Du Vinage: Leopoldine von Brandenburg-Schwedt

IMG_9774Von den drei wichtigsten Ereignissen, die das Leben des Menschen prägen, der Geburt, der Heirat und dem Tod, kann er bekanntlich nur eines selbst beeinflussen: die Heirat. Das ist selbst heute noch, wo Ehen relativ problemlos geschieden werden können, richtig. Die „falsche“ Partnerwahl kann ganze Lebensläufe in Sackgassen führen, aus denen es kein Entkommen mehr gibt.

Das vorliegende Buch führt in eine Zeit zurück, in der das noch in erheblich höherem Maße galt als heute – in die adlige Gesellschaft des 18. Jahrhunderts. Renate du Vinage, die bereits in ihrem Buch „Ein vortreffliches Frauenzimmer“ am Beispiel der Eleonore von d’Olbreuse das Schicksal einer adligen Frau beschrieben hatte, präsentiert in dem vorliegenden Buch einen neuen „Fall“, das Schicksal der Markgräfin Leopoldine von Brandenburg-Schwedt, die das Pech hatte sich unter allen nur denkbaren Partnern gerade den mickrigsten und miesesten auszusuchen und dafür ihr halbes Leben büßen musste. Auch wenn sich die Thematik etwas abgelegen anhören mag, die Geschichte dieses Ehedramas im Hause Brandenburg besitzt unabhängig von ihrem exemplarischen Wert genug epische Qualität, um erzählt und erinnert zu werden, ganz abgesehen davon, dass es der Autorin gelingt, im Lebensbild dieser unglücklichen Frau die Grundzüge einer ganzen Epoche, ihre Geschichte und Gesellschaftsstruktur, aufscheinen zu lassen.

Leopoldine von Brandenburg-Schwedt (1716-1782) war die Tochter des Leopolds I. von Anhalt-Dessau und der Apothekertochter Anna-Luise Föhse, was für die damalige Zeit erstaunlich war, weil die Ehe mit einer Bürgerlichen als unstandesgemäß galt. Doch Leopold von Anhalt Dessau, der als einer der ersten Heerführer seiner Zeit später den rühmenden Beinamen „der alte Dessauer“ erhielt, setzte sich mit seiner Liebe durch und heirate seine Anna-Luise, die kurz darauf geadelt wurde. Man sieht, die Liebe, die Sprengmeisterin aller gesellschaftlichen Schichtungen, klopfte bereits im frühen 18. Jahrhundert an die IMG_9774Türe der adligen Salons. Es solle aber genau die Liebe sein, die seine Tochter, Leopoldine bei der Auswahl ihres Partners in die Irre führte. Es war sogar „Liebe auf den ersten Blick“ zwischen Leopoldine und ihrem Heinrich, doch wie es bei solchen hochgestimmten Ouvertüren oft der Fall ist, folgte den Honeymoon ein krasses Ehedrama der übelsten Art. Leopoldines Ehemann Heinrich von Brandenburg-Schwedt war ihr sieben Jahre älterer Cousin ersten Grades, ein kunstliebender, aber durch und durch schwacher Mensch, zu nichts nutze außer zu Palaver und Geldausgeben, was vielleicht eine Zeitlang als Sensibilität durchgehen mochte, sich aber bald als fundamentale Charakterschwäche erwies. Schon zwei Jahre nach der Hochzeit im Jahre 1739 war Heinrichs Karriere als Militär beendet, als er im ersten Schlesischen Krieg sich 1741 in der Schlacht von Mollwitz in einem Wassergraben versteckte und von König Friedrich II aus dem Heer ausgemustert wurde. Auch innerhalb der eigenen Ehe erging es ihm nicht besser. Die energische Leopoldine, die langsam erkennen musste, was sie für einen Schwächling geheiratet hatte, versuchte ihren Ehemann zu neuen Aktivitäten zu ermuntern, degradierte ihn aber faktisch zum Pantoffelhelden, was der Öffentlichkeit nicht verborgen blieb. Als Heinrich in die üblichen Amouren flüchtete, eskalierte die eheliche Situation zu einer Art öffentlichem „Rosenkrieg“ mit einem aus heutiger Sicht erstaunlichem Ausgang. Prinz Heinrich war sich tatsächlich nicht zu schade, sich bei König Friedrich II, dem Familienoberhaupt des Hauses Brandenburg, über seine Gattin zu beschweren, und obwohl der König für seinen feigen Cousin die herzlichste Abneigung hegte, hasste er sogenannte „zänkische Weiber“ noch mehr. Nach einigem Hin und Her verbannte er Prinzessin Leopoldine zur Strafe für ihre unzeitgemäße Aufmüpfigkeit kurzerhand und gnadenlos in die Provinz. Bei Nacht und Nebel musste sie ihr Heim und ihre Töchter verlassen und in eine unwirtliche Behausung in Kohlberg an der Ostsee umziehen. 31 Jahre lang saß die unglückliche Leopoldine in Kohlberg fest, und alle Bittbriefe an den König vermochten ihr Schicksal nicht mehr zu ändern. Leopoldine erlebte die Bombardierungen Kohlbergs im Siebenjährigen Krieg, verarmte zeitweise, weil ihr Gatte die Subsidien nicht zahlte und versuchte vergeblich, sich unter den Schutz Zarin Elisabeths von Russland zu stellen. Ihr Koch betrog sie, ihre Diener bespitzelten sie und jedweder Kontakt zu männlichen Gesprächspartnern wurde vom rachsüchtigen Heinrich skandalisiert. Noch nicht einmal zur Heirat ihrer Tochter mit einem anderen preußischen Prinzen durfte sie ihr Exil verlassen. Im Jahre 1782 starb Leopoldine, zermürbt und verhärmt, gerade mal 64 Jahre alt in Kohlberg. Ihr „Ehemann“ Heinrich folgte ihr 1788. Da es keinen legitimem männlichen Erben gab, fiel die Markgrafschaft Brandenburg-Schwedt an das Haupthaus Brandenburg zurück.

