Freund: Die große Revolution in England

Freunjd Die große Revolution in EnglandIn England gingen die Uhren immer schon anders. Die Leute fahren links, essen Rührei mit Speck zum Frühstück und haben als erstes europäisches Kulturvolk im 17, Jhdt. ihren König gestürzt und eine parlamentarische System auf die Beine gestellt. Bisher hat man dies immer im Duktus der Anerkennung zur Kenntnis genommen, doch das vorliegende Buch ist dazu geeignet, zumindest den dritten Aspekt, die englische Revolution, in ein völlig neues Licht
einzutauchen. Gemeinhin firmiert die englische Revolution unter den positiven Ereignissen der an Trübsal so reichen europäischen Geschichte. Unter der Leitung einer Gruppe wackerer Freiheitskämpfer verhinderte das englische Parlament den Aufbau jenes Absolutismus, der zur gleichen Zeit in Kontinentaleuropa so unaufhaltsam auf dem Vormarsch war.

Was aber sind Michael Freuds neue Perspektiven? Zunächst rückt er das Dilemma der englischen Monarchie in das Licht der Wirtschaftsgeschichte: es war die große Inflation des 16. Jhdts., die die englischen Könige immer klammer werden ließ. Am Rande der Pleite versuchte Karl I (1628-1649) durch die Erhebung neuer Zölle und Schiffsanleihen sich eine Geldquelle am Parlament vorbei zu besorgen. Sodann waren es die ethnischen, kulturellen und religiösen Aversionen der Engländer, Iren und Schotten, der drei Reiche auf den britischen Inseln, deren Gegeneinander zur großen Revolution führte. Und schließlich erscheinen die englischen Revolutionäre um John Pym alles andere denn als eine konsensuelle Idealistentruppe sondern sie agieren als eine untereinander verschwippte Sippe von Großgrundbesitzer, d. h. als eine Erbengemeinschaft jener Neureichen, die sich unter Heinrich VIII den größten Teil des katholischen Kirchengutes unter den Nagel gerissen hatten und die nun nach der ganzen Macht griffen. Vor allem der weithin so hoch geachtete Parlamentarier John Pym erscheint in diesem Kontext als Ausgeburt der Machtgier und Bösartigkeit, die nicht nur zum Justizmord an Lord Strafford sondern auch zum Ausbruch des englischen Bürgerkrieges beitrugen.

Das sind die neuen Grundfarben, mit denen der Autor Michael Freud ein sehr ungewöhnliches Portrait der Epoche zeichnet. Seinen besonderen Reiz aber bezieht das Buch auch aus seiner geradezu poetischen Diktion und seinem Gespür für den dramatischen Moment. Herrlich, wie der Einmarsch Karls I in das House of Parliament geschildert wird, ergreifend die Verteidigungsrede von Lord Strafford, widerlich das Gewusel all der Wendehälse und Proleten, die im Zuge der revolutionären Wirren nach oben geschwemmt werden – und schrecklich die Schilderung des irischen Aufstandes, der ab 1642 Hunderttausende von Toten forderte. All das liest sich wie ein packender Roman, der aber leider nach fünfhundert Seiten mit der Flucht des Königs aus London im Jahre 1642 abbricht. Der Aufstieg Cromwells, die Entstehung der New Modell Army und die Hinrichtung des Königs fehlen. Schade! Ich hätte noch Luft für die Lektüre eines zweiten Bandes gehabt. Aber auch in der vorliegenden Form ein absolut empfehlenswertes Buch: Geschichtsschreibung vom Feinsten, die jede historische Bibliothek bereichert.

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