Frankfurter Buchmesse 12.10.2018

 Das Aktuellle BuchNoam Chomsky hat vor einigen Jahren das Geheimnis der simulierten Demokratie wie folgt beschrieben: Das Verfahren sei ganz einfach, man definiere einen legitimen  Meinungskorridor („Mainstream“, „demokratische Öffentlichkeit“) und  erlaube innerhalb dieses Meinungskorridors eine sehr weitgehende Freiheit der Debatte, so dass für die Teilnehmer an diesen Debatten der Eindruck völliger Meinungsfreiheit entstehe. Der Trick bestände darin, den eingezirkelten Meinungskorridor mit der Demokratie überhaupt gleichzusetzen. Dann könne man diejenigen, die den Bereich der erlaubten Meinungen überschritten, als „Hetzer“ oder “Spalter“ bezeichnen. Mit ihnen brauche nicht diskutiert zu werden – es genüge, sie zu stigmatisieren oder zu verbieten. Noam Chomsky, der diese Beschreibung als Kritik an der konservativ dominierten amerikanischen „Polyarchie“ verstanden wissen wollte, hat damit in Wahrheit eine sehr treffende Strukturbeschreibung der Technik geliefert, mit der sein eigenes linksliberales Lager derzeit in europäischen Demokratien die Meinungsfreiheit manipuliert.

Soweit so thoretisch. Praktisch aber leben wir in einer Zeit des Umbruchs, in der  die die bislang unhinterfragten Grenzen des Meinungskorridors (neudeutsch: der „politischen Korrektheit“) fraglich geworden sind. Neue konservative Akteure machen sich bemerkbar und fordern eine Neuvermessung des politischen Geländes. Auf der anderen Seite hat sich der Mainstream, der auf den alten Grenzen des indexerlaubten Diskurses beharrt, extrem verhärtet. Ihre tonangebenden Akteure verweigern konsequent jeden Dialog („Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen“) und schmähen Kritiker als „Nazis“ und „Rassisten“. Diese Brachialität  war mittlerweile sogar von gemäßigten Vertretern des Mainstreams bemerkt worden. Die österreichische Schriftstellerin Eva Menasse hatte noch eine Woche vor dem Beginn der Frankfurter Buchmesse davor gewarnt, das „Gegengift“ gegen den Rechtsruck in Deutschland überzudosieren. Ihrer Beobachtung nach würde bei dem „Kampf um unsere Werte“ bzw. dem „Kampf gegen rechts“  der Bereich des Sagbaren immer weiter eingeschränkt. Nabukovs „Lolita“, nach Menasse ein Meisterwerk der Weltliteratur, würde unter der Knute der  politischen Korrektheit heute nicht mehr erscheinen können.

IMG_3795Daran musste ich denken, als ich in diesem Jahr die Frankfurter Buchmesse besuchte. Wieder waren  7300 Aussteller aus einhundert Ländern auf der Frankfurter Buchmesse zu Gast. Wo lagen die Grenzen dieser Meinungsvielfalt auf dem Messegelände? Waren sie mit den Grenzen des erlaubten Meinungskorridors identisch  – oder bot die Messe auch abweichenden Positionen eine Bühne? Mit Chomskys und Menasses Gedanken im Kopf wollte ich mir dazu ein eigenes Urteil bilden.

Dann die erste Überraschung, als ich die Messehallen betrat. Überall patrouillierte Polizei durch die Gänge und Hallen. Lauter schwer bewaffnetes Sicherheitspersonal streifte im Modus der  konzentrierten Geländeüberwachung durch die Hallen.  Die Männer, fast alle so breit wie Kleiderschränke und nicht unter  1,90 Meter groß, wirkten  inmitten der wuselnden Nerds wie Wesen von einem anderen Stern. Ein wenig kam es mir vor wie auf den Fidschi Inseln, auf denen man auf auch riesige Melanesier und zierliche kleine Inder unverbunden nebeneinander auf den Straßen sieht. Offenbar sollten die „Melanesier“ die „Inder“ beschützen. Aber vor wem? Das hätte ich sie gerne gefragt, traute mich aber nicht so recht, und blieb deswegen im Unverbindlichen. „Was lesen sie denn so?“  fragte ich schließlich einen Polizisten? der mitsamt seinen Waffen locker am Gelände neben mir lehnte.   Der Beamte zeigte sich von meiner Frage überrascht und stutzte. „Lesen? Ich komme vor lauter Überstunden nicht zum Lesen. Und jetzt bitte weitergehen.“Das war nicht freundlich formuliert, irgendwie sogar reichlich obrigkeitsstaatlich, was überhaupt nicht zum Selbstbild der Messe passen wollte. Bundespräsident Steinmeier, der Präsident unserer Großen Koalition, die mittlerweile gar nicht mehr so groß ist, sondern kaum noch 40 % der Wählerschaft repräsentiert,  hatte in seiner Eröffnungsrede „Toleranz“ und „Offenheit“ beschworen. Warum also die Polizei? Wer bedrohte hier wen? Die Intoleranten die Toleranten? Oder die Toleranten die Andersdenkenden?  Ich sollte es im Verlauf meines Besuches erfahren.

