Shalev: Mann und Frau

Shalev mann und FrauNichts, was Zeruya Shalev in diesem Roman erzählt, wird irgendeinem ihrer Leser unbekannt vorkommen – es sind die sattsam bekannten Implosionen und Explosionen der Zweisamkeit und die Exzesse von Kränkung und Lebensgier, Hoffnung und Angst, die die Protagonistinnen und Protagonisten innerhalb und außerhalb ihrer Ehen quälen. Jeder erlebt es alle Tage. Warum also noch darüber lesen? Weil die Art und Weise, wie die Autorin ihre Geschickten erzählt, für den Leser eine Katharsis bereithält, die er so noch nicht erfahren hat. Weil der Seelensud, auf dem der moderne Mensch zerköchelt, in das helle Licht einer ausgefeilten Sprache gehoben wird und weil das dumpfe-allzumenschliche, von dem man immer glaubte, es sei nicht literaturfähig, endlich einmal so dingfest gemacht wird, dass es nicht mehr entkommen kann. Insofern sind Na´ama und Udi, ein israelisches Ehepaar in den mittleren Dreißigern, das exemplarische Ehepaar unserer Zeit. Ihnen geht es wie allen anderen auch: sie leiden an der Liebe, könne aber auch nicht ohne Liebe leben – oder um es in den Worten der Autorin selbst zu sagen: „sie wollen lieben, wissen aber nicht wie.“ Auch der Leser weiß am Ende des überaus packend geschriebenen Seelenromans keineswegs „wie“ es funktioniert, dafür sind die Paradoxien der modernen Subjektivität einfach zu unhintergehbar geworden. Aber er hat eine Landschaft voller Gefühlsverirrungen durchwandert und die unterschiedlichsten Pfade durchmustert, die alle voller Hoffnung beginnen um am Ende im Chaos zu enden. Da ist der labile Ehemann Udi, der vor dem Stress seiner krisenhaften Ehe in eine Konversionshysterie flüchtet, da ist seine agile Ehefrau Na´ama, die es allen recht machen will und am Ende von ihrem Mann verlassen wird, da ist Na´amas Mutter, eine schöne und begabte Frau, die aus reiner Lebensgier Ehemann und Kinder sitzen ließ um dann festzustellen, dass das Leben auch für die Lebensbereiten nur Einsamkeit und Enttäuschung bereithält, da ist Na´amas Vater mit seinem unfehlbaren Quecksilberthermometer, der am Liebesleid zugrunde geht, da ist der namenlose Rechtsanwalt, der nur als „Gast im leben anderer Menschen gegenwärtig ist, um seine augenblickliche Lust zu befriedigen“, da ist die geheimnisvolle Sohara, die die Glücks- und Liebeskranken mit tibetischen Sprüchen zu befriedigen sucht – und da sind die wahren Opfer dieser Totentänze: die Scheidungs- und Trennungskinder, denen die Welt in Scherben fällt, weil ihren Eltern die Kraft abgeht, ihrer Verantwortung zu genügen. Dass in der Annahme dieser „Verantwortung“, in dem „versteinerten Verzicht“ auf das trügerische Liebes und Glücksversprechen der Moderne zugunsten von Verlässlichkeit und Vertrauen möglicherweise das einzige Gegengift gegen die Verhexungen der modernen Liebe besteht, wird zwar von der Autorin so deutlich nicht herausgearbeitet, erscheint aber hinter allen Einzelschicksalen wie eine undeutliche „Moral von der Geschicht.“ Geahnt hat man es schon immer, nach der Lektüre von „Mann und Frau“ hat man das Gefühl: nun weiß man es.

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