Frankfurter Buchmesse 22.10.2021

Zwei Jahre waren nach der letzten Buchmesse vergangen, und der Neustart des Jahres 2021 erinnerte an den Besuch eines Hochsicherheitsbereiches.  Zugang erhielt nur, wer gegen Corona geimpft, genesen oder getestet war und auf der Grundlage eines online ausgefüllten Gesundheitsfragebogens vorher einen Einlasscode beantragt hatte. Wie den düsteren Abfertigungshallen eines afrikanischen Flughafens standen die Literaturfreunde  in langen Warteschlangen vor den Eingängen, um sich einer peniblen digitalen Kontrolle zu unterziehen. Ein Cordon robuster Sicherheitskräfte wachte darüber, dass kein Unbefugter durch die Reihen schlüpfte.

Einmal eingelassen, durchquerten die Besucher eine stark abgespeckte Ausstellerlandschaft, die in den diversen Hallen auf  breiten und geräumigen Durchgangsstraßen an 2000 Verlagen aus aller Welt vorüberführten.  Das klang viel, war aber gerade mal die Hälfte der Präsenz vergangener Jahre. Durfte man darauf hoffen, dass sich in der fehlenden Hälfte die „schlechten“ Bücher befanden und nur die guten Bücher auf dieser „abgespeckten“ Messe vorgestellt wurden?  Da war ich mir nicht so sicher.   Auch die Zahl der Besucher war auf 25.000 Personen pro Tag gedeckelt worden.  Waren das die besonders passionierten Leser, die die Mühen einer aufwendigen Anmeldung auf sich genommen hatten? Ich hatte keine Ahnung. Auf jeden Fall mussten sich die Besucher in diesem Jahr mit einem asketischeren Ambiente zufrieden geben.  Der Innenhof der Buchmesse, der in den vergangenen Jahren immer ein kleiner Freizeitpark mit eingebauter Fressmeile gewesen war, machte einen kümmerlichen Eindruck. Hier und da befand sich ein Kaffeestand und eine Burgerbraterei, in der Mitte eine überlebensgroße Asterix Figur, von dem sich viele fragten, was sie bedeuten sollte.

Das Gastland der diesjährigen Buchmesse war Kanada, der zweitgrößte Staat der Erde, der den Europäern im Vergleich zu seinem rüden südlichen Nachbarn traditionell als das „das bessere Amerika“ gilt. Diesem Ruf war Mary May Simon, die erste Innu auf dem Posten der kanadischen Generalgouverneurin, gerecht geworden, als sie am 20. Oktober die Frankfurter Buchmesse mit einem Geleitwort eröffnet hatte. Stolz hatte sie  auf die kulturelle „Diversity“  ihres Landes verwiesen, die nicht nur aus Alice Munroe oder Margaret Atwood bestehe sondern  auch die  literarischen Stimmen der ethnischen und sexuellen Minderheiten umfasse. Beispielhaft für diese Diversity war etwa Vivek Shraya,  die zur Delegation des Gastlandes gehörte.  Vivek Shraya wurde als  „preisgekrönte Transgender Autorin“ vorgestellt, die sich vor allem für die Rechte von LGBTQ-Personen einsetzte. Ihre Mitkämpferin Catherine Hernandez war eine „People of Color“, die mit Stolz auf ihre philippinischen, spanischen, chinesischen und indianischen wurzeln verwies . Ihr viel besprochene Roman „Crosshair“ handelte von einem Kanada in naher Zukunft, in dem People of Color und LGBTQ-Personen in Lagern eingesperrt wurden. Wären die Diabetiker in Kanada auch eine nationale Minderheit, würden ihre literarischen Exponenten wahrscheinlich ein zukünftiges Kanada beschreiben, in dem Diabetiker in Lager eingesperrt würden.  Ein ketzerischer, unkorrekter Gedanke, ich weiß, aber ich kann nicht anders.

In eine ganz anderen Gewichtsklasse als Vivek Shraya oder Catherine Hernandez gehört der  Franko-Innu Michel Jean, auf den ich bei der Vorbereitung meines Buchmessebesuches gestoßen war. Michel Jeans Urgroßmutter Almanda  war als Waise bei Verwandten aufgewachsen und hatte sich als blutjunges Mädchen in den Innu Thomas Siméon verliebt. Als seine Ehefrau lebte sie  bei dem Nomadenvolk ihres Gatten und wurde im Laufe ihres Lebens Augenzeuge und Betroffene des Niedergangs der Nomadenvölker, die zur Sesshaftigkeit in Reservaten gezwungen wurden. Über dieses Leben hatte Michel Jean den Roman „Kukum geschrieben, einen Familien- und Mehrgenerationenroman im besten Sinne, in dem sich der Wandel einer ganzen Gesellschaft anhand konkreter Personen wiederspiegelt. Das interessierte mich, weil ein guter Freund von mir zurzeit das gleiche am Beispiel Polens versuchte. Der Roman „Kukum“ war in  deutscher Übersetzung pünktlich zu Buchmesse im Wiesner Verlag erscheinen. Er kostete 21 Euro und stand auf meiner diesjährigen Buchmesse-Leseliste an oberster Stelle.