Wie immer begann ich meinen Rundgang in der Halle 4.1., in der der Großteil der Sachbuchverlage ihre Stände aufgebaut hatten. Gleich neben dem Eingang empfing mich der Suhrkamp Verlag, der emanzipatorische Hausverlag des Sloterdijk indexlinken Zeitgeistes, durch dessen Veröffentlichungen ich mich während meines sozialwissenschaftlichen Studiums wie ein Holzwurm hatte durchfressen müssen. Was für ein Fest war es gewesen, als ich nach meinem Examen zwei Berge der „Edition Suhrkamp“  in die Mülltonne werfen durfte und mir fest versprach, nie wieder Suhrkamp zu lesen. Diesem Vorhaben bin ich  untreu geworden, weil Suhrkamp mittlerweile auch kritische Geister verlegt, wie zum Beispiel den Philosophen Peter Sloderdijk, dessen intellektuelles Tagebuch „Zeilen und Tage“ ich noch vor kurzem mit großem Genuss gelesen hatte. „Am Ende des Labyrinths wartet die nackte Göttin der Wahrheit“, hatte Sloterdijk geschrieben. Was für ein schönes, vieldeutiges Bild. Und siehe, da stand bereits die aktuell erschienene Fortsetzung des intellektuellen Philosophentagebuches mit dem Titel „Zeilen und Tage Notizen 2008-2011“.  Ich schlug das Buch aufs Geratewohl auf und las, dass  man den Roman als „Welt-Sonde“ noch immer erst nehmen müssen, „auch wenn 98 % der Romanproduktion besser eingestampft würde, bevor ein Leser auch nur  eine Minute seiner Zeit dafür verwendete.“ Ein hartes Urteil, dachte ich und sah mich in der Halle 4.1. um. Immerhin, wenn 98 % aller Romane von der Messe verschwinden würden, wäre plötzlich wieder sehr viel mehr Platz in der Halle.

