Die Oper ist tot. Es lebe die Oper. Ausstellung zur Geschichte der Oper in der Bonner Kunsthalle

  • Im Herbst diesen Jahres  schockierte die Meldung die Opernwelt, Philippe Jordan, der Musikdirektor der Wiener  Staatsoper, wolle seinen Vertrag  nicht verlängern. Als Grund für seine Entscheidung benannte der Maestro die Malaise des Regietheaters, dessen Dilettantismus die  Qualität der Aufführungspraxis gefährde.   Eine Oper, die sich der Aktualisierung verweigere, drohe als Kunstform der Exitus, schallte es sofort aus den Redaktionen der  meinungsbildenden Zeitungen zurück.

Man sieht, obgleich die Besucherzahlen rückläufig sind, ist die Oper als ein kontroverses Element der kulturellen Identität im öffentlichen Gespräch lebendig. Insofern kann sich die Bonner Ausstellung „Die Oper ist tot. Es lebe die Oper!“ über ein glückliches Timing freuen –  auch wenn sich die Kuratoren der Bonner Kunsthalle allzu aktueller Stellungnahmen enthalten. Indem sie sich darauf konzentrieren, die  Geschichte der Oper und den Zauber ihrer Glanzzeit multimedial in Szene zu setzen, markieren sie gleichwohl eine deutliche Positionierung.

Der Anspruch der Ausstellung ist ohnehin ambitioniert genug. Der Versuch, die  Geschichte der Oper anschaulich und nachvollziehbar, darzustellen, ist eine didaktische Herausforderung, die die Kuratoren durch entschlossene Reduktion meistern. Sie präsentieren  eine übersichtlich gestaltete und gut nachvollziehbare „Hauptstraße“ der Operngeschichte, deren Verlauf auf das Wesentliche  reduziert ist, ohne deswegen oberflächlich zu sein. Sie beginnt mit der  „Camerate Fiorentina“ am Hof der florentinischen Medici des späten 16. Jahrhunderts, als sich Jacopo Peri und Guilio Caccini dazu entschlossen, die Texte zeitgenössischer Dichter um des stärkeren Gefühlsausdrucks willen nicht sprechen, sondern singen zu lassen. Zugleich fügten sie zwei weitere Urelemente der Oper hinzu: das Rezitativ,  d. h. das mimische und szenische Agieren des Sängers und die Tanzeinlage, aus der sich im weiteren Verlauf der Musikgeschichte die weltberühmten Opernballetts entwickeln sollten. Eine angepasste Instrumentalbegleitung, speziell choreografierte Tanzeinlagen und ein aufwändiges Bühnenbild samt Kostümen kombinierten sich 1607 in Monteverdis Werk L´Orfeo“  zur „ersten Oper der Musikgeschichte“. Aufgeführt und finanziert wurde das neuartige Musiktheater von Fürsten und Kardinälen als Glanzpunkte ihrer höfischen Repräsentation. Kein Wunder, dass sie sich als „italienische Oper“ schnell über ganz Europa verbreitete. Über Eleonore von Mantua, der zweiten Gattin Kaiser Ferdinands II,  kam sie nach Wien, Georg Friedrich Händel variierte sie als Leiter der Londoner Royal Academy of Music mit eigenen Werken und Inszenierungen.

Mit der französischen Revolution änderte sich das gesellschaftliche Gesamtparadigma. Aus der Oper als Mittel der höfischen Repräsentation wurde ein großbürgerliches Projekt, um dessen ästhetische  Verfeinerung die großen Bühnen der Welt konkurrierten. Die Wiener Hofoper, an der Gustav Mahler wirkte, die Mailänder Scala, in deren Aufführungspraxis Verdi, Bellini, und Donizetti dominierten, die Metropoliten Opera in New York, die von den großen Industriekapitänen der USA finanziert wurde und die zum Ursprung eines weltweiten Starkults wurde, das mystische Bayreuth, in dem die Wagner-Opern als eine Art musikalischer Gottesdienst aufgeführt  wurden,  und die Pariser Oper in der Louis Désire´ Véron die technische Perfektion der „Grand Opera“ auf ihren Gipfel. führte, hatten bei aller Unterschiedlichkeit eines gemeinsam: das Bemühen um die Erschaffung immer grandioserer Inszenierungen, in den sich Gesang und Dichtung, Theater und Tanz, Bühnenbild, Mode und Technik zu einem  Gesamtkunstwerk verbanden, in dem sich die Menschen dieser Epoche in ihrem Repräsentationsbedürfnis, aber auch in ihren Träumen und Sehnsüchten wiederfanden. Soweit das historische Narrativ der Kuratoren. Wie aber wird es dem Besucher präsentiert?  

