Banville: Die See

IMG_5696„Allen rationalen Erwägungen gegenüber unzugänglich, bin ich seit jeher der Überzeugung, dass irgendein nicht näher definierter künftiger Moment kommen wird, wo es vorbei ist mit der ewigen Theaterprobe, die mein Leben ist, aus und vorbei mit all den Fehlinterpretationen, Fehlern und Patzern und wo endlich das wirkliche Drama anfängt, “ (S. 155f.) notiert der Kunsthistoriker Max Morden in sein Tagebuch. Für Max Morden ist die „Theaterprobe des Lebens“ vorbei, als seine Frau Anne am Ende einer jahrzehntelangen und alles in allem glücklichen Ehe an Krebs erkrankt und binnen eines Jahres verstirbt.

Nach Annes Tod will Max Morden  niemanden sehen sondern zieht sich in eine kleine Pension an der irischen See zurück, genau an jeden Strand, an dem er als Junge von zehn Jahren in seine Ferien verbrachte. Immer neue Wolkentürme rollen über das Meer heran, mit Regen und Donner, Hundstagen und Nebel IMG_1350erweist sich das Klima als ebenso unbeständig wie die Gefühlslage des unglücklichen Protagonisten. Inmitten dieser wetterbedingten und emotionalen Tiefdruckzone beginnt ein innerer Monolog, bei dem sich Max Morden seinen Assoziationen öffnet, ohne zu wissen, wohin ihn seine Erinnerungen führen werden. Natürlich beschäftigen sich seine Gedanken in erster Linie mit seiner Ehe  ( „Für all das, was wir nicht waren, haben wir einander verziehen“. S. 182), auch mit dem Verlauf der Krankheit und der Sinnlosigkeit des Sterbens (vgl. S. 84) , aber ebenso eingehend entfalten sich die Reminiszenzen an die Familie Grace, mit denen der kleine Max vor ewigen Zeiten an eben diesem Strand seine Freien verlebt hatte. Die Schilderungen dieser beiden Handlungsstränge, die immerhin ein halbes IMG_0913Jahrhundert trennt, gehen oft relativ abrupt ineinander über,  so dass der Leser schon lange vor dem Ende des Buches darüber grübelt, welche Bedeutung diese beiden Ereignisketten miteinander verbindet. Nur so viel sei verraten, der Tod, steht am Ende, ein unbändiges Nichtbegreifen bildet ihren gemeinsamen Nenner. Mehr habe ich nicht ergründen können, und wer den Klappentext des Buches liest, wird auch nicht klüger werden.

Das macht aber nichts, weil das Buch ganz sicher nicht wegen dieser Handlungskonstruktion sondern wegen seiner Sprache im Jahre 2005 den Booker Preis erhielt.  Der Tod seiner Frau hat Max Morden mit einer Endlichkeit konfrontiert,  der gegenüber alle Verdrängungsstrategien versagen. Wird  bei Roth („Der menschliche Makel), bei Begley („Schmidt“) oder anderen Großen der Literatur  als letztes Lebensflackern immer noch die Flucht in die Arme einer jungen Frau beschworen, versagt sich Banville diesen wohlfeilen Ausweg.  Max Morden bleibt am Rande der See nur der Alkohol, die Verzweifelung und die Erinnerung, von der man das Gefühl hat, dass er sie einfach abspulen muss, um nicht vor Kummer wahnsinnig zu werden.

Zugegeben, das hört sich megatrist an, ist aber in einer Weise literarisch aufgearbeitet, die den Leser von der ersten bis zur letzten Seite  in Atem hält. Wer will, kann dieses Buch als ein Art memento mori  dafür lesen, was das Leben für jeden von uns bereithält, wenn es zum Finale kommt. Teilweise hat mir davor geschaudert, teilweise waren die Details  kaum zu ertragen (man vergleiche nur die Schilderungen der Krankenhausszenen auf  S. 153), teilweise fand ich in der Genialität und der Prägnanz der Metaphern auch wieder Trost. Ob dieser Trost auch wirken wird, wenn es so weit sein wird, weiß ich natürlich nicht. Ein Buch für alle, die den Nachmittag des Lebens  erreicht haben und sich Gedanken über den bald hereinbrechenden Abend machen.

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