So aufwändig auch die Eröffnungsfeier der Buchmesse gewesen war, so hat waren die Zeiten.  Wer wollte das leugnen?  Obwohl der Gesamtumsatz des Buchhandles im Corona Jahr nicht zurückgegangen war, waren die Kosten stark gestiegen. Deswegen war Sparen angesagt, das war auf der ganzen Buchmesse zu spüren. Ein Indiz dafür war die Knausrigkeit, mit der die Verlage über ihre Literaturbeilagen wachten. Bei der FAZ, an deren Stand man sich früher reichlich mit Probeexemplaren eindecken konnte, wachten drei energische Herren über die Bestände und forderten für jedes Probeexemplars die Adresse für ein Probeabo. Mit dieser Methode hatte ich bereits bei der Süddeutschen Zeitung schlechte Erfahrung gemacht. Deswegen trat ich an den Tresen und sagte: „Ich habe für diese Zeitung jahrelang geschrieben. Kann ich mir jetzt ein Probeexemplar nehmen?“ „Wenn sie jahrelang für die FAZ geschrieben haben, fangen Sie doch wieder an, die Zeitung zu lesen“, erwiderte der Angestellte und hielt mir das Anmeldeformular unter die Nase. „Nein“, erwiderte ich störrisch, „ich will ein Probeexemplar ohne Adressenangabe.“ „Sind Sie denn inkognito hier?“ fragte mich der Angestellte. „Nein.“ „Warum wollen Sie denn dann ihre Adresse nicht angeben?“ „Weil ich kein Probeabo will.“ „Warum wollen Sie denn die Zeitung lesen?“ „Weil sie gelegentlich noch immer ganz interessant ist.“ „Na gut, dann nehmen Sie sich eine Zeitung“, erwiderte der FAZ Mann und wandte sich ab.

Ich nahm eine Zeitung, es war die Tagesausgabe vom 22. Oktober 2021. Gute alte FAZ dachte ich, wie habe ich dich geliebt. Du Sammelbecken geschliffener Feuilletonisten, glasklar argumentierender Ökonomen und verantwortungsvoller Herausgeber, was ist aus dir geworden? Einen Rest der alten Witzigkeit entdeckte allerdings noch im Titel einer Spaltenmeldung auf der ersten Seite: „Scholz soll nach Nikolaus Kanzler werden“, hieß es dort.  Sonst aber fand ich nur den sattsam bekannten politisch korrekten Einheitsbrei, wohin ich auch blätterte.  Frank Schirrmacher hatte ganze Arbeit geleistet.

Nicht weit vom FAZ Stand entfernt, befand sich das „Forum Bildung“. Bemerkenswert an ihm war, dass die Zahl der Diskutanten auf dem Podium mitunter höher war als die Zahl der Zuschauer vor der Empore.  Als ich an dem Stand eintraf, stritten sich gerade der Journalist Christian Füller und ein Herr Dr. Ilas Körner-Wellershau heftig über Fragen des „Digitalpakts Schule“. „Wir müssen den Anfängen wehren“,  meinte Christian Füller. „Nein, brauchen wir nicht“, widersprach Dr. Ilas Körner-Wellershau. „Es geht nicht an, dass der Staat nicht nur Erziehungsziele setzt, sondern auch noch die Bildungsmedien vorgibt“, insistierte Herr Füller  „Alles Quatsch“ sagte  Dr. Ilas Körner-Wellershaus.  „Doch“,  beharrte Christian Füller: „Der Bund bemächtigt sich der Bildung, wozu er überhaupt keine Berechtigung hat.“  „Stimmt nicht“,  kommentierte Dr. Ilas Körner-Wellershau. Es folgte ein temperamentvoller Vortrag, in dem der Herr Füller  mit lauter Internas aus der Bildungsdiskussion um sich warf, deren  Einzelheiten kein Mensch verstand. Nur Dr. Ilas Körner-Wellershaus mit seinen intervallweisen Einwürfen wie „Das ist doch Unsinn“. „Alles Quatsch“ und „Stimmt nicht“ war wie ein Generalbass zu hören.