Ich nahm mir vor, bei meinem Rundgang nach diesen 2 % zu suchen. Aber woran erkannte ich sie? Am Publikumsandrang? Dann war der Roman „Die Katze und der General“ von Nino Haratischwili ein heißer Kandidat für diese Kategorie. Der FAZ Redakteur Andreas Platthaus, eine asketische Figur, dessen Gesichtszüge genauso scharf geschnitten waren wie seine Sätze, tat sein Bestes, die Latte für das vorliegende Buch sehr hoch zu hängen. Er begrüßte Nino Haratischwili als „maßgebliche Stimme Georgiens in Deutschland“, woraufhin das Publikum artig klatschte. Die Autorin, eine junge, etwas korpulente Dame, IMG_3800trug die Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden und war wie der Moderator ganz in schwarz gekleidet.  Auf eine Vorstellung des Buches wurde verzichtet, so dass ich mir den Plot durch die Lektüre eines Handzettels erschließen musste. Der Roman „Die Katze und der General“ handelte vom russischen  Oligarchen Alexander Orlow, (dem „General“) der im ersten Tschetschenienkrieg ein fruchtbares Verbrechen an einer jungen Frau begangen hatte und mit dieser Schuld nicht zurechtkam. Irgendwann trifft er auf eine Frau (die „Katze“), die der getöteten jungen Frau sehr ähnlich sieht und mit der der General in Kontakt tritt, um seine Schuld abzutragen. War es das, was das bundesdeutsche Publikum lesen wollte (oder sollte)? Ich wusste es nicht, aber immerhin war  dieses Buch für die Short-List des deutschen Buchpreises ausgewählt worden (hatte ihn aber nicht gewonnen). Andreas  Platthaus wandte seinen schmalen Schildkrötenkopf der Moderatorin zu und fragte, warum denn der Roman nicht „Die Katze, die Krähe und der General“ hieße, denn es gäbe doch neben dem General und der Katze noch eine dritte Hauptperson, eben die „Krähe“? Die Autorin antwortete, dass „die Krähe“ als Hauptperson nicht „vorgesehen“, sondern dem Werk im Laufe der Textarbeit „hinzugewachsen“ sei, sie sich aber  nicht hatte entschließen können, den ursprünglichen Titel zu ändern. Platthaus´ Miene wechselte in den Ach-so-Modus, als wolle er sagen: dann wäre das also schon einmal geklärt. Dann unternahm er einen zweiten Anlauf und lobte den formalen Aufbau des Buches: er sei vielstimmig, überraschend und erzeuge eine intensive, multiperspektivische Stimmung.  Auch damit war die Autorin einverstanden. Sie nickte und schwieg.  Ob denn Frau Haratischwili eine kurze Passage vorlesen könne, um den Zuhörern  einen Eindruck von der Stimmung des Werkes zu vermitteln?  setzte Platthaus nach. Nino Haratischwili griff zum Buch und las einen  kurzen Text, in dem es darum ging, dass eine Protagonistin  eine angelehnte Türe mit der Brust aufstieß, was sie immer mache. Die Vorlesestimme der Autorin war angenehm, dunkel und volltönend, eine geübte Kraft, die wusste, welche Faszination das gesprochene Wort ausübt. Allerdings blieb die Frage offen, warum die  Protagonistin in dem Roman die  angelehnte Türe mit der Brust öffnete. Sie hätte auch die Schulter oder den Hintern nehmen können, vermutete ich – nur die Hand wäre  gar zu konventionell gewesen. Aber waren derartige Einzelheiten überhaupt wichtig? Kam es nicht viel mehr auf die nonverbale Kommunikation an? Das Gehabe von Autorin und Moderator bestätigte mich in dieser Vermutung. Beide beugten sich tief über das aufgeschlagene Buch als sei es ein Enigma, dem im nächsten Augenblick unerhörte Einsichten entspringen würden. War eine solche Einsicht zu Tage gefördert, beugten sie sich zurück, zeigten ihr Ach so ist das-Gesicht, um sich sodann erneut über das Buch zu beugen. Es gab aber auch kurze Momente der Nichtübereinstimmung, dann straffte sich der Rücken der Autorin und Herr Platthaus hielt den Kopf schräg und ließ die Mundwinkel hängen, was ihm das Aussehen eines Magenkranken gab. Ob das Teil der Show oder einfach nur Leiden war, konnte ich nicht erkennen.

Golob Anweisungen zum Atmen _Meine nächste Station war der Stand der „Edition Korrespondenz“, an dem gerade die slowenische Lyrikern Anja Golob zu ihrem neuen Gedichtband „Anweisung zum Atmen“ interviewt wurde. Frau Golob saß an einem kleinen Tisch in einer Ecke und  blickte die Moderatorin unsicher von unten an, als fürchte sie sich vor der nächsten blöden Frage. Die kam dann auch, denn die Moderatorin, ein junges Mädchen in Jeans und T-Shirt, postulierte, der Titel „Anweisungen zum Atmen“, besitze  einen körperlichen Bezugspunkt, was sie, die Moderatorin, zu der Frage führe, welche Rolle denn die „Körperlichkeit“ bei der Abfassung ihrer Gedichte spiele. „Keine“, erwiderte die Lyrikerin, „außer dass ich mich bewegt habe, als ich am Schreibtisch saß.“ „Hm“, machte die Moderatorin, ließ die Antwort ein wenig sacken, und setze nach: Ob Frau Golob denn eines ihr Gedichte, das ihr besonderes ans Herz gewachsen sei, vorlesen wolle? „Ne, ne“, entgegnete Frau Golob, „Alle Gedichte sind gleich.“ „Ja, machen sie denn gar keine Kompromisse?“ entfuhr es der Moderatorin. „Nur bei Übersetzungen, sonst nicht.“ So ging das weiter und es ergab sich der erstaunliche Befund, dass Fragen und Antworten immer weiter auseinanderklafften. Deswegen war es nur folgerichtig, dass Frau Golob bald auch Ansichten verkündete nach denen sie gar nicht gefragt worden war. „Dass Poesie Scheiße ist, weil sie sich nicht verkauft, das stimmt nicht“, sagte sie plötzlich. „Die Bücher werden von denen gekauft, die sie brauchen.“ Sie selbst sei dafür aber kein gutes Beispiel, denn von ihrem zweiten Buch  seien gerade mal zwanzig Exemplare verkauft worden. Ende des Gespräches.

