Roth: Die Kapuzinergruft

Roth kapuzinergruftUnter allen untergegangen Imperien der europäischen Geschichte ist wohl die Habsburgermonarchie die melancholischste. Einst als das das staatliche Gebilde der Österreicher, Ungarn, Slowenen, Kroaten, Serben, Polen, Slowaken, Tschechen und Bosniaken das Bollwerk gegen den Ansturm der Osmanen, hatte sie sich im 19. Jhdt., der Epoche eines chauvinistisch aufbrechenden Nationalismus,  auf eine schreckliche Weise überlebt – um dann im Ersten Weltkrieg wie ein morsches Kartenhaus zusammenzubrechen. Niemand weinte der k. u. K. Monarchie eine Träne nach, als auf ihren Trümmern die kleinen egoistischen Nationalismen zusammenrafften, was zu kriegen war. Niemand? Doch, Joseph Roth, der große Literat aus dem multinationalen Galizien, hat in seinen Büchern immer aufs Neue den Geist „Kakaniens“ beschworen, in dem die Völker unter einem alten Kaiser wie Brüder zusammenleben konnten.

Auch das vorliegende Buch, die Fortsetzung von „Radetzkymarsch“, ist eine Liebeserklärung an das untergegangene Reich, an seine  jene Gemeinsamkeit der Kaffeehäuser, der Bahnhöfe die „wie träge Katzen in der Landschaft liegen“ (S. 46), der Landschaft und des Menschenschlages. Aber das Buch beschreibt auch, wie über der gedankenlosen Wiener Jugend der Vorkriegszeit der Tod bereits seine Arme ausstreckt, um seine Mission dann im „Weltkrieg“ zu vollstrecken – „Weltkrieg“ übrigens nach Roths Leseart deswegen, weil durch ihn eine ganze Welt zugrunde ging. Der junge Trotta, ein verwandter jenes Leutnant Trotta, dessen Geschichte wir im „Radetzkymarsch“ verfolgt  haben, repräsentiert nur noch einen Schatten des ruhmreichen kaisertreuen slowenischen Geschlechts, sein Vater ist tot, seine Mutter verknöchert und seine Liebe zur zickigen Elisabeth angekränkelt von Ungewissheit und Dekadenz. Alle Figuren des Buches besitzen etwas eigentümlich Zögerliches, als wüssten sie, dass sie an einem Abgrund ständen und dass jeder weitere Schritt sie in die Tiefe reißen würde. Um die Wahrheit zu sagen: auch das Buch selbst besitzt etwas Fragmentarisches, denn es ist deutlich zu merken, dass den Autor im zweiten Teil des Buches nach dem Untergang der Monarchie die Lust verlässt. Für die Beschreibung der neuen Zeit mit ihren Kommunisten, Geschäftemachern und Umsturzversuchen fehlt dem Autor  ganz offenbar das Interesse. Die Epoche der „Gutrassigen“ bricht an, jener “Mischung aus internationalem Tennismeister und lokal zu fixierendem Rittergutsbesitzer mit einem leichten Einschlag von Ozean und Reederei.“(S. 146). Die neue Ideen, dass sich das Volk selbst regieren solle, kommt dem alteuropäisch geprägten  Autor ein wenig so vor, als wolle eine Frau mit sich selber schlafen um schwanger zu werden (S. 181)  Dem vereinsamten Trotta bleibt am Ende nur noch, durch die kalten Straßen Wiens zu laufen und in der Kapuzintergruft „das Grab meines Kaisers Franz Joseph“ zu besuchen. Ein Buch voller Melancholie über ein gescheiterten Stück einstmals vereintem Mittelosteuropa, dessen Wiederauferstehung wir hoffentlich in unseren Tagen miterleben dürfen.

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