Erheblich ruhiger ging es bei der „Edition Faust“ zu. Ich durchblätterte einen ansprechend aufgemachten Band mit Zeichnungen und entdeckte, dass es sich um  Goethes „Faust“ handelte, textadaptiert von Jan Krauß und illustriert von Alexander Pavlenko. „Hierbei handelt es sich um eine sogenannte „Gothic Novel“, informierte mich eine ältere Dame. Sie repräsentierte den Typ ältere Großmutter mit einer Anmutung von Strenge, wenn der Enkel gar zu dumme Fragen stellte. „Mit solchen modernen Medien holen wir die Schüler im Literaturunterricht genau da ab, wo sie sich befinden“, erklärte sie.  „Ein schönes Buch“, gab ich zu, „aber wie muss ich mir den Vertrieb eines solchen Werkes vorstellen?“ fragte ich, „Gehen Sie mit den Büchern im Gepäck zu den Buchhandlungen und bieten Sie Werke wie Teppichmuster an?“  „Sie sind wohl nicht vom Fach“,  mutmaßte die Dame.  „Alles läuft doch heute über Rezensionen und über das Netz.  Aufmerksamkeit für ein Buch führt zu Bestellungen der Buchhandlungen und bei den Grossisten.“  Es war also nicht so, dass in den Buchhandlungen eine hunderttausendfache völlig unbeeinflusste Abstimmung auf Seiten der Käufer stattfand, aus denen sich der Bucherfolg ergab, sondern der Bucherfolg wurde von vorne herein durch die Aufmerksamkeit begründet und limitiert, die ein Buch bei Zeitungen und Medien fand.  Alexander Pavlenko, der Zeichner des Faust Buches, trat an uns heran und hörte aufmerksam zu. Er war ein sympathischer Mann mit einem runden Kopf und großen Augen. Möglicherweise hatte er die Netflix Serie „Midnight Mess“ gesehen, denn er  zeichnete in seinem Faust-Comic den Mephisto wie den bösen Engel, der die Gemeinde in der Mitternachtsmesse übel zurichtete. „Kaufen sie doch ein Buch für eines ihrer Kinder“, forderte mich die Dame auf. „Wenn dann für unseren Enkel“, antwortete ich. „Das aber erst in einigen Jahren, wenn er lesen kann.“ „Die Bilder kann er aber jetzt schon ansehen“, meinte die Dame. „Bilder ohne Text sind keine Literatur“,  gab ich zu bedenken.“ „Nein, sie sind der Anfang der Literatur“, widersprach die Dame.  „Denken Sie nur an die Bilderbücher, die ihr Enkel liest.“ Eins zu  null für die Großmutter dachte ich, bedankte mich für das Gespräch und ging weiter.

Am Stand der Deutschen Bundesbank fragte ich eine junge Frau im Businesskostüm  nach dem Kondolenzbuch für Jens Weidmann. Sie war der adrette Bankertyp, ganz leicht geschminkt und auf strikte Kundenzuwendung gepolt. „Welches Kondolenzbuch?“ fragte sie mit leichtem Augenflattern. „Ist denn jemand gestorben?“ „Ja, die Bundesbank, aber das ist schon eine Weile her“, gab ich zurück. „Der Rücktritt von Herrn Weidmann macht das nur noch einmal besonders deutlich.“ „So würde ich das nicht sehen“, widersprach die Bankerin. „Wir haben doch jetzt die Europäische Zentralbank. Die sorgt für die Geldwertstabilität.“ „Aber die Inflation hat doch bereits die 5 % Marke erreicht“, gab ich zu bedenken.“ „Ein vorübergehendes Phänomen“, beruhigte mich die junge Frau. „Sie werden sehen, im nächsten Jahr wird sich alles wieder normalisieren.“  Darüber hätte ich gerne weiter diskutiert, doch die Aufmerksamkeit der jungen Frau wurde durch eine Schulklasse in Beschlag genommen, die sich am Stand breit machte. Es waren Oberstufenschüler auf Buchmessenbesuch, die die ausgestellten Broschüren musterten. Ihre Titel lauteten „Geldpoltik“  „Fiskalismus“ oder  „Währungsstabilität“. „Wie uncool“, meine eine Schülerin jund wandte sich ab.

Kurz darauf erreichte ich das „Forum freier Autoren“, an dem gerade eine Lesung stattfand. Der Name des Autors war Dalibor Markovic und sein Buch trug den Titel  „Pappel. Die  Geschichte eines Herumtreibers.“ Wie der Moderator in seiner Vorstellung ausführte, begann die Handlung dieses Buch  am 3. Juli 1883, als nicht nur Franz Kafka, sondern auch eine „Pappel“ im Wald „geboren“ wurde. Diese Pappel machte sich davon, als die Holzfäller nahten und wanderte anschließend als  „Konrad Pappel“ durch anderthalb Jahrhunderte europäischer Geschichte. Der Autor Dalibor Markoviz nickte beifällig zu der Kurzeinführung des Moderators.  Ja, ja, so erzähltechnisch innovativ war sein Buch. Er war ein kräftiger Mann in mittleren Jahren, der in dunkler Jeans und dunklem Pull hinter einem weißen Tisch saß und nun zu seinem grünen Buch griff und las.  Die Handlung sprang zwischen Zeiten und Handlungsebenen hin und her wie ein Pingpongball der von einem Dutzend Spieler nach eigenem Gusto geschlagen wurde.  Ich verlor bald den  roten Faden, wenn es denn überhaupt einen gab und spürte, dass dieses Buch nichts für mich war.  Konservativ wie ich bin, liebe ich den realistischen Roman, weil er alleine sich der Aufgabe stellt, die Welt zugleich zu erzählen und zu transzendieren. Möglich, dass ich mit diesem altbackenem Ansatz dem Konrad Pappel-Werk nicht gerecht wurde, aber dergleichen fantastische Literatur erinnert mich immer ein wenig an Kriminalfilme, in denen die komplizierten Fälle am Ende einfach dadurch gelöst werden, dass sich Kommissar und Täter als Geister entpuppen und durch die Wände gehen können.

