McCarthy: No Country for Old Men

MCCarthy No Country for old MenJedes Buch von Cormack McCarthy war für mich bisher ein literarisches Erlebnis. Das ist nicht unbedingt ein Vorteil, weil es die Erwartungen hochschraubt und Enttäuschungen vorbereitet. „Kein Land für alte Männer“ aber hält das gleiche Niveau wie die Border Trilogie und „Die Straße“ und übertrifft sogar noch die mehrfach preisgekrönte Verfilmung des vorliegenden Buches.

Vordergründig geht es in dem Roman um einen der zahlreichen Drogenkriege an der mexikanisch-amerikanischen Grenze. Ein durchgeknallter Psychopath zieht eine Blutspur der Verwüstung durch die weiten Ebenen des amerikanischen Südwestens, ein im Dienst ergrauter Sheriff  verzweifelt vor den Abgründen, die die Serienmorde enthüllen, und ein Vietnam-Veteran versucht (vergeblich) seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. All das wird übrigens auch in der erfolgreichen Verfilmung sehr nah am Buch auf eindrucksvoller Weise umgesetzt.

Was der Film mit seinen Mitteln naturgemäß nicht zeigen konnte, ist die fast apokalyptische Tiefendimension, die dem Totentanz in der Wüste zugrunde liegt. Es geht um gut und böse, Zufall und Notwendigkeit, Schuld und Unschuld, also große Epik, die sich in der Dreiecksgeschichte zwischen dem Psychopathen, dem Sheriff und dem Vietnam-Veteran entfaltet. Auf diesem schaurigen Bühnenbild fungiert der Mexikaner Anton Chigurh wie die Personifikation  des Bösen schlechthin, Chigurh tritt auf wie das Verhängnis selbst, kommt und geht wie ein Geist, tötet ohne Anteilnahme seine Oper mit Bolzenschussgerät und Schrotflinte und  entschwindet am Ende ebenso spurlos, wie er am Anfang erschienen ist.

Ihm gegenüber steht der alte Sheriff, dessen zwölf Einlassungen sich wie eine Chronik des gesellschaftlichen Niedergangs lesen. Er repräsentiert die Stimme des ländlichen Amerika, dem gegenüber der anschwellenden Flut der modernen Großkriminalität die Begriffe fehlen. Keiner weiß so recht, wie es so weit kommen konnte, aber, so der Sheriff, alles begann damit dass die Manieren schlechter wurden, als man alles nicht mehr so genau nahm, als kleine Unehrlichkeiten zu großen Lügen wurden, bis schließlich das Verhängnis wie ein immer längerer Schatten die Gesellschaft überwölbte. In dieser Welt des Verhängnisses kann sich jeder in den allgegenwärtigen Fängen des Unheils verstricken, auch der gutmeinende und sympathische Veteran und Schweißer Lelewelyn Moss, der nur durch Zufall in einen Drogenkrieg verwickelt wurde, und daran zugrunde geht. Chigurh als Vollstrecker des Bösen, der alte Sheriff als resignierter Chronist und Moss als Opfer der Verhältnisse erscheinen wie die Gestalten eines Dramas, dessen Ende vom Anfang an festzustehen scheint.

„Jeder Augenblick im Leben bildet eine Abzweigung, und jeder verlangt eine Entscheidung“ erzählt der finstere Chigurh einem seiner Opfer. „Irgendwo haben Sie eine Wahl getroffen, aus der sich alles bis hierhin ergeben hat. Da wird peinlich genau Buch geführt, die Form ergibt sich. Keine Linie lässt sich ausradieren.“(S. 236).

So ist der Mensch in diesen finsteren Zeiten nicht nur Opfer der Umstände sondern auch Opfer seiner eigenen (falschen) Entscheidung in einem scheinbar beiläufigen Augenblick – ganz so wie einer der beiden Jungen, die am Ende des Buches die Pistole aus Chigurhs Wagen aufheben und ihren Weg in den Abgrund beginnen.

Ein Buch wie ein alttestamentarisches Menetekel – auch zu lesen als eine Art Vorspann zur vollzogenen Apokalypse, die in „Die Straße“ beschrieben wird.

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