Was sich an diesem Nachmittag wirklich gut verkaufte, war der Kaffee am tazneue_optik_fuer_die_taz3_grossStand. Wie auf einem Aushang zu lesen war, war der Kaffee aus ökologisch einwandfreiem Anbau gewonnen worden, und die Milch, mit der er geweißt werden konnte,  entstammte einem Betrieb mit Öko-Siegel. Wer seinen taz-Kaffee erhalten hatte, konnte sich auf taz-Hocker an den Stand setzen und in den ausliegenden taz-Zeitungen blättern.  Die meisten Besucher, überwiegend Schüler, die von ihren Lehrern an den taz-Stand geführt worden waren, blätterten aber nicht, sondern beschäftigen sich mit ihren Smartphones. Immerhin packten sich die Lehrer die Tasche mit Dutzenden taz-Ausgaben voll,  um sie möglicherweise später im Unterricht einzusetzen. Auch ich trank einen Kaffee am taz Stand und sah mich um.  Wie die meisten Angehörigen meiner Generation hatte ich die Entwicklung der taz immer mit Sympathie verfolgt, obwohl das, was in ihr zu lesen war, ganz und gar meinen Einstellungen entsprach. Aber die Peppigkeit, mit der sich eine kleine Zeitung in den Meinungschor der Großen einmischte, hatte mir immer imponiert. Erst später erkannte ich, wie geschickt die taz aus dieser Underdog-Position ein Geschäftsmodell entwickelt hatte. Heute ist sie so etwas wie das Flegelkind des  linken Zeitgeistes, das von den großen Medien gehätschelt wird und dem man es überlässt, die politischen Gegner mit Gemeinheiten aller Art zu traktieren.

Das genaue Gegenteil des taz Standes bot der Stand der Deutschen Bundesbank. Er war  groß, übersichtlich, funktional – und vollkommen leer. So existenziell Wirtschaft auch sein mochte, war sie noch immer kein herausragendes Thema der Literatur, von der Pädagogik ganz zu schweigen. Kein Schulfach führte die Heranwachsenden zur Wirtschaft, kein öffentlicher Diskurs existierte, in dem die wirtschaftlichen Basisfragen der Epoche besprochen wurden. Kein großer Roman machte das Publikum mit den ökonomischen Schicksalsfragen der Epoche vertraut. Kenntnisse über Target-Salden, Außenhandelsbilanzen oder OMT-Programme waren so rar gesät wie Veröffentlichungen über Atomphysik. Andererseits handelte es sich bei dieser Unkenntnis um eine Bestandsvoraussetzung bundesrepublikanischer Politik. Denn würden die Menschen auch nur ein wenig von Wirtschaft verstehen, würden sie gegen die Energiewende oder die Nullzinspolitik der EZB auf die Barrikaden gehen. Gerne hätte ich mit einem der Standbetreiber darüber gesprochen, doch es war ja keiner da. Auf der Frankfurter Buchmesse stand die Bundesbank genauso alleine auf weiter Flur wie innerhalb der Europäischen Zentralbank.