Am Stand des  Verlags Kiepenheuer und Witsch entdeckte ich das Konterfei von Johannes Lottmann auf einer großen Autorenleinwand rechts unten, was mir fast ein wenig hintersinnig vorkam.  In seinem neuesten Roman „Sterben war gestern. Aus dem Tagebuch eines Jungenforschers“ hatte er eine Szene beschrieben, in der er zusammen mit einem Freud auf dem Flughafen von Wien auf den Flug nach Berlin wartet. Dem Freund grauste vor der Reise nach Deutschland, weil er mutmaßte, dass dort Nazis und Ultrarechte unmittelbar vor der Machtergreifung stünden. Lottmanns alter ego Joachim Lohmer fürchtet sich vor den übergriffigen „Cancel Cultur“, die in Deutschland immer weiter um sich greife.  Da konnte man wieder einmal sehen, wie sehr sich die Wahrnehmung der gleichen  Wirklichkeit unterscheidet, je nachdem in welchem Kopf sie sich zusammensetzte. Johannes Lottmann gehörte zu den wenigen, in dessen Büchern sich diese unterschiedlichen Wirklichkeiten wenigstens im Ansatz widerspielten. Übrigens befanden sich genau in der Mitte der Autorenwand – aber auch nur, weil ihre Namen mit G und H begannen – die Portraits von Che Guevara, Robert Habeck und Ethan Hawke. Ein Freiheitskämpfer, ein Grüner und ein Romantiker nebeneinander – konnte man das Verlagsprogramm besser auf den Punkt bringen?   Mit einer älteren Messebesucherin kam ich über die Konterfeis ins Gespräch und verwies darauf, dass Robert Habeck nun im Gesicht etwas dicker geworden sei.  „Das Gesicht wird noch dicker, wenn er erst einmal Minister ist“,  meinte die Dame, „denken sie nur an Joschka Fischer.“   Das brachte mich auf den   Zusammenhang von Dicksein, Lesen und Schreiben. Ist man umso dicker, je mehr man liest, und wird man ums so schlanker, je mehr man schreibt? fragte ich mich. Auf diese Weise wäre wenigstens gewichtsmäßig zwischen Leser und Autoren eine Art Gleichgewicht bergestellt. Tatsächlich fielen mir auf Anhieb nur sehr wenige „dicke Autoren“  ein. Jonathan Franzen schrieb  einen Achthundert-Seiten-Roman nach dem nächsten und wurde einfach nicht dicker. Philip  Roth war bis zum Ende seines Lebens ein hagerer Drahtesel gewesen, ebenso wie Thomas Bernhard und  John Updike. Dennis Scheck fiel mir ein, der war dick, aber der war ja auch ein Kritiker.

Mit diesen Gedanken beschäftigt, stieß ich auf das „Forum freier Autoren“ und spazierte ein wenig die Bücherwände entlang. Am meisten interessierten mich die Bücher der „Edition Loschwitz“, die mit einer Reihe beachtlicher Autoren aufwarten konnte. Ich blätterte in Jörg Bernigs Buch „Der Wehrkäufer. Eine Geschichte aus Prag“ und in der Kurzgeschichte „Exil“ von Uwe Tellkamp.  Der Plot von Jörg Bernigs Buch hatte etwas Rührendes. Ein älterer Schriftsteller mietet sich ein Zimmer in Prag mit Blick auf die Moldau, schaut zum Fenster heraus und wird von der Stimmung der Stadt und seinen Erinnerungen überwältigt. Uwe Tellkamp, seit „Der Turm“ der bedeutendste deutsche Romancier der Gegenwart, hat in seinem Büchlein „Das Atelier“ einen kleinen Vorschein auf seinen lange erwarteten Roman „Lava“ gewährt, der im kommenden Jahr erscheinen soll. Die Rezensenten wetzen bereits die Messer. Auch die Essaysammlung „Krumme Gestalten, vom Wind gebissen“ von Monika Maron war in der Edition Loschwitz erschienen. Herausgeberin der „Edition Loschwitz“ war Susanne Dagen, die in Dresden das Buchhaus Loschwitz betrieb.  2017 war sie in das Fadenkreuz der politischen Tugendwächter geraten, als sie nach linksradikalen Angriffen auf den Antaios Verlag der Buchmesseleitung in ihrer „Charta 2017“ eine Verengung des literarischen Korridors vorwarf.  Besonders „shocking“ für das Establishment war ihre Teilnahme an der Literatursendung „Aufgeblättert, zugeschlagen. Mit Rechten lesen“  in der sie zusammen mit Ellen Kositza, der Gattin des rechtskonservativen Gottseibeiuns Götz Kubitschek, neu erschienene Bücher besprach. Die Folgen ließen nicht lange auf sich warten. Die linke Öffentlichkeit der Stadt veranstaltete ein peinliches Scherbengericht, und betrieb den Ausschluss von Frau Dagen von öffentlichen Tagungen. Spiegel und ZEIT bezeichneten sie als „pegida-nah“ und „AfD-affin“, bis die vermummten Fußtruppen des Zeitgeistes  im April 2021 ihre Buchhandlung mit  Buttersure und Pyrotechnik verwüsteten.

