Stieglitz: Die Roaring Nineties

Stieglitz die Roaring NintiesAm Anfang steht immer eine Innovation, und damit die Ahnung von Fortschritt und Reichtum. Dann kommt es zur Überfinanzierung, eine sogenannte „Kapitalblase“ entsteht, aus der heraus jede auch noch so hinrissige Idee finanziert wird. Wenn die Blase platzt, weil sich herausstellt, dass die Erwartungen die tatsächlichen Verhältnisse unrealistisch weit übersteigen, bleibt nur noch der Crash. Die Börsenkurse stürzen ein, und die Gesamtwirtschaft versinkt in einer tiefen Krise. So verhielt es sich mit dem Eisenbahnboom, dem Gründerzeitboom, dem ratenfinanzierten Konsumboom der Zwanziger Jahre und so war es nach der Meinung von Joseph E. Stiglitz, Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften und Berater der Clinton Administration, auch in der Internet Blase der Neunziger Jahre. Die Innovationen aus dem Silicon Valley verhießen nie erreichte Produktionszuwächse, überall entstanden großartige Konzepte, denen am Anfang nur eine Kleinigkeit fehlte: die Finanzierung. Woher also kam das massenhafte Kapital, dass in die Finanzmärkte strömte und die Aktienkurse der New Economy bis in astronomische Höhen hinauftrieb? Erste Antwort: sie entstand auf der Grundlage von Bilanzfälschungstricks wie etwa der Ausgabe von Aktienoptionen bei einer gleichzeitigen Vermehrung der umlaufenden Aktienmenge, was nichts weiter war als eine Verschleierung tatsächlicher Kosten und ein Betrug an den Altaktionären. Sie entstand zweitens aus der notorischen Unehrlichkeit der Analysten, die jede Schrott-Aktie empfahlen, weil sie als Angestellte von Investmenthäusern keine Aktien zerreißen durften, an deren Emission das Mutterhaus sich eine goldene Nase verdienen wollte Schließlich trug auch die Senkung der Kapitalertragssteuer das ihre zur Blasenbildung bei, denn nun war es noch lohnender auf Aktienboom zu setzen. Da auch noch zur gleichen Zeit in den USA „Deregulierung“ ( für Stiglitz der reine Horror) und die Sanierung der Staatsfinanzen angesagt war ( Stiglitz empfiehlt unverdrossenes „deficit spending“) sanken die Anleiherenditen, so dass auch von dieser Seite her jede Konkurrenz für die scheinbar unschlagbaren Aktien entfiel. Als die Kurse dann immer unglaublichere Höhen erreichten, wurden auch die Kleinanleger und die amerikanischen Pensionsfonds angelockt, weitere Milliardensummen in einen Markt zu pumpen, dessen Akteure immer grotesker überbewertet wurden. Als sogar das Ausland begann, an der Nasdaq Aktien der New Economy zu laufen, erreichte der Nasdaq schließlich seinen Traumstand von über 5000 Punkten. Manche Firmen, die noch nie auch nur einen Dollar verdient hatte, waren aufgrund nebliger Prognosen an den Börsen Milliarden Wert. Wenn die Blase ihren Scheitelpunkt erreicht, genügt oft eine Kleinigkeit, dass sie platzt und die Kurse in den Keller sausen – und mit ihnen die Alterssicherung von Millionen Amerikanern und ein Großteil der die Arbeitsplätze. Nach Stieglitz waren es Die Mega-Skandalen von Enron, WorldCom und anderen, die die Korruption im anerikanischen Finanzsystem in schonungsloser Offenheit bloßlegte und die Blase zum Platzen brachten. So weit so interessant, wenigstens auf den ersten 250 Seiten des Buches. Was Stiglitz allerdings an Therapie zusammenträgt, ist mit Vorsicht zu genießen. Dass er nach der Krise sämtliche Errungenschaften der modernen Nationalökonomie wie etwa die Vorzüge eines ausgeglichenen Staatshaushaltes, Abbau von Handelbeschränkungen in den Orkus der Geschichte werfen will, wirkt stark überzogen. Und wenn man seine keynesianistischen Elogen auf den „Neuen demokratischen Idealismus“ verbunden mit einem kindlichen Zutrauen in die Globalsteuerungskompetenz des Interventionsstaates liest, gerät man fast ein wenig ins Gruseln. Alles in allem also ein gut lesbarer Einstieg in die Wirtschaftsgeschichte der Neunziger Jahre aus der linksliberalen Ecke – allerdings mit Therapievorschlägen, die einen Bart haben, der hundertmal länger ist als die Lebensdauer der meisten dot com Gesellschaften.Stieglitz die Roaring Ninties

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