Auf dem „Forum Litcam“ diskutierten vier Experten und ein Moderator über georgie-vriendelijkste-landGeorgien, das Partnerland der diesjährigen Buchmesse. Als ich eintraf, drehte sich das Gespräch gerade um einen Politiker namens Bidsina Iwanischwili, bei dem es sich offenbar um den reichsten Mann Georgiens und den politischen „Paten“ des Landes handelte. Ein etwas älterer Journalist referierte in entspannter Haltung über Iwanischwilis Lebensweg. Er  hatte seine Jacke geöffnet und war ein wenig in den Stuhl herabgerutscht, so dass sein stattlicher Journalistenbauch wie ein Ausweis besonderer Kompetenz hervorquoll. Wie zu hören war, hatte sich Bidsina Iwanischwili aus kleinsten Anfängen  emporgearbeitet und war, nachdem er im nachsowjetischen Russland ein Milliardenvermögen erworben hatte, sofort nach der Wahl Putins  nach Frankreich emigriert. Als die Rosenrevolution die autoritären georgischen Postkommunisten stürzte und der damalige Reformer Saakaschwili an die Macht kam, kehrte Iwanischwili nach Georgien zurück. Mit seiner Partei „Georgischer Traum“ gewann er die Zustimmung der Bevölkerungsmehrheit, was der Journalist erstaunlich fand, weil es vollkommen unklar war, wofür diese Partei stand – diente sie  Moskau, dem Westen oder nur den Interessen ihres Gründers? Der Moderator, der übrigens genauso tief in seinem Stuhl versunken war wie der Journalist,  ließ diese Frage offen und fragte etwas unvermittelt in die Runde, wie es denn um die politische Mitbestimmung der Frauen in  Georgien bestellt sei. Nicht schlecht, dachte ich, denn die Frage nach der politischen Mitbestimmung der Frauen geht immer, weil sie auf Seiten des Fragenden Problembewusstsein beweist und jedem Gefragten Gelegenheit bietet, über zu geringe Frauenbeteiligung zu klagen. Das kommt immer gut,  ganz gleich, ob es sich um das Swasiland, die USA, Nigeria oder Georgien handelt. Erstaunlicherweise verzichtete die angesprochene Dame jedoch auf die wohlfeilen Möglichkeiten, die ihr diese Frage eröffnete, und antwortete, dass die Frauen in Georgien sehr familienorientiert seien und viele lieber mit ihren Kindern spielten als Politik zu machen. Diese politisch anstößige Antwort konnte ihr Sitznachbar, ein grimmig dreinschauender Journalist, der trotz der Hitze in der Halle mit einem Schal um den Hals in der Runde saß, nicht durchgehen lassen. Das sei nicht richtig, warf er ein. Die Politik in Georgien würde durch Frauen ganz entscheidend beeinflusst, behauptete er und verwies auf diverse Gender-Gruppen in Tiflis.

Ich war müde und stellte mich in eine Reihe an einen Kaffeestand. Eine hübsche junge Frau hinter  mir unterhielt sich mit ihrem männlichen Begleiter über Feminismus. Der Mann an ihrer Seite war ein hochaufgeschossener Schlacks, dessen ganze Körperhaltung verriet, wie scharf er auf seine Gesprächspartnerin war. Sie habe sich einer Gruppe von Frauen angeschlossen, die sehr erfolgreich an der Vernetzung des kanadischen und des europäischen Feminismus arbeite, flötete die Schöne. „Das klingt spannend“ schleimte der Schlacks und riss die Augen auf.  Es habe sogar schon Symposien in Brüssel gegeben, die von der Europäischen Union finanziert worden seien, fuhr die Schöne fort. Demnächst folge ein Treffen in Freiburg. „Da würde ich auch gerne dabei sein“, warf der  Schlacks ein, wartete aber vergeblich auf eine Einladung.Wie das Gespräch weiterging, weiß ich nicht, denn ich war dran und erwarb einen starken Kaffee. „Ist der denn auch aus ökologischem Anbau?“fragte ich missgelaut. „Weiß ich nicht, ich weiß nur, dass er 2 Euro kostet,“ antwortete der Standbetreiber.