Die Person, die sich von diesen Stigmatisierungen nicht ins Bockshorn jagen ließ und unerschrocken weiter ihre Meinung sagte, saß zum Zeitpunkt meines Besuches am Rand einer  Bücherwand und telefonierte.  Gerne hätte ich mit Frau Dagen ein paar Worte gewechselt, aber solange ich auch wartete, das Telefonat wollte nicht enden, und so machte ich mich von dannen. Als ich später noch einmal vorbeischaute, war sie leider nicht mehr da.

   Ich wurde müde und suchte einen Kaffeestand. Leider wurde ich nicht fündig, da es das Azubi Café, das mir die letzten Jahren so viel Freude bereitet hatte, nicht mehr gab. Mir brummte der Kopf, die Glieder wurden mir schwer, und so begab ich mich einfach zur nächsten Lesung, bei der noch Plätze frei waren. Auf diese Weise landete ich bei dem Lyriker Thomas Maria Mayr, der aus seinem Gedichtband „52“ las. Thomas Maria Meyer  glich einem schlanken amerikanischen CEO, dem man das Jackett weggenommen hatte. Sein Gesicht war scharf geschnitten und sein  Vortrag emphatisch. In Erinnerung geblieben sind mir Sätze wie „Der Hass lagert sich in Form von Mikrobytes an unseren Gehirnstränden ab.“ Oder: „Finger für Finger öffne ich die Faust und lasse das Wort fliegen.“ Nach jedem Gedicht blickte Herr Mayr ernst in die Runde und gab ein paar zurückhaltende, aber erhellende Kommentare. Hier war ein Dichter am Werk, der sich und sein Werk ernst nahm und dem es gelang, seine Selbstergriffenheit auf sein Publikum zu übertragen. Dramaturgischer Höhepunkt war der Vortrag eines Gedichtes  über eine Krebserkrankung, das Herr Mayr zuerst vorwärts, dann rückwärts las, wobei sich der Sinn völlig veränderte:

Am Stand des Deutschlandfunks war der Zuhörerbereich mitsamt der Stühle säuberlich vom Durchgangsbereich abgetrennt und gut besetzt. Die Moderatorin Anja Gutzeit interviewte die Philosophin Svenja Flaßpöhler über ihr Buch „Sensibel. Über moderne Empfindlichkeit und die Grenzen des Zumutbaren“ . Svenja Flaßpöhler war eine intelligente, glänzend aussehende und eloquent formulierende Philosophiejournalistin, die bereits 2018 mit ihrem Buch „Die potente Frau“ dem Zeitgeist unangenehm aufgefallen war, weil sie bestimmte Übertreibungen der „MeToo-Bewegung“ auf die Schippe genommen hatte. Nun schlug sie mit ihrem Sensibiltätsbuch, wenngleich etwas sensibler, in die gleiche Kerbe. Auf der Grundlage einer Durchmusterung der Geschlechtergeschichte vom rüden Ritter Johann bis zum veganen Sitzpinkler unserer Tage konstatierte sie einen unbestreitbaren Fortschritt in der Geschichte der Sensibilität. Allerdings gäbe es zwei Begriffe der Sensibilität, die man unterscheiden müsse: den ersten beschrieb Frau Flaßpöhler als eine emotionales Offensein für die Gefühle und Nöte der Umwelt, also im Grunde als das, was Jesus als „Nächstenliebe“ praktiziert und Willy Brandt „Compassion“ genannt hatte. Dass diese Art der Sensibilität heute so verbreitet sei, sei ganz wunderbar, behauptete Frau Flaßpöhler, fügte aber warnend hinzu, dass wir mittlerweile so weit seien, dass die Sensibilität das zuträgliche Maß überschreite. Die Sensibilität hypertrophiere, werde immer selbstbezüglicher und verwandle sich schließlich in „Reizbarkeit“, so dass am Ende die Formel gelte:  „je sensibler, je reizbarer“. „Stellen wir uns vor“, verdeutlichte sie ihre These, „jemand kocht ein wunderbares Abendessen und lädt Gäste ein. Doch niemand kann dieses Gericht essen, weil alle Gäste an Unverträglichkeiten leiden. Der eine ißt keinen Fisch, der andere hat eine Weizenallergie und ein dritter nimmt nach 18:00 Uhr nichts Schweres mehr zu sich. Das alles sei problematisch, meinte Frau Flaßpöhler, aber noch bedenklicher würde die Situation durch das sogenannte „Tocqueville-Paradoxon“. Der französische Soziologe Alexis de Tocqueville hatte anhand seiner Betrachtungen zur sozialen Gleichheit in den Vereinigten Staaten festgestellt, dass die Sensibilität für Ungleichheit in dem Maße zunimmt, in dem sie verschwindet, so dass, obwohl die Gesellschaft bereits extrem gleich sei, das letzte Quäntchen der Ungleichheit als katastrophale Ungerechtigkeit empfunden würde. Das war ein starker Gedanke, der den gesamten Diversitäts-, Rassismus- und Antisemitismushype der  gegenwärtigen Medienszene relativierte. Denn so bedauernswert jeder einzelne Fall von Antisemitismus, Rassismus oder Frauenverachtung noch immer ist, kann niemand allen Ernstes bestreiten dass die diesbezüglichen Verhältnisse in den westlichen Ländern unendlich viel positiver sind als früher. Trotzdem sind die Zeitungen voll von Klagen über Rassismus Antisemitismus und Frauenunterdrückung. Der letzte Rest an Ungleichheit bzw. Ungerechtigkeit wird kurz vor seinem völligen Verschwinden grotesk überzeichnet und skandalisiert. Mit diesem Gedankengang, den die Autorin sowohl bei ihrem Vortrag wie auch in ihrem Buch nur sehr vorsichtig andeutete, lag Frau Flaßpöhler goldrichtig, segelte aber gefährlich hart am Mahlstrom der politischen Korrektheit. Das schien ihr bewusst zu sein, denn sie wurde plötzlich sehr vorsichtig, als die Rede auf den Miniaturskandal um Jasmina Kuhnke kam. Die Twitterin Jasmina Kuhnke alias „Quattromilf“ hatte publikumswirksam den Besuch der Buchmesse boykottiert, weil sie sich von der Anwesenheit rechter Verlage an Leib und Leben bedroht fühlte. Wen Einzelheiten zu dieser Quisquilie erfahren möchte, der klicke hier.(LINK)  Anstatt das Verhalten von Jasmina Kuhnke inklusive ihrer Unterstellungen als Paradebeispiel für das Tocqueville-Paradoxon anzuführen, wechselte Frau Flaßpöhler plötzlich die Betrachtungsebene und beklagte, dass Frau Kuhnke ihre Teilnahme an der Buchmesse abgesagt habe, „anstatt dem Rassismus offensiv entgegenzutreten“. Es war frappierend zu sehen, wie hier eine intelligente Angehörige der Medienklasse aus Angst vor der politischen Korrektheit komplett aus dem Denkmuster ihres Buches ausstieg und einen Kotau vor der Twitter-Öffentlichkeit vollzog. Schade, Svenja, dachte ich, dein Denken ist weiter als du.

