Shalev: Späte Familie

11Ella, eine Mitdreißigerin hat ihren Mann Amnon über. Was er auch sagt oder tut, es geht ihr auf den Wecker. Weder die Tatsache, dass sie einen gemeinsamen kleinen Sohn haben,  weder die Warnungen ihrer Freundinnen, weder die Vorhaltungen des Vaters noch Amnons  Kummer  können sie  erweichen. Der Ehemann muss raus aus der gemeinsamen Wohnung, damit Ella zusammen mit ihrem kleinen Sohn ein neues Leben beginnen kann. Soweit ein Drehbuch, wie es das Leben tagtäglich schreibt. Als aber nach der Trennung vollkommen unerwartet die Einsamkeit in der Wohnung herumschleicht, als der verstoßene Mann wider Erwarten gut mit seiner neuen Situation zurechtkommt, tut es der  alleinerziehenden Mutter plötzlich leid. Amnon aber lehnt eine Rückkehr in die gemeinsame Ehe ab, woraufhin   Ella in ein emotionales Koma fällt und erst durch die Medikamente eines Psychiaters wieder ins Gleichgewicht kommt. Natürlich verliebt sich die junge Mutter sofort in den besagten Psychiater Obed Schefer, der – wie passend – auch gerade in Scheidung lebt. Schnell ziehen Ella und Obed  zusammen,  und da der neue Partner  auch noch zwei unmündige Kinder mit in die Beziehung bringt, wird die doppelte Einsamkeit  der beiden auch noch durch das Getöse von drei bedauernswerten Patchwork-Kindern grundiert.

Es ist keine schöne aber eine exemplarische Geschichte, die Zeruya Shalev in ihrem dritten Buch erzählt, aber wie diese Geschichte erzählt wird, macht das Buch zu einem Ereignis. In endlos aneinandergereihten, meisterhaft ausgefeilten Kettensätzen, durch Kommata, Gedankenstriche und lauter Bindeworte vereint, wird der Leser in einen Gedanken- und Handlungsstrom hineingerissen, der auch nicht eine einzige Seite Langeweile aufkommen lässt. Der Gegensatz zwischen der allzumenschlich-allzubanalen Handlung und der Sprachmächtigkeit der Erzählern frappiert dabei immer aufs Neue. Keine Windung der modernen Ichhaftigkeit, kein Selbstmitleid oder Kränkungsbereitschaft, der nicht literarisch präzise und ungemein anschaulich hinterhergestiegen würde. So entsteht inmitten dieser  meisterhaften Psychologie der modernen Beziehungsunfähigkeit das Portrait zweier seelischer Monaden, die zuerst und vor allem an sich selber leiden. Ella  die Ich-Erzählerin  des Romans, ist eine Nervensäge der Spitzenklasse, eine Plage der ganz besonderen Art, die am liebsten alle Menschen und Dinge auf die Warteliste ihrer eigenen Launen setzen würde, und ihr Partner  Obed ist auch nicht viel besser. Umgeben von einer Mimikry  aus Höflichkeit und Zurückhaltung ist er im Kern mürrisch, ehrgeizig und egozentrisch – also ganz und gar das, was Ella verdient, aber ganz bestimmt nicht braucht. So bleibt am Ende für die „Späte Familie“ nur eine Arena des Misstrauens und des Streites, deren Exzesse sich  kaum von den beiden ersten Ehen unterscheiden. Erschöpft von den eigenen Wünschen, Enttäuschungen und Ängsten nehmen Ella und Obed  ganz am Ende des Romans an der Beerdigung einer jungen Mutter teil, die ihren Mann und ihre Kinder von Herzen liebte, ehe sie zum namenlosen Schmerz ihrer Umgebung einer heimtückischen Krankheit zum Opfer fiel. Nicht einmal dieses wirkliche Leid besitzt vor den Augen der beiden Getriebenen Bedeutung und Würde –  leer und ausgebrannt wie die Insel Thera bleiben sie am Ende des Buches zurück. Ein Leseerlebnis wie ein Menetekel – dringend empfohlen  für alle, die sich mit dem Gedanken tragen, ihren Partner zu verlassen, weil sie der  Überzeugung sind, dass das Leben ihnen noch etwas schulde.

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