Baring: Der Unbequeme

Bei der vorliegenden Autobiografie handelt es sich um die Lebensbeschreibung von Arnulf Baring, einem deutschen Professor, der sich sein Leben lang mit Politik in Theorie und Praxis beschäftigte und der erleben musste, wie ihn der Mainstream links überholte. Das Buch besitzt die gleichen Vorzüge wie Barings Hauptwerk „Machtwechsel“:  eine anschauliche, fast literarische Sprache, die Fähigkeit zu psychologischen Charakterisierungen und solide Faktenkenntnis

Barings Karriere beginnt direkt nach seinem Studium beim WDR, der  damals noch ein  überschaubarer, fast  familiärer Sender war ohne die extreme Linkslastigkeit wie heute. Er verlässt nach kurzer Zeit den Sender, um sich in Berlin zu habilitieren und lernt als junges SPD Mitglied die Großkopferten des sozialliberalen Milieus kennen:   Ernst Fraenkel, Kurt Sontheimer,  Walter Richter, aber auch die Protagonisten der Gruppe 47. Bei der Beschreibung dieser Persönlichkeiten  nimmt Baring kein Blatt vor den Mund, wenn er Heinrich Bölls Bescheidenheit als aufgesetzt und Walter Jens als einen widerlichen Ehrgeizling beschreibt. In den späten sechziger Jahren, als Baring Universitätslehrer wird, erwartet ihn ein Schock. Ausgebildet an einer amerikanischen Universität  mit ihrem (damals noch) liberalen Tradition von Rede und Gegenrede wird er unvermittelt mit der barbarischen Destruktion des Universitätsbetriebes durch die Achtundsechziger konfrontiert. Als  „scheißliberaler“ SPD Professor gerät er ins Fadenkreuz linker Veitztänzer, ebenso wie Ernst Fraenkel, der zum zweiten Mal erleben muss wie ihn extremistische Studenten niederschreien.  Baring engagiert sich neben Gaus, Sontheimer, Jäckel und anderen unter der Leitung von Günter Grass für Willy Brandt im Bundestagswahlkampf von 1969. Brandt, damals eine moralische Leitfigur, wird im  Rückblick von Baring allerdings kritischer gesehen: ein melancholischer, zögerlicher Mensch, um den eine große Einsamkeit herrschte, der geliebt werden wollte, sich selber aber wenig um die Liebe anderer bemühte. Trotzdem fällt ihm gegenüber Helmut Schmidt als der ewige  Besserwisser herbe ab, während Wehner als jemand erscheint, der nur am politischen Tagesgeschäft Interesse hatte.

In den siebziger Jahren nähert sich Baring dem Außenminister und späteren Bundespräsidenten Walter Scheel an, einem nach Barings Auffassung am meisten unterschätzen Politiker der bundesrepublikanischen Nachkriegsgeschichte.  Scheel, eine rheinische Frohnatur, die zu jedermann freundlich ist, ohne seine Distanz aufzugeben, ermöglicht Baring einen dreijährigen Aufenthalt im Bundespräsidialamt und die Abfassung seines Klassikers „Machtwechsel“, das 1974, ziemlich genau zur Krise der sozialliberalen Koalition erschien.

Nach dem Sturz Helmut Schmidts engagiert sich Baring für die FDP und wird 1983 aus der SPD ausgeschlossen. Auch hier wirkt das Buch, denkt man nur an Ausschluss von Thilo  Sarrazin, ungemein aktuell. Dieser Ausschluss macht Baring wenig zu schaffen, hat er doch aus nächster Nähe miterleben müssen,  wie verhängnisvoll die SPD etwa in Berlin auf kommunaler und hochschulpolitischer Ebene agierte. Der Vormarsch der radikalroten Achtundsechziger, die er als junger Professor erlebt hatte, begann nun auch in den Institutionen und sollte die gesamte Republik verändern.

So kommen die Neunzigerjahre und mit ihnen der Höhepunkt und das Ende der Ära Kohl. Schon damals wies Baring mit zunehmender Dringlichkeit auf Fehlentwicklungen hin und wird zum Lieblingsfeind linker Medien, die ihn gnadenlos mobben.  Bezeichnend, wie  an verschiedenen Stellen seines Buches, in denen Baring Vorträge und Projekte beschreibt, immer wieder von linken Störaktionen die Rede ist. Dies damals wie eine zeitgemäße Folklore deutscher Demokratie, hingenommen zu haben, begründete eine verhängnisvolle Entwicklung die bis heute zu weitgehenden Einschränkung  akademischer Meinungsfreiheit geführt hat. „Bürger, auf die Barrikaden!“ fordert Baring in einem viel gelesenen im Buch, das wirkungslos verpuffte.  Mehr und mehr wird er zum konservativen Sonderling, den die Medien wie ein Fossil aus uralten Zeiten vorführen und niedermachen. Dabei war das, was er in seinen Beiträgen über die Jahre formulierte, fast immer weitsichtig und zutreffend: die Warnung vor dem Euro, die Warnung vor einer unkontrollierbaren EZB,  die Warnung vor einer Moralisierung der Politik, vor der Staatsverschuldung und der demokratischen Gesamtkorruption durch die Parteienoligarchie.

Am Ende hat es alles nichts genutzt, schließt Baring. Persönlich ist er in Frieden und Wohlstand alt geworden, musste aber erleben, wie sich ein Linksstaat etablierte, in dem die Presse Hofberichterstattung betreibt und der Inlandgeheimdienst Jagd auf die Opposition macht. Inzwischen wird Baring nicht einmal mehr zu den Talkshows eingeladen.  Als konservativer Professor mit seiner Achtung von Recht und Argumentation ist er ein Auslaufmodell. So muss auch seine Autobiografie gelesen werden, als ein unterhaltsamer, informativer, insgesamt aber melancholischer Abgesang auf die einst erfolgreiche bundesrepublikanische Demokratie.

 

 

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