Wie es der Zufall wollte, stieß ich nur wenige Meter vom Stand des Deutschlandfunks auf die bösen Jungs vom Jungeuropa-Verlag und der Zeitschrift  „Die Kehre,“ Waren das nicht die Messestände, von denen sich die Mordbuben sammelten, die Jasmina Kuhnke an dem Leben trachteten? Donnerwetter, dachte ich, diese finsteren Gestalten will ich mir einmal anschauen. Aber die jungen Leute, die hinter dem Tresen standen und mit den Besuchern diskutierten, sahen gar nicht wie Gewalttäter aus. Auf dem ersten Blick glichen Sie jenen konservativen Oberstufenschülern, die man von seiner eigenen Schulzeit her kannte, d.h. adretten, höflichen jungen Leuten in altbackenem Outfit, von denen man sicher sein könnte, dass sie ihre Hausaufgaben machten und den Anweisungen des Lehrers folgten.  Aber wie sagte Adorno?  „Das Böse tarnt sich gerne als sein Gegenteil“.  So griff ich zur viel gescholtenen Zeitschrift „Die Kehre“ und suchte dort nach Anhaltspunkten für faschistischen Blutdurst. Aber Fehlanzeige auch hier. „Die Kehre“, so genannt nach einer bestimmten Umbruchphase der Heidegger´schen Philosophie, war eine ökologisch ausgerichtete Zeitschrift, in der man Informationen zum „Froschmassensterben in Australien“ oder dem „Grasland als Ökosystem“ finden konnte. Im Mittelpunkt des Heftes stand ein Portrait des konservativen CDU Politikers und Ökologen Herbert Gruhl, einem Mitbegründer der grünen Bewegung in Deutschland, der später durch Angehörige von K-Gruppen wie Jürgen Trittin und Spontis wie Joschka Fischer aus grünen Bewegung herausgedrängt worden war. Die immer sympathisch daherkommende Jutta Ditfurth hatte dem alten Gruhl zum Abschied das Etikett eines „Ökofaschisten“ hinterhergeworfen. Das sah Joachim Wiessner, der Autor des Kehre Artikels über Gruhl, begreiflicherweise ganz anders. Anhand der Gruhl´schen Schriften entwickelte Wiessner die Grundstrukturen einer  konservativen Ökologie, die ihr Heil im Verzicht und in einer sozialverträglich organisierten Rückführung des Konsumniveaus sucht. Das hörte sich sehr nach Annalena Baerbock an, wenngleich die konservativen Ökologen der „Kehre“ jegliche  Zuwanderung aus ökologischen Gründen strikt ablehnten.  Es war mir schleierhaft, wie jemand,  noch alle Tassen im Schrank hatte, diesen etwas spießig daherkommenden Burschenschaftlern Mordabsichten unterstellen konnte. Das war nur möglich, wenn man in der eigenen, selbst geschaffenen Blase derart gefangen war, dass der originäre Kontakt zur Wirklichkeit gegen null tendierte. Allerding war Kontakt zur Wirklichkeit schon lange keine notwendige  Bedingung für kulturelle Geltung mehr. Solange STERN und ZEIT, ARD und ZDF dergleichen Hystisierungen willige Bühnen boten, spielte die Wirklichkeit keine Rolle mehr. Ein ehemals sehr guter Freund fiel mir ein, der mir vor Jahren einmal sagte „Wirklichkeit wird überschätzt.“ Er hatte mehr Recht gehabt, als ich damals ahnte.

