Mauriac: Die Einöde der Liebe

Mauriac Die Einöde der LiebeFrancois Mauriac, der französische Literaturnobelpreisträger des Jahres 1952 wird heute kaum noch gelesen. Seine sehr katholische geprägte Gedankenwelt ist dem aktuellen Publikum fremd, die rigorosen Urteile über den moralischen und erotischen Egoismus seiner Figuren befremdet eine Leserschaft, der es im erotischen Bereich nicht heiß genug hergehen kann. Wie viele Schicksale und Seelen dabei auf der Strecke bleiben, interessiert literarisch nicht wirklich, jedenfalls ist mit unter den großen Autoren der Gegenwart keiner bekannt, der die inzwischen immer deutlicher zutage tretenden Exzesse des Libertinismus wirklich thematisiert.

Francois Mauriac hat die Abgründe dieser Eliminierung von Moral und Ethik in den privaten Beziehungen schon in ihrem coming-out, d. h. in der ersten Hälfte des letzten 20. Jahrhunderts,  scharf beobachtet und beschrieben. Seine Figuren gleichen Geworfenen, die ohne Halt in die Liebesverstrickungen taumeln und daraus für ihr Leben gezeichnet hervorgehen. Der Titel des vorliegenden Buches  „Die Einöde der Liebe“ wirkt deswegen wie ein Kurzepitah seines gesamten Werkes.

Aber Mauriac wäre nicht Mauriac, wenn er seinen Roman nicht um ein klar fokussiertes Thema herum aufbauen würde. Hier geht es darum, dass Raymond Courreges, ein etwa fünfunddreißigjähriger Lebemann, plötzlich der etwas älteren Marie Cross wieder begegnet, jener Frau, die er  vor etwa siebzehn Jahren begehrte und die ihn zurückwies. Während er missmutig feststellen muss, dass sie noch immer ungemein begehrenswert ist,  hat er nur eines im Sinn: Rache und  Revanche.

Was war los zwischen Raymond und Marie? Was Marie betrifft, ist es die Geschichte einer jungen Frau, die zuerst ihren Mann und dann ihr Kind verloren hat und die sich in ihrer Not von einem stadtbekannten Lebemann aushalten ließ. Auch Raymonds Vater, ein ehrenwerter Arzt, hat sich längst in Marie verliebt, als sich Marie und Raymond in der Straßenbahn begegnen und sich schließlich näher kommen. Was sich anhört wie der Beginn einer romantischen Liebesgeschichte enthüllt Mauriac in Form innerer Dialoge als eine Aneinanderfolge taktischer Überlegungen, Begehrlichkeiten und Wünsche ohne jede seelische Substanz. Raymond und Marie, beide egozentrisch bis zum Abwinken,  haben eigentlich gar keinen Blick füreinander, sondern sie  unterliegen nur der Verhexung ihrer eigenen Projektionen. Als es dann zum Schwur, respektive zum Kuss, kommen soll, erblickt Marie mit Schrecken die Pickel auf der Nase des Gymnasiasten, riecht seine Ausdünstungen und ekelt sich vor seiner Gier.

Ist damit das sexuelle Abenteuer, das sich der Gymnasiast erträumte gründlich in die Hose gegangen, sollte es doch Raymonds weiteres Leben prägen. Die Einöde der Liebe begann, in der Raymond der Fleischeslust verfiel, dem „Paradies der Einfältigen“ (S. 234) und in der  zahllose Frauen  für die Kränkungen leiden mussten, die ihm seine erstes Objekt der Begierde zugefügt hatte. Übrigens  verwundert das ein wenig, denn  bei so oberflächlichen Gestalten wie Raymond und Marie hätte man doch erwartet, dass man sich gegenseitig vergisst wie den Regen vom gestrigen Tag.

Wie dem auch sei, mit der Rache wird es nichts, stattdessen kommen Raymond und Marie  ins Gespräch, ohne das irgendetwas gesagt oder geklärt würde. Auch der noch immer  liebeskranke Vater hat noch einen letzten Auftritt und empfiehlt  dem Sohn den Rückzug  in die ruhigen Gefilde der Ehe, die im Buch beschrieben wird wie die Apotheose der Eintönigkeit und Langeweile. So bleibt der Leser am Ende des Buches des Romans ein wenig ratlos zurück. Wie es aussieht, scheint für Mauriac  die Liebe einer ungeheuren Kraft zu gleichen, die unsachgemäß angegangen den Lebensentwurf der Menschen lebenslang verkrüppeln kann.

Jenseits dieser Intentionen, die man goutieren mag oder auch nicht, besticht das Buch durch die Schärfe seines psychologischen Blicks und die Prägnanz seines Stils. Mauriac entfaltet das Buch der Liebe wie ein besorgter Arzt, der sich nicht scheut, seinen Lesern aus dem Off heraus Regeln mitzuteilen oder Ratschläge zu geben. „Ach, wie lästig sind uns die Wesen, die unserem Herzen gleichgültig sind, die uns ausgewählt und die wir nicht erwählt haben – die uns innerlich so fern stehen und von denen wir nichts wissen möchten, deren Tod uns ebenso gleichgültig wäre wie ihr Leben … und doch sind sie es, die unser Dasein ausfüllen,“ heißt es auf S. 135. An einer anderen Stelle schreibt Mauriac „ Der Doktor hatte schon häufig bemerkt, dass das Leben die Vorbereitungen verschmäht, seit seiner Jugend, sind die Wesen, die er geliebt hat, ihm immer plötzlich entrissen worden.“

Wer dergleichen mag, kommt in dem vorliegenden Buch voll auf eine Kosten. Ich habe es jedenfalls gerne gelesen, seine Hausväterlichkeit und sein gemächliches Tempo, vor allem aber die unzeitgemäße, zutiefst humane Psychologie machen das Buch im Vergleich  zu den zahllosen „Bing-Bang-Thank-you-Mam“-Romanen überaus lesenswert.

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