Schon der Eintritt in die Ausstellungsräume vermittelt jene Plüschatmosphäre, die der Oper oft vorgeworfen wird, die aber unverkennbar zu ihren Anmutungsqualitäten  zählt. An roten Wänden hängen große und kleine Gemälde von Komponisten und Opernszenen. Ein wahrer Leckerbissen der Ausstellung besteht in der Sammlung pompöser Kostüme, die das weltberühmte  Archivio Storico Ricordi aus Mailand der Bonner Bundeskunsthalle als Leihgabe überließ. Zusammen mit zauberhaft miniaturisierten Bühnenbildern hinter Glas  erlauben sie einen Einblick in die Inszenierungspraxis der altvorderen Tage, als Tannhäusers „Venusberg“ noch keine Gasfabrik war und die Sänger nicht in Säcken über die Bühne rutschen mussten.

Aber diese optische Einstimmung ist nur Beiwerk. Im Zentrum der Ausstellung dominieren mehrere Darstellungsstränge, die sich gleichzeitig überschneiden und ergänzen. Große Wandtexte und Mitschnitte aus bekannten Opernfilmen verdeutlichen zunächst die verschiedenen Etappen der Geschichte der Oper. In fünf separaten Nischen begegnet der Besucher der  Wiener Hofoper, der Mailänder Scala, der Metropolitain Opera in New York, dem Festspielhaus von Bayreuth und der Pariser Oper.  Von dieser Vorstellung  ist es nur ein kleiner Schritt zur Nachzeichnung berühmter Inszenierungen und Uraufführungen, wie etwa der misslungenen Premiere von Puccinis „Madame Butterfly“ oder Meyerbeers Triumph mit seiner Oper „Les Huguenots“.  Der Blick der Ausstellungsmacher ist aber nicht nur auf die „Big Five“ der Weltopern beschränkt, denn die Vorstellung der großen Opernhäuser wird durch einen liebevoll aufgemachten Spielfilm über die vielfältige Opernlandschaft in Deutschland ergänzt. Der Museumsbesucher erfährt also nicht nur Neues über Met und Scala, sondern auch über das traditionsreiche Musiktheater von Meiningen oder die Oper von Detmold als dem reisefreudigste Opernensemble ganz Europas

Es gehört zu den absoluten Vorzügen dieser Ausstellung,  dass all dies nicht nur in Form von Texten und Bildern gezeigt, sondern auch musikalisch vergegenwärtigt wird. Mit Hilfe eines übersichtlich gestalteten Audio-Guides kann sich der Besucher in aller Ruhe Caruso und Callas, Jessie Norman und Cavalier Montserrat anhören. Wer sich vor dem Bild des toten Tristan „Isoldes Verklärung“ anhört,  kann tatsächlich für einen Moment meinen, er werde jener  träumerischen Erhebung teilhaftig, die Friedrich Nietzsche in seiner vierten Unzeitgemäßen Betrachtung der Oper zuschreibt.

Am Ende bleibt die Frage nach der „Zukunft der Oper“. Explizit beantwortet wird sie nicht, auch wenn auf den Monitoren am Museumseingang Dutzende unterschiedliche Positionen dazu  zu Wort kommen. Nach Meinung der Kuratoren scheint sie jedenfalls nicht im modernen Regietheater zu liegen, das in der Ausstellung praktisch nicht vorkommt. Gottseidank, möchte man sagen, denn die zwanghafte Aktualisierung, man könnte fast sagen, Verhunzung klassischer Opern durch Anhänger des Regietheaters, die noch nicht einmal Noten lesen können,   hat maßgeblich dazu beigetragen, die Opernhäuser zu leeren.

Zweifellos muss die Oper in einer gänzlich veränderten medialen Umwelt ihre Position neu finden, aber  tot ist sie so lange noch nicht, wie sie sich ihrer szenischen und inhaltlichen Überwältigung durch den linksgebürsteten Zeitgeist widersetzt.  Auch wenn es nirgendwo ausdrücklich formuliert wird, die Bonner Opernausstellung, die das Grandiose der Oper so effektvoll in Szene setzt,  kann durchaus als ein Plädoyer in diese Richtung verstanden werden.

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Die Ausstellung „Die Oper ist tot. Es lebe die Oper!“, wird in der Bundekunsthalle Bonn vom 30.9.2022  bis 5.2.2023 gezeigt. Der Eintrittspreis inklusive der Gebühr für den  Audio-Guide  beträgt 13 Euro.

(Die Bilder dieser Rezension entstammen dem Internetauftritt der Bundeskunsthalle Bonn)

 

 

 

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