Shalev: Liebesleben

Shalev LiebeslebenEin Wesenszug  der Moderne besteht darin, dass sich das Individuum berechtigt fühlt, alles stehen und liegen zu lassen, Kinder und Ehemann, Treue und Gemeinschaft  zum Teufel zu schicken, wenn eine so genannte „große Liebe“ am Horizont des Alltags erscheint. Dabei muss es sich bei der „großen Liebe“ nicht um eine wirkliche große Liebe a la  Abaelard und Heloise oder  Romeo und Julia handeln –   es reicht schon, wenn „die Möse juckt“ und der Sex so großartig ist, dass er das Hirn hinreichend vernebelt, um alles außerhalb dieser Hormonverhexung in den Orkus zu werfen. Wenn man ehrlich ist, ist das der  Plot des vorliegenden Buches.  Ja´ara, eine mit dem gutmütigen Jotam verheiratete junge Frau, verfällt dem Charme und der erotischen Attraktion von Ariel Even, einem alt gewordenen Womanizer, der die fotografierten Belege seiner sexuellen Eskapaden in Schuhkartons aufbewahrt. Wie konnte das geschehen? Hat denn   Ja´aras Mann Jotam seine Frau durch Saufen, Brüllen oder Prügelorgien  in die Hände des Womanizers getrieben? Nein, er hat sich nichts zu schulden kommen lassen  außer, dass er eine „infantile Stupsnase“ und einen „faltigen Hodensack“ besitzt, aber das reicht für Ja´ara schon aus, um ihn für eine Nacht mit dem herrischen Ariel  zum Teufel zu schicken. Denn Ariel entzündet, ohne dass er sonderlich bemüht,  in der flatterhaften Ja´ara das ach so wunderbaren Feuer der Liebe, ein selbstbezügliches Feuer, das nur sie selber und sonst niemanden wärmt und von dem schon im Moment der Entzündung klar ist, dass es nicht lange brennen wird. Von den Einzelheiten, dem Hin und Her des Herumvögelns und Herumgelabers, das die 350 Seiten des Buches füllt,  lohnt sie kaum zu erzählen – es ist doch immer nur die gleiche Geschichte mit einem Personal, das sein Menschsein am ehesten zu akzentuieren glaubt, wenn es den kürzesten Weg zum Organismus wählt. Das ist im Großen und Ganzen die die todtraurige Wahrheit des „Liebeslebens“, eine Geschichte, in der die Liebe  zur Gelegenheitsereketion verkommt, ein Brevier der emotionalen und sexuellen Haltlosigkeit, von der man leider nicht sagen kann, dass sie nicht exemplarisch wäre.  Zeruya Shalev hat eine rückhaltlose Bestandaufnahme dieser Zerrissenheit vorgelegt, wie man sie sich eindringlicher kaum vorstellen könnte. Geradezu verblüffend erscheint dabei der  Gegensatz der deprimierenden Sachverhalte, die geschildert werden, und der funkelnden, metaphernreichen, brillanten Sprache in der das geschieht. Ein verstörendes  Werk wie bei einem Maler, der die Hölle in wunderbaren Farben malt.

 

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