Nur wenige Meter vom Stand des Deutschlandfunks und des Jungeuropastands  entfernt herrschte bei der FAZ starker Andrang, denn hier sprach Antja Ravic-Strubel über ihr Buch “Blaue Frau“, das nur wenige Tage vorher mit dem deutschen Buchpreis 2021 ausgezeichnet worden war. Frau Ravic-Strubel war 1974 als Antje Strubel geboren worden und hatte sich den fremdländisch klingenden Beinahmen „Ravic“ erst  zugelegt, als sie in der Literaturszene bekannter wurde.  Ihr neuestes Buch „Blaue Frau“ erzählte die Geschichte einer jungen Frau, die  in einem Ferienressort auf schreckliche Weise missbraucht wurde und vor ihrem Peiniger nach Helsinki floh, was die Moderatorin der FAZ verwunderte, weil sie sich Helsinki als trist und grau vorstellte und sie sich fragte, wie man in einer solchen Stadt von einer seelischen Verwundung genesen könne. Donnerwetter, dachte ich, so weitgereist, sind die Redakteure unseres ehemaligen Premium-Blattes Auch Frau Radvic Strubel wunderte sich über die Frage, gab aber gerne ein paar positive Helsinki Impressionen zum Besten. Auch der Rest des Gespräches zerfaserte etwas, so dass es mir nicht gelang, einen einzigen fassbaren Gedanken festzuhalten, was aber nicht an der Autorin sondern an der Moderatorin lag. Nicht jeder hatte die Traute wie Arnold Stadler, der auf eine besonders blöde Frage des Moderators antwortete: „Diese Frage will gestellt sein, aber ich habe im Augenblick keine Ahnung, wie ich sie beantworten soll.“ Die Art, wie sich Frau Ravic Strubel angesichts der halbgaren Fragen wacker schlug, gefiel mir aber, und ich nahm mit vor, die „Blaue Frau“ etwas näher anzusehen.

