Ford: Unabhängigkeitstag

IMG_5706Frank Bascombe, Richard Fords „Mister Amerika“, den wir schon aus „Der Sportreporter“ kennen,  ist inzwischen Mitte Vierzig geworden und  befindet sich seit seiner Scheidung noch immer in der “Existenzperiode“, d.h. einer Phase, in der er erst einmal versuchen muss, nach dem Bankrott seines bisherigen Lebens  wieder festen Boden unter den Füßen zu bekommen. Seine Frau Ann hat ihn nicht nur mit den beiden gemeinsamen Kindern verlassen sondern  zu allem Unglück auch noch  einen steinreichen älteren Architekten geheiratet. Frank selbst arbeitet mittlerweile  in Haddam/ New Jersey als Grundstücksmakler, ist (obwohl er seine Ex Frau noch immer liebt) mit der langbeinigen und schwierigen Sally zusammen und von Sorgen über seinen Sohn Paul zerfressen, der immer öfter mit seiner Umwelt in Konflikt gerät.

Wir schreiben den 1. Juli und befinden uns im Vorfeld des amerikanischen Unabhängigkeitstages, dem höchsten weltlichen Feiertag der USA, an dem alle Welt  aufbricht, sich zu amüsieren und zu entspannen. Nur Frank nicht – seine Bemühungen um  einen Hausverkauf scheitern an den Launen der unmöglichen Markhams aus Vermont, und als er abends zu Sally fährt, um wenigstens dort ein wenig abzuhängen, erhält er von der ungemein launischen und kapriziösen Dame den Fangschuss.  Dass er in der Nacht, in der er durch unendliche Verkehrsstaus noch heimfahren muss, auch noch Zeuge eines Mordes in einem Motel wird, gehört offenbar zur gewalttätigen amerikanischen Alltagswelt, denn auch Frank Bascombe selbst war kurz vorher von Jugendlichen niedergeschlagen worden, eine Ex Geliebte wurde Opfer eines bestialischen Raubmordes, und rund um das Geschäft seines Kompagnons Carl schleichen schräge Gestalten mit eindeutigen Absichten herum.

Unausgeschlafen erreicht Frank am nächsten Morgen den Nobelort Deep River wo seine Ex-Frau mit den gemeinsamen Kindern in dem prachtvollen Haus ihres Ehemannes  residiert. Was sich die beiden Ex-Partner dabei erzählen, ist schon traurig genug, aber was dann folgt, ist an Tristesse kaum zu überbieten: Franks Sohn Paul ist ein kleiner Mistkerl, fett, unsportlich und aggressiv, ein sozial auffälliger und müffelnder Problemjugendlicher, der die Bemühungen des Vaters, ihm auf einer zweitägigen Reise durch die Höhepunkte der Ostküsten Sportgeschichte ein wenig näher zu kommen, wie eine Pflichtübung mürrisch hinnimmt. Als er sich nolens volens ein wenig sportlich betätigen will, wird er von einer Baseballwurfmaschine schachmatt gesetzt, so dass er zu einer Notoperation ins Krankenhaus muss. Noch einmal kommt es zu einem Zusammentreffen mit der Ex-Frau, als Ann an der Seite einer Augenarztkoryphäe den Sohn per Hubschrauber zur besseren Versorgung nach Yale verlegen lässt. Inzwischen hat sich aber – wenn auch nur telefonisch – das Verhältnis zur problematischen  Sally wieder eingerenkt, und man beschließt, wenigstens den Abend des 4. Julis gemeinsam zu verbringen.

All das  mag sich banal  anhören wie eine Allerweltsgeschichte, doch in der Art, wie Ford diese Handlung und die darin involvierten Personen präsentiert, wird diese Allerweltgeschichte zu großer Literatur. Erzählt wird konsequent aus der Sichtweise von Frank Bascombe, wobei Innen- und Außenperspektiven und die Zeitebenen so gekonnt, ineinander verflochten sind, dass man sich schon nach kurzer Zeit die Welt mit Bascombes Augen sehen lernt.

Aber des ist nur das eine: das andere ist, dass Richard Ford mit  Frank Bascombe eine repräsentative Figur unserer Zeit geschaffen hat, einen komplexen Charakter, der vor den Augen des Lesers nach allen literarischen und psychologischen Regeln der Kunst  durchleuchtet wird. Jeder Leser, der das vorliegen das Buch mit der ihm zustehenden Ernsthaftigkeit liest, wird nicht umhin können, sich bei den verschiedensten Gelegenheiten  in diesem monumentalen literarischen Spiegel zu erkennen. Mir ist es jedenfalls auf von Kapitel zu Kapitel so gegangen. Etwas Besseres kann man über einen großen Roman nicht sagen.

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