Ich zahlte und schlenderte weiter. Die Schöne und der Schlacksige entschwanden 51BhS423AkL._SX319_BO1,204,203,200_aus meinem Blickfeld. „Heilen durch Hanf“ stand über dem Stand des Kneip Verlages. Würde mich jetzt ein Joint wieder auf Vordermann bringen? Ich erreichte das Auditorium der freien Autoren, auf dem gerade  der österreichische Kabarettist Severin Groebner aus seinem  Buch „Lexikon der Nichtigkeiten“ vorlas. In einer leicht österreichisch eingefärbten, aber messerscharfen Artikulation gab der Autor  seine Aphorismen und Scherze zu Stichworten wie „Deutschland“, „Ego“ oder „Familie“ zum Besten. Sein Vortrag glich einer temperamentvollen Suada, obwohl nur ein halbes Dutzend Leute zuhörten, was im Prinzip schade war, denn Sven Groebners Texte besaßen Witz und Essprit. Aber es gab ein Problem: Sven Groebner missachtete das Gesetz des Mindestabstands zwischen zwei Witzen und feuerte bedenkenlos einen Witz nach dem nächsten auf seine Zuhörer ab. Der eine Witz hatte sich noch gar nicht richtig gesetzt, da folgte schon der nächste.  Das ist auch der Grund dafür, dass ich keinen einzigen Witz behalten habe und nur noch weiß, dass es im Prinzip witzig gewesen ist.

IMG_3801Völlig unwitzig ging es dagegen am Stand der Frankfurter Rundschau zu. Ein wandgroßes Plakat forderte   ultimativ: „Haltung zeigen“. Die Zeiten waren ernst, und es war Entschiedenheit gefragt, das war die Message der überlebensgroß abgebildeten Gesichter auf dem Wandplakat. Aber was  bedeutete Haltung zeigen? Früher gab es in der DDR fünf Mark und eine Bratwurst, wenn man an den staatsorganisierten 1. Mai Kundgebungen teilnahm. Heute gab es Freibier und Freikarten, wenn man ein „Konzert gegen rechts“ besuchte. In beiden Fällen wurden Haltungen gezeigt, die der Obrigkeit angenehm waren. Wie aber stand es um diejenigen, die eine Haltung zeigten, die dem Mainstream nicht genehm war?

Jürgen Boos, der Direktor der Frankfurter Buchmesse, kann den zweifelhaften Ruhm für sich in Anspruch nehmen, diese Frage im Geist offener Stigmatisierung beantwortet zu haben. Nachdem es im letzten Jahr vor den konservativen und presse-juergen-boos-haelt-rede-773x513neurechten Verlagen zu gewalttätigen Auftritten von Linksradikalen gekommen war, hatte er angeordnet, genau diesen Verlagen, der Jungen Freiheit, dem Antaios- und dem Manuskriptum-Verlag, Messe-Standplätze in einer abgelegenen Sackgasse des Halle 4.1. ohne jeglichen Publikumsverkehr zuzuweisen. Als öffentliche Ausgrenzung unliebsamer Positionen auf einer Buchmesse war das ein einmaliger Vorgang, der sogar bei linksliberalen Medien wie der ZEIT und der FAZ moniert wurde. Aber wie verhielten sich die anderen Verlage? Gab es Proteste von Seiten der etablierten Verlage, die sich für einen ausgegrenzten Verlag in die Bresche warfen? Natürlich nicht. Rosa Luxemburgs Diktum „Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden“ galt schon damals nur für den linksinternen Betrieb.  Die „Junge Freiheit“, eine der besten Zeitungen Deutschlands, die noch immer von den politischen Talkrunden im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und fetten Pfründen des Anzeigengeschäftes ausgeschlossen ist, nahm es hin, errichtete ihren Stand am messegeografischen Katzentisch und versuchte ihr Programm unverdrossen abzuwickeln.

