Courtemanche: Ein Sonntag am Pool in Kigali

Courtemanche _Den kanadischen Journalisten Valcourt verschlägt es nach dem Tod seiner Frau und dem Ende einer unglücklichen Leidenschaft von Quebec nach Kigali, der Hauptstadt des Staates Ruanda, wo er sich im Dienst der internationalen Entwicklungspolitik beim Aufbau eines Fernsehsenders nützlich machen soll. Schnell merkt er, dass hinter den freundlichen Mienen der Einheimischen der Hass, die Gefahr und die Gewalt lauern, denn es Valcourt in das dunkle Herz Afrikas verschlagen, in dem sich die negriden Hutu und die nilotischen Tutsis schon seit Jahrhunderten gegenseitig abschlachten. Während sich die parasitären Diplomaten- und UN-Cliquen am Hotelpool in Kigali besaufen, Golf spielen oder sich mit schwarzen Prostituierten vergnügen, braut sich ein Verhängnis über dem Land zusammen, das in den schrecklichsten Völkermord der afrikanischen Geschichte münden soll. Von der Regierung bezahlte Hutu-Milizen beginnen mit der Errichtung von Straßensperren und der zunächst nur kursorischen, dann immer zielgerichteteren Ermordung von Angehörigen der Tutsi Minderheit. Valcourt registriert das alles, er sieht die Toten, er filmt die Aidskranken, doch in Wahrheit hat er nur Augen für die Kellnerin Gentille, eine berauschend schöne Hutu, die wie eine hoch gewachsene Tutsi aussieht und deswegen in Lebensgefahr gerät. Als der Präsident von Ruanda im April 1994 bei einem Flugzeugattentat ermordet wird, bricht das Gemetzel los: Soldaten, Polizisten und Mörderbanden machen auf der Grundlage vorbereiteter Listen Jagd auf jedermann, der auch nur von Ferne wie ein Tutsi aussieht oder in den Veracht steht, mit ihnen zu sympathisieren. Fast eine Million Menschen kommen in den entsetzlichen Massakern des Jahres 1994 um, ohne das sich die Weltöffentlichkeit oder sonst so sensible Friedensbewegung sonderlich darüber aufregen würden. Im Zuge: dieser Turbulenzen werden Valcourt und Gentille, die gerade erst vor einigen Tagen geheiratet hatten, getrennt – Valcourt entkommt unter dem Schutz von UN Soldaten ins Ausland, Gentille wird als vermeintliche Tutsi von der Soldateska gefangen genommen und auf entsetzliche Weise vergewaltigt, misshandelt und verstümmelt. Erst am Ende des Buches, als eine Rebellenarmee der Tutsis die Macht in Kigali übernommen hat, treffen sich Valcourt und Gentille wieder – er ein überlebender Westler, der nicht begreifen kann, was geschehen ist – sie eine inzwischen an Aids infizierte und zerstörte Frau, die Valcourt das Versprechen abnimmt, sich für immer von ihr abzuwenden.
Zweifellos hat Courtemanche einen erschütterten Bericht über einen blinden Fleck der Gegenwartsgeschichte vorgelegt, der alle Vorurteile über den Zynismus der Großmächte, die Verkommenheit der afrikanischen Eliten und die Gleichgültigkeit der UN bestätigt. Courtemanche hat ein durch und durch aufrüttelndes Buch geschrieben, das mit Recht zu einem Welterfolg wurde – aber hat er auch einen guten Roman geschrieben? Eindeutig nein. „Ein Sonntag am Pool in Kigali“ ist mehr eine Dokumentation mit Gedanken- und Handlungsträgern die sich gegenseitig ihre Sprüche aufsagen, damit dem Leser auch ja die Moral von der Geschicht´ nicht entgehe. Das Buch spart nicht mit drastischen Szenen, aber selbst die haarsträubendsten Passagen wie der Aidstod des Valcourt Freundes Methode, die Ermoderung des Tutsis Cyprien und vor allem das Martyrertagebuch der gefangenen Gentille haben etwas Steriles, weil hier Figuren sterben, die vorher literarisch nicht wirklich zum Leben erweckt worden sind. Vom geschichtlichen oder kulturellen Hintergrund des Hutu-Tutsis Konfliktes erfährt man nur Oberflächliches, dafür ist das Buch voller charakterologischer Abziehbilder, die mehr an Comicfiguren als an literarische Gestalten erinnern. Das Verhalten der Hauptperson Valcourt, der sich vom Schänder seiner Frau bespucken lässt, ist an Unwahrscheinlichkeit kaum zu überbieten, und seine Geliebte, die schöne Gentille, ist eine einzige Projektion. Alles in allem also ein moralisch lobenswertes aber literarisch und dokumentarisch schwaches Buch. Wer wirklich etwas über den Völkermord von Ruanda erfahren will, ist bei dem entsprechenden Kapitel in Jarred Diamonds „Kollaps. Warum Gesellschaften überleben oder untergehen.“ besser aufgehoben.

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