Updike: Landleben

13Wie in fast allen Romanen Updikes geht es auch in „Landleben“ um die  großen und kleinen Katastrophen des Alltags, um Lieben und Verlassenwerden, um Arbeiten und Träumen, und wie in fast allen frühen Werken des Autors vollziehen sie sich auf der Bühne der amerikanischen Kleinstadt. Im Mittelpunkt des Buches steht Owen Mackenzie, als Romanperson ein Jahr jünger als Updike selbst und wie dieser äußerlich mit „zu viel Nase und zu wenig Kinn“(15) ausgestattet. Owen Mackenzie wächst in der Kleinstadt Willow/Pennsyslvania auf, einer Stadt mit eng zusammenstehenden Häusern, in denen man die Geräusche des Familienstreites auf den Straßen hören konnte und in denen Scheidungen als persönliches Versagen galten. Nach seinem Studium am MIT zieht Owen als Familienvater und Unternehmer nach Middle Falls, einem Ort voller wohlhabender und erlebnishungriger Ehefrauen, ehe er nach einem handfesten Skandal zwanzig Jahre später mit einer neuen Partnerin nach  Haskells Crossing umsiedelt,  um in Ruhe und Gelassenheit auf die verschiedenen Etappen seines Lebens zurückzublicken. Dieser biographische Rückblick liefert die Erzählperspektive des Buches, mit dem Updike gleich ein Mehrfaches versucht. Einerseits portraitiert der Roman das ländliche Amerika,  jener Lebensform, die noch immer den elastischen und ungemein widerstandsfähigen Kern der amerikanischen Identität bildet. Sodann versucht er sich an einem exemplarischen Entwicklungsroman, in dessen Verlauf sich ein zurückhaltender Workaholic („Nerie“) zum sexuell hyperaktiven Womanzier wandelt – verführt von den verheirateten Frauen aus der Nachbarschaft, die nach Abwechslung gieren und dem recht schüchteren Owen immer eindeutigere Angeboten machen. Die herrlich sinnliche Faye, die biegsame Alissa, die maskuline Vanessa, die ihm die letzten Varianten der polymorphen Sexualität enthüllt, die jugendliche Karen, für die der Sex so selbstverständlich ist wie eine Currywurst in der Mittagspause, daneben die zahlreichen „Bing-bam, thank you Ma´am“ Partnerinnen“, die er auf seinen Dienstreisen beschläft, enthüllen dem agilen Elektrotüftler die Vielschichtigkeit der weiblichen Sexualität und damit – wenigstens eine Zeitlang – eine nie geahnte Fülle des Lebens.   So vergeht die Zeit, die Kennedys werden ermordet, der Vietnamkrieg entbrennt, Owen Mackenzie fährt im offenen Cabrio dem Sonnenaufgang entgegen und lässt sich von einer Gelegenheitsbekanntschaft einen blasen (297), der Widerhall der Studentenrevolution hallt bis in die Kleinstädte, Nixon stürzt, und die Leute „gehen auf den Orgasmus los wie Falken, die sich auf junge Wachteln stürzen“(309). Und abseits von allem  thront Owens Ehefrau Phyllis Mackenzie im vollen Licht ihrer Tugendhaftigkeit im gemeinsamen Haus, um von ihrem lotterhaften Gemahl vier Kinder zu empfangen und vor seinen Affären, so gut es geht, die Augen zu verschließen.

Allerdings geraten die Dinge in Owens späten Vierzigern  ins Stocken. Das Verhältnis zur unendlich toleranten und feinsinnigen Ehefrau Phyllis erkaltet, Owens Computerfirma stagniert, und auch die sich bis zur Stumpfsinnigkeit wiederholenden Affären verlieren ihren Reiz. Bedroht von  Verwahrlosung und  leisem Lebensekel begegnet er schließlich Julia, der Frau  des neuen Pfarrers, in der er die Partnerin erkennt, die ihn von seinem promiskuitiven Nottrieb heilen kann. Ohne dass im Buch näher beschrieben wird, worin die Besonderheit ihrer Beziehung besteht und warum sie sich Owen und Julia  unsterblich ineinander verlieben, verlassen die beiden, kaum dass sie sich kennen gelernt haben, im Zuge eines Skandals ihre Ehegatten, um in einer ländlichen Nachbargemeinde ein neues Leben zu beginnen. Erstaunlich dabei, wie wohlgesonnen das Schicksal dem notorischen Ehebrecher bleibt: die betrogenen Ehefrau Phyllis, die ihren Mann die Scheidung verwehrt (376),  kommt bei einem Verkehrsunfall um Leben, und die nicht mehr sonderlich florierende Computerfirma kann zu einem Traumpreis an Apple verkauft werden.

Das war´s dann. Der Rest bleibt im Dunkeln: fünfundzwanzig Jahre lang lebt Owen sexuell domestiziert mit seiner Julia hinfort in der  abgeschiedenen Zufriedenheit von Haskells Crossing, zuerst an der Spitze eines Haushaltes mit sechs Kindern ( zwei bringt Julia noch mit in die Ehe ), dann allein und verkinscht, ohne dass sich selbst im Angesicht des herannahenden Todes die gegenseitige Liebe verliert.

Alles in allem ein rundes literarisches Werk, bei dem der Leser bedauert, dass es zu Ende gehen muss, obwohl er nicht weiß, ob es sich um ein gutes oder ein böses Märchen gehandelt hat. Updike, auf der Höhe seines Könnens, lässt den Leser darüber bis zum Schluss im Unklaren.  „Es ist eine verrückte Sache, am Leben zu sein“, heißt es auf der letzten Seite. „Kleinstädte sind dazu da, diese Verrücktheiten  zu mäßigen – vor Kinder zu verbergen, sie zum privaten Gebrauch in Flaschen abzufüllen, ihre Imperative sanft in Gewohnheiten umzumodeln, und vor dem Dunkel draußen und dem Dunkel drinnen zu schützen“(414).

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