Holtermann: Geniale Betrüger. Wie Wirecard Politik und Finanzsystem bloßstellte

  Mal ehrlich, wer hat jemals verstanden, worin das Geschäftsmodell von Wirecard bestand? Wahrscheinlich war diese Ahnungslosigkeit sogar die Voraussetzung dafür, dass die „genialen Betrüger“ von Wirecard  Politik und Finanzwelt so lange hinter die Fichte führen konnten. Nach dem vorliegenden Buch von Felix Höltermann sind dergleichen Fragen aber nun geklärt, und das ganze Ausmaß eines gigantischen Betruge ist offenbar.

Doch zurück zum Anfang. Worin bestand das Geschäftsmodell von Wirecard? Wirecard war ein sogenannter Zahlungsdienstleister, der die Abwicklung von Transaktionen mit den großen Kreditkartensystemen „Visa“ und „Mastercard“ erleichterte und beschleunigte. Das hört sich ziemlich langweilig an, ist es aber eigentlich nicht. Wirecard bot seinen Kunden in diesem Geschäftsfeld folgende Vorteile:

  • Waren es seriöse Kunden dann beschleunigte Wirecard die  Auszahlung des Betrages, indem die Firma selbst gegen eine winzige Gebühr in Vorleistung trat.
  • Handelte es sich um unseriöse Kunden wie Pornoanbieter oder windige Glücksspielfirmen, mit denen Visa und Mastercard die Kooperation ablehnten, dann ermöglichte Wirecard diesen halbseidenen Firmen trotzdem die Zahlungsabwicklung über die großen Kreditkartensysteme, indem Drittfirmen zwischengeschaltetet wurden. Diese Drittfirmen sammelten die Kredtikartenzahlungen und gaben sie als eigene Debets an Visa und Mastercard weiter. Natürlich konnte Wirecard für diesen Service höhere Gebühren verlangen.

Mit diesem Geschäftsmodell, dass im Einzelnen ohnehin kaum jemand genau kannte oder verstand, wuchs die Firma ins Gigantische, stieg in den Dax auf und erreichte 2018/19 ein Aktienallzeithoch von 200 Euro und eine Börsenkapitalisierung von über 20 Milliarden Euros. Von der Internetplattform OnVista über „Mr. DAX“ Dirk Müller bis zu den Wirtschaftsredaktionen unserer sogenannten Qualitätspresse war alles ganz aus dem Häuschen über diese neuen Stern am deutschen Aktienhimmel.

Das Problem war nur, dass nichts von alldem stimmte. Von Anfang an verdiente die  Firma  kaum Geld, simulierte aber über Jahre hinweg  steigende Gewinne. Wie machte sie das? Abgesehen von einer penetranten, aber erfolgreichen Pressearbeit gelang dies durch krasse Bilanzfälschung. Die Asienabteilung unter x Marschalyk sammelte in den Büchern Jahr für Jahr gewaltige Gewinne, die allerdings immer nur auf Treuhandkonten in Asien landeten,  ohne jemals ernsthaft überprüft zu werden.  Fast zehn Jahre lang ließ sich der renommierte Unternehmungsprüfungskonzern Ernst & Xoung an der Nase herumführen.

Aber das war nur ein kleiner Teil des geschäftlichen Fehlverhaltens, dass nach dem Zusammenbruch von Wirecard offensichtlich wurde. An der Bilanz vorbei wurden aus den bescheidenen Gewinnen, die das Unternehmen erzielte, Millionengelder verschoben und in private Kanäle abgezweigt. Dies geschah durch überhöhte Ünternehmenszukäufe oder fingierte Überweisungen an die asiatischen Zweigstellen. Außerdem war Wirecard intensiv involviert in das international Geldwäschegeschäft, was gerade in Deutschland bei seinem nächsten Kontrolle besonders gut funktionierte.

Was aber ist mit den Börsenaufsicht? Die Antwort ist eben so krass wie eindeutig. Die Mitarbeiter der BaFin  haben entweder geschlafen oder sich an der eindeutigen Schieflage der Unternehmung bereichert. Als eine Artikelserie in der englischen Financial Times auf die Fake Bilanzen von Wirecard hinwies, erließ die BaFin sogar ein Leerverkaufsverbot und leitete  ein Verfahren gegen die zuständigen Redakteure ein. Die verantwortlichen Beamten  sind zwar inzwischen gefeuert, genießen aber noch immer ihre beachtlichen Pensionen.   Ganz im Unterschied zu den hunderttausenden von Kleinanlegern die durch den Wirecard Zusammenbruch Milliarden Euro verloren haben.

Denn im Jahre 2020 war die Party aus. Die neue Prüfgesellschaft KPMG verweigerte das Bilanztestat, weil die 1,9 Milliarden Euro auf einem philippinischen Treuhandkonto nicht nachgewiesen werden konnten. Da es dieses Geld nicht gab, brach die Firma zusammen. Der Vorstandsvorsitzende Dirk Braun wurde verhaftet, Jan Marsalek floh nach Minsk und ist seitdem nicht mehr greifbar.

Dieses hier nur in Andeutungen skizzierte Lügengebäude wird in dem vorliegenden Buch von Felix Höltermann bis in die kleinsten Details ausgebreitet. Am Ende spart der Autor nicht mit harten Urteilen: Der Finanzskandal um die Wirecard Aktie offenbart nicht nur die Gier und die Blödheit der Anleger (eine gefährliche Kombination) , sondern auch (1)die  Korruptionsanfälligkeit und/oder (2) die Verschlafenheit der staatlichen Aufsichtsgremien. Von den sogenannten „Qualitätsmedien“ wollen wir erst gar nicht reden.

 

 

 

 

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