Prouxl: Mitten in Amerika

30Amerika, du hast es besser.  Im Herzen dieses weiten Landes ist die Luft noch rein, die Menschen sind anständig und die öffentlichen Lustbarkeiten von moralischer Sauberkeit durchtränkt.  Annie Prouxl Roman „Mitten in Amerika“ führt den Leser in eine solche Landschaft, doch was es dort in der fiktiven Gemeinde Wooleybucket zu  erleben gibt,  hat mit dem Stereotypen vom edlen Landleben wenig zu tun.  Denn im Panhandle, dem Grenzgebiet von Texas und Oklahoma hat sich die Schweinemast breit gemacht, eine widernatürliche Nahrungsindustrie, die das Leben von Tieren und Menschen zerstört. „Die Haut von Fabrikschweinen ist so dünn, dass man durchschauen kann. Wenn man sie auf den Viehtransport laden will, bluten sie schon bei der geringsten Berührung. Und manche von ihnen sind so übergewichtig, dass ihre Beine unter ihnen wie Zündhölzer wegknicken. Die Ferkel zucken mit dem Kopf als hätten sie den Veitstanz und scheuern sich am Maschendraht blutig.“(S. 468). Wehe dem, der eine Farm in der Nähe einer solchen Mast besitzt. „Der  Wind hatte sich gedreht und trug eine volle Ladung Schweinefarmluft heran, einen überwältigenden fauligen Gestank wie von zehntausend stinkenden Socken, verwesendem Fleisch, abgestandenem Urin und fauligem Sumpfgras, von saurem Erbrochenem und von Jauche, einen so ungeheuerlichen, greifbaren Gestank, das Bob würgen musste.“(S. 198f).

Bob, der hier würgen muss, ist die Hauptfigur des vorliegenden Romans, eine ambivalente Gestalt, dessen Auftrag darin besteht, als verdeckter Grundstücksaufkäufer im Dienste seines Arbeitgebers Global Pork Rind das Elend des Pandhandle noch zu vergrößern.   Im Old Dog Cafe von Wooleybucket  macht er sich undercover mit der Geschichte des Panhandle bekannt, er lauscht den Erzählungen von  Tornados, Katastrophen, Liebeshändeln und der Not der großen Depression.  „Sheriff Hugh Dough war vierzig Jahre alt, ein kleiner Mann von einem Meter fünfundsechzig und sechzig Kilo Gewicht, voller Ticks und Macken aber trotz allem ein tierisch gefürchteter Sheriff. Er hatte eine scharfe Aztekennase, pflaumiges schwarzes Haar und schwarze Knopfaugen wie aus der Schublade eines Tierpräparators. Entzündete Pickel zogen sich in einem Winkel seines trichterförmigen Mundes bis zum Ohr. Sein Leben lang war er Bettnässer gewesen, inzwischen machte es ihm nichts mehr aus. Im Bett hatte er ein Gummituch und im angrenzenden Badezimmer eine Waschmaschine. Er hatte nie geheiratet, weil es für ihn unvorstellbar war, diese Situation zu erklären.“(S. 79) Aber nicht nur der Sheriff ist eine Marke aus dem schier unüberschaubaren Kauzpotential von Wooleybucket, das der unscheinbare Bob Dollar bei seinen erfolglosen Ankaufversuchen im Panhandle kennen lernt. Ihre Biographien, aufgespalten und in immer wechselnden Kontexten neu erzählt, bilden den kunterbunt und üppig gestalteten unterhaltsamen Schwerpunkt des Romans,

Aber handelt es sich auch um einen großen Roman? Wer die Dichte von „Brokeback Mountain“ erwartet, wird von dem vorliegenden 500 Seiten Werk enttäuscht sein. Die Stärke des Buches liegt eher im Anschaulichen,  in einer geradezu mitreißenden Erfindungsgabe was die Skizzierung von Personen, Situationen und Landschaften betrifft. Dass diese Käuze vom Panhandle über den ganzen Roman hinweg immer wieder aufs Neue auftauchen und verschwinden, verwandelt das Buch in eine texanische Saga, und wer will darüber mosern, dass das Ende dieser Saga ein wenig märchenhaft klingt? Denn zum Schluss, so viel sei verraten, wird das Panhandle vor dem Zugriff der Schweinemastkonzerne gerettet, und der gescheiterte  Bob Dollar verliert zwar seinen Job, gewinnt aber eine neue Heimat und neue Freunde „mitten in Amerika“. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann riechen sie noch heute am wieder wachsenden Büffelgras am Stadtrand von Wooleybucket.

 

 

 

 

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