Malaparte: Kaputt

Maparte KaputtDas Wort „kaputt“ entstammt dem hebräischen „kapparoth“, was so viel wie „Opfertier“ bedeutet. Kaputt sein, heißt, zum Opfer ausersehen zu sein, ein Schicksal, das nicht nur den Schwachen sondern auch und gerade den Starken – Malaparte nennt ihn „Siegfried“ –  trifft (268f.). In dem vorliegenden großen Epochenroman von Curzio Malaparte sind es in erster Linie die Deutschen, die „kaputt“ sind, sie sind zunächst die Starken, die rücksichtslos und ohne Gnade gegen Russland ziehen, ehe sie begreifen, dass sie den Krieg nicht gewonnen werden kann und „der keine weiße Fleck der Angst“, das Zeichen des kapparoth, in ihren Augen erscheint (S.210). Aber genau betrachtet gehen nicht nur die Deutschen als Volk „kaputt“, die ganze Welt gerät aus den Fugen, wird zum Opfer ihres eigenen technisch- industriellen Wesens.

Diese große Selbstopferung der Menschheit im Zweiten Weltkrieg ist  das Thema Malapartes, eine Art Requiem auf die Humanität, die in den Flammen des Krieges untergeht. Doch es  ist ein Untergang zwischen Grausen und Grandiosität – mit einer Sensibilität und Ästethik  nachgezeichnet, die den Leser zugleich ergreift und schockiert. Malaparte selbst, Romanfigur und Autor in einem, durchstreift die Ghettos von Warschau, Lodz und Czechostowa (92ff.), folgt den Fingerzeigen erfrorener russischer Soldaten, die von ihren deutschen Gegnern mit erhobenen Armen  als „stumme Polizisten“  in den Boden eingegraben wurden, und er erblickt nach den Pogromen im rumänischen Jassny zwischen einer Straße voller Leichen die Fürstin Sturza in ihrer Kutsche vorüber fahren, als sei sie Mitglied einer gänzlich anderen Welt (vgl. S. 138ff.). An der finnischen Lagodafront flüchten die Pferde vor der Schlacht in den See – und frieren ein, so dass am nächsten Morgen der ganze See übersäht ist mit erfrorenen Pferdeköpfen, die aus dem festgefrorenen Eis ragen und den Landsern als Sitzgelegenheiten dienen. (S. 55f.). Das ganze Buch ist voller solch unvergesslicher Bilder: ein Waggon wird durch Hilfswillige geöffnet, und hunderte versteinerter Erfrorener fallen auf die Gleise (170ff.). Am Ende eines Lesewettbewerbes, bei dem ein deutscher Offizier russische Gefangene aus der Prawda vorlesen lässt, werden alle Sieger, das heißt: die Lesekundigen, erschossen. (213ff.). Kurz darauf beginnt in den russischen Dörfern die Jagd der SS auf die Hunde, weil die Russen sie zu Panzerhunden ausbilden, die unter den Bäuchen deutscher Panzer mit ihren Sprengladungen auf dem Rücken ihr Futter suchen. Starr und widerspenstig ist der Blick der Toten, denen die Zigeuner vergeblich die Kleider vom Leib reißen wollen – genauso wie der Anblick der invaliden deutschen Soldaten, denen in dem ersten schreklichen Kriegswinter die Augenlider erfroren und abgefallen sind, so das sie nun mit aufgerissenen Augen durch die Welt gehen müssen. All das vollzieht sich auf der Bühne einer Natur, die ihre Schönheiten unbeeindruckt von der menschlichen Tragödie weiterspinnt. Malaparte  beobachtet die Vögel,   die „zu Tausenden über die Schlachtfelder am Dnjestr, am Dnjepr, am Don“ fliegen und weder Angst vor den Kugeln noch vor den Deutschen haben. „Sie lassen sich nicht auf den Ästen nieder, um dem Gemetzel zuzusehen, sondern steigen zum Himmel empor, folgen in den Höhen den Heeren auf ihrem Marsch durch die grenzenlose Ebene.“  (S.13) Als sich der Autor am Abend eines langen Marschtages ins Gras legt, um zu schlafen, erwacht am Morgen durch ein geheimnisvolles leises Knacken. Misstrauisch hebt er den Kopf, ehe der entdeckt, dass es die Sonnenblumen sind, die sich zu Hunderttausenden auf der ukrainischen Ebenen der im Osten aufgehenden Sonne entgegenstrecken (S.220).

Doch die poetische Beschreibung dieser Vorgänge, so viel Eigenwert sie auch besitzen mag, ist nicht in erster Linie Malapartes Anliegen. Ihm geht es vielmehr um das Tätervolk  der Deutschen, den Urhebern dieses Völkermordens, denen er auf seinen Reisen immer aufs Neue begegnet.  Sie besitzen eine „einzigartige Mischung grausamerer Intelligenz mit einem  verfeinerten und vulägrem Wesen.“, Ausfluss eines dunklen Infernos, „aus dem immer wieder flüchtig ein düsterer Schein herauflohte.“(S. 143). Sie sind im Unterschied zu den Italienern, die unter dem Faschismus abstumpften, zu willenlosen Kampfmaschinen geworden, die Tod und Verderben über die Welt bringen.

So schrecklich das Buch auch im Einzelnen zu lesen ist, so sehr kann man sich in seiner makellosen Sprache verlieren. Die Bilder, die der Autor in immer neuen Anläufen erfindet, die Sprache, mit der er die seine Erlebnisse beschreibt und der Rhythmus seiner Schilderungen  verwandeln den Leser beinahe in einen Augenzeugen vor Ort. Ich kann mich nicht erinnern, schon einmal ein derart eindringliches Buch über den Zweiten Weltkrieg  gelesen zu haben – gleich weit weg von Landserromantik und Edelkitsch. Nur vergleichbar den „Wohlgesinnten oder „Der Straße von Flandern“

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