Eugenides: Middlesex

Das  Geschwisterpaar Lefty und Desdemona aus einem griechischen Bergdorf in der Nähe  der türkischen Stadt Bursa gerät im Jahre 1922 in die Mühlen des griechisch-türkischen Krieges und kann der Vernichtung Smyrnas nur mit Mühe entkommen. Von Athen aus setzen die beiden sich innig liebenden Geschwister nach Amerika über  und nutzen die Gelegenheit ein neues Leben zu beginnen und zu heiraten. Zusammen mit ihrem halbseidenen Schwager Tzimo und der Cousine Sourmelina fassen sie im Detroit der Zwanziger und Dreißiger Jahre Fuß, schlagen sich als Fließbandarbeiter, Seidenraupenlehrer und Kneipenwirt durchs Leben, während ihr inzestuöser Sohn Milton seiner Cousine Tessie bei der Balz die Klarinettensongs auf alle Hautpartien ihres Körpers bläst. Erst in der dritten Generation rächt sich der sorglose Umgang mit den Verwandtschaftsgraden. Miltons und Tessies Tochter Callie ist ein Hermaphrodit, allerdings ein  Hermaphrodit, der wegen der Kurzsichtigkeit des Hausarztes die ersten dreizehn Jahre ihres Lebens als Mädchen durchgeht und erst in der Pubertät enttarnt wird, als sich weder die Hüften runden noch der Busen wächst. Stattdessen erhält Calliope einen Adamsapfel, eine dunkle Stimme, Bartwuchs auf der Oberlippe und wird schließlich so eckig und muskulös, bis den verzweifelten Eltern durch, den Hermaphroditenexperten Dr. Luce reiner Wien eingeschenkt wird. Miltons und Tessies Kind ist keine Callie sondern ein Cal, eine Kreatur  mit einem Mittelding zwischen Klitoris und Penis, ein Zwitterwesen, das sich seiner gynäkologischen Reparatur  durch Flucht nach San Francisco entzieht. Hier landet Cal in einem widerlichen Hermaphroditenzirkus, während Vater Milton bei einem Verkehrsunfall zu Tode kommt.    Das Buch endet damit, dass der geschlechtsumdefinierte und erwachsene Cal, der als  US-Botschaftsangestellter in Berlin lebt, sich schließlich zum erstenmal in seinem Leben auf eine Intimität mit einer normalen Frau einlässt. So weit in Stichworten die Handlung des Buches. Was aber ist es für ein Buch? Ein Familien- und Epochenroman wie Frantzens „Korrekturen“ oder Oz „Geschichte von Liebe und Finsternis“? Eine Reflektion über die sich auflösenden Geschlechtsidentitäten in der modernen Gesellschaft? Oder ein Entwicklungsroman, der nicht nur von der Kindheit zur Reife sondern auch von der weiblichen zur männlichen Identität führt? Die Antwort: das Buch ist von allem etwas, ohne die Aspekte zu eklektisch zu vermischen. Vor allem aber ist es ein episches Lesevergnügen auf sehr hohem Niveau, ein ungemein sinnliches Werk über die neuartigen Irrungen und Wirrungen des späten 20.Jahrhunderts, kurz: ein  Lesevergnügen und ein Bildungserlebnis in einem.

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