Mantel: Wölfe

Hilary Mantels Booker-Price-gekrönter Roman „Wölfe“ spielt in der Epoche des Tudor Königs Heinrich VIII,   der bekanntlich die katholische Kirche in England zertrümmerte und den Anglikanismus begründete. Bekanntermaßen tat er das nicht  aus Frömmigkeit, sondern um eine Frau zu heiraten, die er nur wenige Jahre später wird hinrichten lassen.  Erzählt wird die Geschichte der Jahre 1532-1535 aus der Perspektive von Thomas Cromwell, einer zwielichtigen Persönlichkeit, die aus einfachsten Anfängen zum Sekretär des Königs aufstieg und die gesamte englische Geschichte weit über seinen Tod hinaus beeinflusst hat. Kennen wir Thomas Cromwell aus der gängigen Geschichtsschreibung eher in der Rolle des Schurken, so erscheint er bei Hilary Mantel  als kundige, integre Persönlichkeit, wohingegen der berühmte Thomas Morus als „Thomas More“ wie ein fanatischer Inquisitor unter den Ketzern wütet, ehe er selbst unter das Fallbeil kommt. Diese Umkehr der Standpunkte gehört noch zum Interessantesten an dem vorliegenden Buch, denn sie erlaubt es, die Geschichte ganz anders zu verstehen. Aber wird die Geschichte auch gut erzählt?

Wenn man der Mehrheit der Rezensenten bei amazon glauben darf, dann: dreimal ja. Ich selbst kann diesem Lob zustimmen, erlaube mir aber trotzdem die eine oder andere Anmerkung. Zugegeben, der Stil ist edel, mitunter gelingen der Autorin gerade in ihren Randbemerkungen brillante Sprachminiaturen. Auch die Einfühlung in die Feinheiten der Geschichte des frühen 16. Jahrhunderts nebst der Aufdröselung sämtlicher Verwandtschaftsverhältnisse bei Hofe  ist beeindruckend, hätte aber auch durchaus etwas geraffter präsentiert werden können. Eigenwillig ist, dass Hilary Mantel von ihren Protagonisten Thomas Cromwell immer nur in dem unbestimmten persönlichen Pronomen „er“ berichtet, was das korrekte Verständnis mancher Unterhaltung an verschiedenen Stellen des Buches durchaus erschwert. Und zur Wahrheit gehört auch, dass sich der Roman mitunter wie Kaugummi zieht –  nach 450 Seiten rödelt noch immer alles an der Trennung des Königs von seiner angetrauten Gattin Katharina, und man muss schon ein echter hard-core Leser oder ein fanatischer Fan der Tudor Zeit sein, um wirklich bis zum Ende dranzubleiben. Im letzten Drittel wird der Roman allerdings in jeder Beziehung besser: eine Hexe wird enttarnt, Häretiker und Ketzer besteigen den Scheiterhaufen, und der König und seine neue Gattin Anna Boleyn geraten sich in die Haare. Mit der Verdichtung der Handlung gewinnt erstaunlicherweise auch die Sprache neue Facetten. Einige der literarisch gelungensten Passagen befinden sich auf den letzten 200 Seiten des Buches. Am Ende ist man mit dem Werk versöhnt.

Gerade dann aber, mit dem Tod von Thomas More, bricht der Roman ab. Die mit Abstand interessantesten Passagen im Leben des Lordkanzlers Thomas Cromwell bleiben ausgespart: die Säkularisierung der englischen Klöster, die Hinrichtung Anne Boleyns und der Sturz von Cromwell selbst. Falls Hilary Mantel diese Geschichte eventuell in einem zweiten Band erzählen möchte, werde ich als Liebhaber der Tudor-Epoche auch dieses Buch lesen, hoffe aber inständig, es möge ein wenig kompakter und kurzweiliger sein.

Nachtrag nach der Lektüre des zweiten Bandes „Falken“: Ja genau so war es (siehe Rezension ebendort). Nun warte ich auf den dritten Band. Hilary, halt durch!

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