Fleischhauer: Unter Linken.

Unter Linken _Als ich noch ein Linker war, habe ich bei Herbert Marcuse gelernt, dass das repressive kapitalistische System so perfide daherkommt, dass es die Opposition gegen sich selbst noch mit umgreift. Die bescheidenen Freiheitsgrade eines pseudodemokratischen Systems dienten nach Marcuse in Wahrheit nur seiner eigenen Stabilisierung („Die große Vereinnahmung“). Wenn man will, ist das auch das Erfolgsrezept der hochgerühmten SPIEGEL-Kolumnen. An sich stramm links – entweder in der denunziatorischen (Diez), der flegelhaften (Augstein) oder der schickimickihaften (Berg) Variante, beschäftigt das Magazin einen ansatzweisen konservativen Kolumnisten, der aus nichtlinker Sicht dann und wann einmal kräftig auf die Pauke hauen darf. Wie in der Inquisitionslehre der katholischen Kirche leistet sich der SPIEGEL  einen „advocatus diaboli“, um im Kontrast zu ihm die Reinheit der eigenen Weltanschauung nur umso heller leuchten zu lassen. Die Rede ist von Jan Fleischhauer einer der erstaunlichsten Journalistenerscheinungen in dieser an traurigen Figuren so reichen Szene.

Dieser advocatus diaboli hat im Jahre 2009 in der Endphase des ersten Kabinetts Merkel (2005-2009) ein Buch geschrieben, das es in sich hatte: „Unter Linken“, eine humorvolle und kenntnisreiche Kritik des linken Gutmenschen, die zum Sachbuchbestseller des Jahres wurde.   Ihm folgte in der Ära des zweiten Merkel-Kabinetts (2009-2013)  die Taschenbuchausgabe mit einem aktualisierten Nachwort.  Nun befinden wir uns in der Ära des dritten Merkel-Kabinetts (2013-2017), in dem der linke Zeitgeist, repräsentiert durch eine christdemokratische Kanzlerin, über europäische Schulden- Vergemeinschaftung, Energiewende und Grenzöffnung das Land so grundlegend verändert hat wie nichts und niemand seit dem zweiten Weltkrieg. Von heute aus gesehen erweist sich Fleischhauers Kritik des linken Zeitgeistes deswegen fast wie eine Momentaufnahme aus harmloseren Zeiten, wie das Portrait eines  Quälgeistes, der schon damals nervte, von dem man sich aber nicht hatte vorstellen können, dass er sich in so wenigen Jahren zu einem derartigen Monster entwickeln würde.  Grund genug, das vorliegende Buch noch einmal in der Taschenbuchausgabe zu lesen. Was an ihm ist wahr geblieben, was war unterhaltsam und was ist ergänzungsbedürftig?

Nach wie vor der reine Lesegenuss ist der leicht ironische, selbstdistanzierte und witzige Stil des Buches. Vor allem der erste einleitend-biografische Teil, in dem Fleischhauer seine Herkunft aus einem strikt sozialdemokratisch-bürgerlichen Milieu  beschreibt, hat das Zeug zum Klassiker zu werden. Dass sich Hunderttausende im Werdegang des kleinen Jan wiedererkannt haben, hat zum Massenerfolg dieses Buches ganz maßgeblich beigetragen.

Ebenso unüberholt ist die scheuklappenlose Klarheit, mit der sich Fleischhauer die heiligen Kühe der linken Weltanschauung ( Gender Mainstreaming, Opferkult, Islamverstehen, Faschismuskeule, Betroffenheitskulte etc.) vornimmt. Nichts an diesen teilweise sehr ausführlichen  kulturgeschichtlichen Passagen ist eigentlich neu – neu ist Fleischhauers Kunst durch die sezierende Art seiner  Präsentation ein Gefühl hervorzurufen, als  wohne man dem Augenblick bei, in dem alle erkennen: Der Kaiser ist ja nackt! Seine Diktion und sein gesunder Menschenverstand wirken wie Filmentwicklungsmittel, mit deren Hilfe die unscharfen Konturen eines Bildes klarer hervortreten. Und bei allem Humor sind die Details und Beispiele, die Fleischhauer schildet, alles andere als ein Grund zum Lachen. Die im Buch sehr prägnant dargestellte  Rufmordkampagne der Linken gegen den konservativen Publizisten Arnulf Baring wirkt  wie ein  Vorwegnahme der synchronisierten Menschenjagden, (aktuell: „Shitstorms“) die die  Mainstreampresse heute gegen Abweichler vom Regierungskurs regelmäßig lostritt. Die Geschichte einer politischen Simulantin, die eine Nazi Attacke vortäuschte und die trotzdem  mit einem Zivilcourage-Preis durch die SPD ausgezeichnet wurde, könnte man als abwegigen politischen Witz abtun, wenn die politische Abwegigkeit heute nicht längst ganz andre Zonen erreicht hätte.  Am Ende ist der Befund klar: Die Linke als  kulturhegemoniale Macht ist antiintellektuell, gefühlsduselig, arugmentationsfeindlich, intolerant und durch und durch menschenverachtend in der Bekämpfung Andersdenkender. Der typische Linke, so Fleischhauer,  ist der moderne Edelheuchler, der von seinem gut sein „gut“ leben kann ( daher „Gutmensch“, möchte man hinzufügen), aber darauf achtet, dass seine Kinder nicht in die Schulen gehen, die aus jenen Migrantenfamilien frequentiert werden, deren Zuwanderung er ohne Obergrenze fordert.

