischen Geschichte von Kapitel zu Kapitel auch im Hinblick auf seine Auswirkungen auf die Gegenwart recht plausibel. So ist das gegenwärtig imperial überdehnte Großchina mit seinen fremdländischen Provinzen Xingjang und Tibet eine direkte Frucht der Mandschau Zeit, die diese Randgebiete erst in das Chinesische Kaiserreich inkorporierte ( was für die Kommunisten dann eine willkommene Rechtfertigung war, diese Gebiete wieder neu zu okkupieren).
Leider endet das Buch mit dem Sturz des letzten Kaisers am Beginn des 20. Jhdts. So fehlt die letzte und atemberaubendste Pointe der chinesischen Geschichte: die Wiederauferstehung Chinas im 20. Jhdt. und sein wahrscheinlich bald folgender Griff nach der Weltmacht in unserer Zeit. Trotzdem ist das Buch von der ersten bis zur letzen Seite mit Gewinn zu lesen, auch weil sich die Autoren um einen verständlichen Stil bemühen. Ein ausführliches Inhaltsverzeichnis und ein monumentales Register runden das Buch ab. Einschränkend aber muss bemerkt werden, dass dieses kompakte und recht handliche Werk wie bei allen Ausgaben der Fischer Weltgeschichte mit einem so kleinen Schriftbild geschlagen ist, dass niemand das Buch auf Dauer wird ohne Brille lesen können. Auch die dürftige Taschenbuchverleimung hält mit seinem wuchtigen Inhalt nicht schritt – wer das Buch etwa auf einer Chinareise anhaltend zu Rate zieht und öfters in ihm blättert, wird bald seine Einzelteile in der Hand halten. Deswegen beziehen sich die fünf Sterne, die ich dem Buch gebe, nur auf seinen Inhalt, nicht auf seine Aufmachung.

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