Ich habe dieses Buch in einem einzigen Rutsch gelesen und mich selbst über den Lese-Sog gewundert, den die Geschichte entfaltete. Die Autorin erzählt klar und unprätenziös, und wie es sich für eine Historikern sine ira et studio gehört, lässt sie ihre Anteilnahme mit der Hauptperson nur sehr zurückhaltend anklingen. Auf überflüssige Psychologisierungen wird weitgehend verzichtet, stattdessen lässt die Autorin die Fakten sprechen, die aber so anschaulich präsentiert werden, dass der Leser den oft nicht ganz unkomplizierten Verästelungen der Handlung gut folgen kann. So entfaltet Renate du Vinage auf der Grundlage noch unausgewertetem Briefmaterial und souveräner Kenntnissen über die Kultur der Epoche nicht mehr und nicht weniger als ein Miniarturportrait der adligen Gesellschaft des 18. Jahrhunderts unter besonderer Berücksichtigung der unmenschlichen Unterdrückung, der selbst adlige Frauen unter bestimmten Umständen ausgesetzt waren. Denn das, was Leopoldine von Brandenburg-Schwedt widerfuhr, war beileibe kein Einzelfall. Auch die Gattinnen König Friedrichs II. und seines Nachfolgers Friedrich Wilhelms II. wurden auf diese unmenschliche Weise per Verbannung „entsorgt“. In der kaum überschaubaren Klaviatur menschlicher Partnerschaftsformen leistet das vorliegende Buch deswegen einen Beitrag zur Aufarbeitung einer noch immer viel zu wenig reflektierten Unterdrückungsgeschichte der Adelsgesellschaft des Ancien Regime. Ein ausführliches Literatur- und Personenverzeichnis und zwei detaillierte Stammbände der Häuser Brandenburg und Anhalt-Dessau ermöglichen eine problemlose Orientierung an jeder Stelle der wechselvollen Geschichte. Last not least kommen auch Liebhaber bibliophiler Gestaltung voll auf ihre Kosten. Das kleine Buch in seiner ansprechenden Aufmachung und seiner liebevoll gestalteten Farbbebilderung ist ganz unabhängig von seinem Inhalt ein Schmuckstück für jede Bibliothek.

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