Dominguez: Das Papierhaus

Es gibt viele Obsessionen, und  die für Bücher ist sicher nicht die schlechte – wenn man nicht gerade zu den Personen gehört, die mit einem Band Gedichte von Emily Dickinson über die Straße laufen und von einem Auto überfahren werden. Von diesen und ähnlichen Gestalten handelt das vorliegende Buch,  lauter wunderlichen Käuzen, die nicht nur mit ihren Büchern leben, schlafen und von ihnen träumen,  sondern  die ihre umfangreichen Bibliotheken nach immer ausgefuchsteren Kategorien ( niemals Shakespeare und Marlowe nebeneinander stellen!) ordnen und die dem  Autor der Werke, die sie gerade lesen, gleich auch noch ein Glas Wein mit einschenken.

So trank auch ich ein Glas Wein, als ich diesen Buch über Bücher las, wärmte mir das Herz an den Geschichten würdiger Männer, die sich in Cambridge, Montevideo und Buenos Aires mit der  Weltliteratur auf eine Weise vergnügen können, der gegenüber alles andere – Liebe, Leid, begehren – tatsächlich nebensächlich wird.

So weit so vordergründig. Denn wo das  Buch derart in die Mitte des Lebens rückt, wird es schnell selbst zum Objekt der Begierde, es wird zum Fetisch, das auch als Einzelexemplar in einer nach Tausenden von Bänden zählenden Bibliotheken immer greifbar  sein muss.

Als Carlos Brauer, der Hauptfigur der Erzählung, der Katalog seiner Bibliothek verbrennt, dreht er durch. Er zieht mit seiner gesamten Bibliothek an die argentinische Küste, lässt sich am stürmischen Atlantikstrand ein Haus erbauen und alle seine Bücher wie Ziegelsteine in die Wände einmauern. Von den Einheimischen gemieden und gefürchtet, lebt er in diesem „Papierhaus“, stapft über den Strand oder sitzt einsam glotzend am Rande des Ozeans, während sogar die Wale bis nahe ans Ufer kommen um diesen seltsamsten der Menschen zu betrachten. Als der Erzähler der Geschichte, ein argentinischer Literaturwissenschaftler aus Cambridge, das Haus am Meer endlich findet, ist Carlos Brauer auf Nimmerwiedersehen verschwunden.  Sein Papierhaus  ist bereits halb zerstört, aus aufgeschlagenen Wänden ragen Werke der Weltliteratur, manche Bücher liegen auch schon halb verweht im Sand oder werden vom Meereswind langsam davon getrieben. Ein ergreifendes Bild, das mich tagelang bewegte, ohne dass ich mir einen Reim darauf machen konnte. Eine Liebeserklärung an die vergängliche Welt der Literatur? Eine Warnung vor dem Buch als Verführer, das uns die Lebenssäfte entzieht? Eine Hommage an die Natur, in die eines Tages wohl auch die Literatur zurückkehren muss? Ich habe keine Ahnung, empfehle die Lektüre dieses wunderbar aufgemachten kleinen Buches  aber trotzdem –  vielleicht findet ein anderer die Antwort.

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