Inzwischen war ich nicht nur müde, sondern auch noch hungrig.  Ich lief   zum Burgerstand im großen Hof des Messegeländes und erwarb ein Stück lauwarmes Fleisch, das zwischen zwei knochenharte Semmelscheiben eingeklemmt war. Es schmeckte scheußlich, tröstete mich aber insofern, als  dass kaum ein Buch auf diese Messe schlechter sein konnte als dieser Burger. Mit dem Kaffee war es etwas besser. Er gab mir die Kraft, mich ins Festhaus der Messe zu schleppen, wo ich meinen Messebesuch im prachtvollen Forum der ARD beenden wollte. Die Halle, in der dieses Forum stattfand, war riesig. Schade nur, dass sich vielleicht gerade mal 80-100 Zuhörer in dem gewaltigen Auditorium verloren. . Das mochte aber auch an der Veranstaltung liegen. Viele Zuhörer hatten das Forum nach dem Ende des Interviews mit dem Soziologen Amin Nassehi verlassen, und eine neue Crew machte sich auf der Bühne breit.  Interviewt wurden die Schriftstellerinnen Kirsten Fuchs und Felicitas Hoppe sowie der Übersetzer Stefan Moster. Die Moderatoren waren Marie Schoeß und Niels Beintker vom Bayrischen Rundfunk. Kirsten Fuchs, eine junge Frau mit keckem leicht ruckhaften Körperbewegungen und einer samtweichen Stimme hatte das Jugendbuch „Mädchenmeuterei“ bei Rowohlt veröffentlicht, Felicitas Hoppe, die mir schon als Reiseschriftstellerin bekannt war, hatte die „Nibelungen“ neu erzählt, und der etwas ältere Stefan Moster hatte die Übersetzung von Volker Kilpis Monumentalwerk „Im Saal von Alastalo“ aus dem Finnischen vorgelegt – mit anderen Worten: die Bücher der drei Podiumsgäste hatten nichts, aber auch gar nichts miteinander zu tun.  Dass stellte die beiden Moderatoren vor ein Problem, das sie mit Hilfe der Reise-Metapher zu lösen versuchten.  Ja, ob denn die schriftstellerische Arbeit einer Reise gleiche, fragte der Moderator Frau Fuchs mit einem zarten Singsang in der Stimme, als entringe sei seine Frage die Frucht jahrelanger Meditation. „Auf diese Metapher bin ich jetzt nicht vorberietet“, gab Frau Fuchs trocken zurück. „Aber sie sei von ihrer Ausbildung her Tischlerin, und da wusste sie, dass man am Beginn der Arbeit sehr genaue Vorstellungen darüber  haben müsse, was am Ende herauskommen sollte.  Felicitas Hoppe, die einzige, die drei, die schon einmal durch eine Reise-Veröffentlichung von sich reden gemacht hatte, ging auf die Frage nach dem Reisen als Modell des  Schaffensprozesses mit einer dialektischen Denkbewegung ein, deren Pointe den Moderatoren entging. Reisen sei ein dreifach zu unterscheidendes Phänomen, sagte sie. Da sei zuerst die Vorfreude, dann die eigentliche Reise, die manchmal gar nicht so toll sei, und schließlich komme die Zeit nach der Reise, in der sie Zeit finde, über die Reise zu schreiben, so dass bei ihr die Reise keine Metapher für das Schreiben sondern die Voraussetzung für das Schreiben sei. Die Moderatoren zeigten keine erkennbare Reaktion auf diese Antwort,  sondern gaben die Frage gleich weiter an  den Übersetzer Stefan Moster, der bislang mit mürrischer Miene auf seinem Stuhl gesessen hatte, als frage er sich, was er in diesem Kreis zu suchen hatte. Ganz unberechtigt war diese Frage nicht, denn von den drei Podiumsgästen hatte Stefan Moster zweifellos das beachtlichste Werk vorgelegt: die Übersetzung des finnischen 1000-Seiten Epos „Im Saal von Alastalo“ von  Volker Kilpi. Volker Kilpo, der Autor dieses Werkes, war eine literarische Jahrhundertgestalt wie Proust oder Joyce gewesen. Dreißig Jahre lang hatte er nach 1900 nichts mehr veröffentlicht, ehe er 1933 seinen „Saal von Alastalo“ vorgelegt hatte. Das Buch spielte an einem einzigen Nachmittag und repräsentierte als Nationalepos das Finnland des 19. Jahrhunderts. Über dieses bei uns vollkommen unbekannte Werk und die Geschichte seiner Übersetzung hätte ich gerne mehr erfahren, doch die Moderatoren blieben unverdrossen bei ihrer Reise-Metapher. Mir war, als entringe sich dem Publikum ein leises Stöhnen, als der Moderator tatsächlich an Herrn Moster die Frage stellte, ob denn auch die Übersetzung eine Reise sei. Erwartungsgemäß konnte Herr Moster mit dieser Frage überhaupt nichts anfangen. Beim Übersetzen gehe es nicht um Reisen erwiderte er schließlich, sondern um Auswahl. Manchmal stand er während seiner Arbeit vor der Entscheidung, ob er eine  semantisch exakte Übertragung oder ein im Gesamtkontext besser klingendes, wenngleich nicht so genau treffendes  Wort wählen sollte. Das Gespräch plätscherte weiter, und es ergab sich der merkwürdige Zustand, dass die Fragen und die Antworten immer weiter auseinanderdrifteten. Man hätte fast von einer postmodernen Aura sprechen können, in der „alles ging“, wenn es nur nicht so extrem langweilig gewesen wäre. Auch ich fühlte mich nach dem Essen furchtbar müde und merkte, dass ich vor der Wahl stand, entweder auf der Stelle einzuschlafen oder aufzustehen und den Heimweg anzutreten. Auf der anderen Seite widerstrebte es mir, meinen Besuch mit einem so langweiligen Gespräch enden zu lassen, ganz abgesehen davon, dass ich damit weder Kirsten  Vogt, Felicitas Hoppe und schon gar nicht Stefan Moster gerecht wurde. Aber so verhält es sich einfach. Bevor die Bücher zu uns sprechen können, müssen Sie erst einmal durch den Fleischwolf der Medien gedreht werden, das hatte mir doch die großmütterliche Dame am Stand der „Edition Faust“ erklärt. Mitunter werden sie dabei auch so  verhunzt, dass sie kaum noch erkennbar sind.

So verließ ich die Buchmesse in der Dunkelheit. Hunderte strömten mit mir auf die Straße, bepackt mit Taschen voller Broschüren und Zeitungen, die sie zuhause brav studieren würden. Ich fuhr mit dem Bus zum Rebstockparkplatz, bezahlte 16 Euro für das Tagesticket (!), fand meinen Wagen und fuhr heim. Hatte es sich gelohnt? fragte ich mich am Frankfurter Kreuz. Svenja Faßpöhler, Antje Ravic Strubel, Jamina Kunhke, Thomas Maria Mayr und Qauttomilf, Dalibor Markovic, der Jungeuropaverlag und Stefan Moser defilierten in der Erinnerung an mir vorüber. Was verband sie miteinander? Was verband sie mit dem Publikum? Ich fuhr und fuhr und fand keine Antwort.

 

 

 

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