Der kleine Quattromilf-Skandal

Wer kennt noch Marcel Reich-Ranicki? Gerade mal acht Jahre ist der ehemalige Literaturpapst tot und fast schon vergessen. Dabei hat er uns Nachgeborenen noch manch Wichtiges zu sagen. In den hitzigen Tagen der heraufdämmernden 68er Kulturrevolution schrieb er jungen Aktivisten folgende Mahnung ins Stammbuch:  „Wer in diesem Land ein Schriftsteller sein will, doch nicht schreiben kann, der wendet sich geradezu automatisch der Gesellschaftskritik zu„. Damit formulierte er gleichsam nebenbei ein Grundprinzip literarischer Korruption, das heute aktueller denn je ist. Wenn man in dem Zitat „Gesellschaftskritik“ im Jahre 2021 durch „Kampf gegen rechts“ ersetzt, hat man eine perfekte Beschreibung der heutigen Verhältnisse. Wobei ich persönlich natürlich nichts gegen den Kampf gegen rechts habe, vorausgesetzt, es handelt sich um gewalttätige Rechtsradikale und nicht nur um konservative Bürgerliche, die einen zarten Dissens zum kulturellen Mainstream anmelden.

Wie eine Versinnbildlichung dieses Sachverhaltes wirkt der kleine Skandal um die Twitter-Autorin Jasmina Kuhnke, der im Vorfeld der Frankfurter Buchmesse 2021 das Feuilleton in Wallung brachte. Jasmina Kuhnke kämpft unter dem Pseudonym „Quattromilf“ seit Jahren auf  Twitter lautstark und energisch gegen jede Art antirassistischer Diskriminierung.  Dagegen ist überhaupt nichts zu sagen, und weil sie innerhalb ihrer Twitterblase  sogar über eine gewisse Gefolgschaft verfügt, entschloss sich der Rowohlt Verlag, einen Roman aus ihrer Feder zu veröffentlichen. Der Name dieses Romans ist „Schwarzes Herz“, und er handelt, wenig überraschend, von den Diskriminierungen, denen ein heranwachsendes schwarzes Mädchen im rassistischen Deutschland  ausgesetzt ist. So weit so gut, könnte man sagen. Jeder soll schreiben, was er mag und die Startvorteile nutzten, die eine „People of Colour-Biografie“ im heutigen Literaturbetrieb mit sich bringt. Tatsächlich lud das ZDF die völlig unbekannte Erstautorin als literarischen „!Überraschungsgast“ auf die Frankfurter Buchmesse ein. Und nun kommt die „Überraschung“.  Jasmina Kuhnke, die ohne ihren „People of Colour Status“ weder bei Rowohlt hätte veröffentlichen können, noch vom ZDF eingeladen worden wäre,  sagte ihren Besuch der Buchmesse überraschend ab, weil sie sich von den Anhängern „rechter Verlage“, die auch auf der Buchmesse präsent sein würden, an Leib und Leben bedroht fühle. Konkret meinte sie die Standbetreiber des „Jungeuropa“-Verlags und der Ökozeitschrift „Die Kehre“, die in der Halle 3/1 einen Standplatze in der Nähe des ZDF erhalten hatten. Nach Frau Kuhnkes Meinung handelte es sich dabei um „Nazis“, die möglicherweise hinter den Morddrohungen steckten, die sie schon seit einiger Zeit erhalte.

Die linke Community griff diesen Vorwurf dankbar auf und verlangte von der Messeleitung den sofortigen Ausschluss „rechter“ Aussteller und insbesondere des Jungeuropa-Verlages und der Zeitschrift „Die Kehre“ von der Buchmesse. Da aber wegen der Polizei noch eifrig suchende Investigativjournalisten irgendeinen Zusammenhang zwischen den Morddrohungen und dem Jungeuropa-Verlag bzw. der Ökozeitschrift „Die Kehre“  feststellen konnten, lehnte die Buchmessedirektion den Ausschluss ab. Buchmessedirektor Bose, der in den letzten Jahren viel zur Reduzierung der literarischen Meinungsfreiheit beigetragen hatte, hat, blieb diesmal hart und verwies auf die grundgesetzlich garantierte  Meinungsfreiheit. Sofort setzte das Geheule auf der linken Seite ein. In TAZ und STERN erschienen kritische Betrachtungen über die Wehrlosigkeit antirassistischer Akteure im deutschen Kulturleben, die Feuilletonspalten der großen Zeitungen füllten sich mit Beiträgen über Jasmina Kuhnke und die permanente Lebensgefahr, in der sie ihren demokratischen Kampf führen müsse. Einige ihrer Unterstützer aus der bundesweiten Twitterkultur behaupteten unwidersprochen, wichtiger als die Meinungsfreiheit sei der Kampf gegen den Rassismus.  Man sieht: hier waren echte Demokraten am Werk.

Für die Literaturredaktion der Süddeutschen Zeitung war die Debatte Grund genug, pünktlich zum Tag der Buchmesseneröffnung am 24.10.2021 den Roman „Schwarzes Herz“ zu rezensieren (was ohne die Buchmessenabsage wohl kaum geschehen wäre). Der Rezensent Cornelius Pollmer, aller konservativen Neigungen völlig unverdächtig, las das Buch und verfasste eine vernichtende Kritik. Er  vermisste in dem superkurzen „Roman“ ( 204 Seiten in 59 Kapiteln) nicht nur eine nachvollziehbare Handlung, sondern auch eine Sprache, die sich Twittersound Quatttromilfs unterscheide. Dafür enthalte der  Roman jede Menge   schiefer Metaphern, unmotivierte Redundanzen und handlungstechnische Unsinnigkeiten, mit einem Wort: „Schwarzes Herz“ enthielt das ganze Ensemble eines schlecht lektorierten Erstlingswerkes, das man eher auf dem Krabbeltisch eines Penny-Ladens als auf der Buchmesse erwarten würde.

Trotzdem klettert „Schwarzes Herz“ seit dem Ausbruch der Kontroverse kontinuierlich die Verlaufsränge hoch.  Zunächst kaum beachtet, belegt das Buch mittlerweile den erstaunlichen Verkaufsrang 82 bei Amazon.   Gut gemacht, Jasmina, kann man da nur sagen. Wem es gelingt, sich so zu vermarkten, braucht keine Buchmesse.

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