Wie aber steht es mit der konservativen Gegenposition? Sie bildet Fleischhauers durchgängige Perspektive, wird aber nur einmal, ganz kurz am Ende des Buches in Abgrenzung zu „links“ und „liberal“ definiert. Während der  Linke an das Gutsein des Menschen glaubt und der Liberale überzeugt ist, dass der freie Markt, den durchaus charakterschwachen Menschen schon zum Gutsein zwinge, glaubt der Konservative weder an den guten Menschen, noch an die unsichtbare Hand des Markes.  Stattdessen benötigt der  Mensch in seiner unverbesserlichen Fehlerhaftigkeit  Traditionen, Institutionen und Strukturen, die ihm Halt und Orientierung vermitteln. Deswegen schmerzen ihn der  Abbau und die Zerschlagung gewachsener Strukturen wie Respekt, Anstand, Autorität, Pflichterfüllung, Familie und Patriotismus, weil er mit einem gewissen Recht fürchtet, dass das, was nachher kommt, nur schlechter sein kann.

In dem aktualisierten Nachwort zur Taschenbuchausgabe listet Fleischhauer einige der erwartbar negativen Kritiken aus dem linken Lager auf. Die meisten Rezensenten der rotgrün durchsäuerten Mainstreammedien fanden das Buch alles andere als witzig, was niemanden verwundert, der  Fleischhauers Ausführungen zum Humor der Linken gelesen hat. Erstaunlich mutet an, dass Fleischhauer dankbar die wohlwollende Kritik von Alexander Gauland, dem Herausgeber der „Märkischen Allgemeinen“ erwähnt. Inzwischen hat sich Alexander Gauland aus konservativer Grundüberzeugung der AfD angeschlossen und kämpft als Spitzenkandidat dieser Partei verfemt und angefeindet um den Einzug in den Bundestag. Fleischhauer selbst aber überstand die fast einhellige Meinstreamschelte und kam glimpflich davon, weil der SPIEGEL seine Hand über ihn hielt.

Die Wirkung des Buches, abgesehen von seinem Verkaufserfolg,  war ohnehin gleich null.  Ganz  im Gegenteil. Die bedrohlichen Entwicklungstendenzen, die Fleischhauer am Ende des Buches andeutet, etwa die  erstaunliche  Verkleinerung des merkelkritischen Lagers und  die anhebende Stigmatisierung Andersdenkender, haben sich inzwischen zu einer regelrechten Demokratiekrise ausgewachsen. Andere Kritiker wie Sarrazin oder Sieferle, die in der Nachfolge von Fleischhauer den Finger noch detaillierter in die Wunden legten, wurden beruflich und sozial geächtet. Wahrscheinlich hätte sich Fleischhauer zum Zeitpunkt der Abfassung seines Buches nicht träumen lassen, dass in der Ära des dritten Merkelkabinettes (2013-2017) staatsfinanzierte linke Antifa-Gruppen Abweichler von der Regierungslinie verfolgen würden und dass Gegenöffentlichkeiten durch ein grundgesetzwidriges Zensurgesetz geknebelt werden.  Gerade deswegen wäre ein schonungsloses Update von „Unter Linke“ nötiger denn je, aber das wäre selbst für Jan Fleischhauer  zu gefährlich. Er bleibt lieber der kluge Harlekin, der dann und wann die Wahrheit sagen darf, wenn er nur bestimmte Rituale (etwa das obligatorische AfD-Bashing als Kotau vor dem Zeitgeist) beachtet. Das unterscheidet ihn übrigens von einem echten Konservativen wie Alexander Gauland, der aus konservativer Verantwortung den fast aussichtslosen Kampf gegen die Auswüchse des übermächtigen linken Mainstreams aufnimmt.

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