Ich erreichte den Stand der Jungen Freiheit als gerade das angekündigte Interview mit Vera Lengsfeld begann. Vera Lengsfeld hatte sich in der alten DDR im Vorfeld der  Wende in den Achtziger Jahren bei den Bündnis-Grünen und der „Kirche von unten“ engagiert. Landesweit bekannt geworden war sie, als  nach der Öffnung der Stasi-Archive in den frühen Neunziger Jahren ruchbar wurde, dass sie von ihrem Ehemann Knud Wollenberger im Auftrag der Stasi jahrelang bespitzelt worden war. Als man Knud Wollenberger fragte, warum er seine Frau bespitzelt habe, hatte er die bemerkenswerte Antwort gegeben: „Damit sich Auschwitz nicht wiederholt.“ Seit der widerrechtlichen  Grenzöffnung des Jahres 2015 hatte Frau Lengsfeld begonnen, sich mit der Politik der Bundesregierung immer kritischer auseinanderzusetzen. Zusammen mit dem WELT Journalisten Hendryk Broder hatte sie im Jahre 2018 eine „Gemeinsame Erklärung“ als Petition gegen die ungesteuerte Massenzuwanderung initiiert, die in kürzester Zeit von 165.000 Menschen (unter anderem auch von mir) unterschrieben IMG_3805worden war. Ich war ein regelmäßiger Leser ihrer Blogs und fand sie in der Sache meistens nachvollziehbar,  wenngleich etwas betulich und  weitschweifig.So war auch der persönliche Auftritt von Frau Lengsfeld. Am Interviewtisch der Jungen Freiheit stand eine verletzlich wirkende ältere Dame vor Dieter Stein, dem Chefredakteur der Zeitung, der in seiner kerzengeraden und hochgewachsenen Erscheinung einem Gardesoldaten glich. Stein interessierte sich für das weitere Schicksal der „Gemeinsamen Erklärung“ und fragte Frau Lengsfeld nach ihren Eindrücken von der Anhörung im Petitionsausschuss des deutschen Bundestages. Frau Lengsfeld war zu höflich, um von den Unverschämtheiten zu berichten, die sie sich zusammen mit ihrem Kollegen Hendryk Broder von flegelhaften SPD- und Linkspartei-Abgeordneten hatten anhören müssen. Stattdessen berichtete sie sachlich von den weiteren Aussichten der Petition. Ob die „Gemeinsame Erklärung“ vom Petitionsausschuss  überhaupt an den Bundestag weitergeleitet würde, sei noch offen, aber wenn, dann würde sie zuerst im Plenum und dann in den zuständigen Ausschüssen weiter beraten werden. „Sie haben also Erfolg gehabt“, mutmaßte Dieter Stein, denn immerhin würde sich der Bundestag mit der Gemeinsamen Erklärung und der Forderung nach Wiedereinrichtung geregelter Kontrollen an den deutschen Grenzen beschäftigen. Das könnte man nicht sagen, widersprach Frau Lengsfeld, denn sie habe schon erlebt, dass Petitionen im Bundestagsbetrieb einfach „versickerten“ wie etwa die Petition, die eine Zwangsüberprüfung aller Bundestagabgeordneten auf frühere Stasi-Tätigkeit verlangt hatte. Diese Petition war einfach verschwunden, so dass sich heute wieder  jede Menge  ehemaliger Stasi Mitarbeiter im Dunstkreis der Partei „Die Linke“ tummelten.Auf die Frage nach den nächsten Projekten kam Frau Lengsfeld auf eine geplante Petition gegen den Global Compact Pakt zu sprechen, über den die Mainstreampresse praktisch kaum berichtet worden war. In diesem, von der UN auf den Weg gebrachten  Migrationspakt, den die Bundesregierung unterschreiben wolle, sei ausdrücklich vom Verbot der Zurückweisung von Migranten an der Grenze eines beliebigen Landes die Rede. Hier werde eine Massenumsiedlung völkerrechtlich vorbereitet, wobei Massenumsiedlungen immer schon das Merkmal totalitärer Regierungen gewesen seien.Ob es denn dazu überhaupt noch kommen werde, fragte Dieter Stein, denn immerhin sei die Bundekanzlerin schwer angeschlagen, und möglicherweise seien ihre Tage gezählt. Das hoffte Frau Lengsfeld auch, wenngleich sie davor warnte, den Machtinstinkt der Kanzlerin und die Interessen ihrer Paladine zu unterschätzen.  Aber dass Frau Merkel und das mit ihr verbandelte System verschwinden  müsse, sie eine Überlebensfrage der Demokratie. Dieter Stein griff diese Antwort auf und fragte, was denn die vordringlichsten Aufgaben  einer Nach-Merkel-Ära seien.  „Der Wiederaufbau der schwer beschädigten demokratischen Institutionen“, antwortete Frau Lengsfeld. Vier Merkel Kabinette hätten die Institutionen des deutschen Verfassungsstaates, angefangen vom Bundestag bis zum Bundesverfassungsgericht, so schwer beschädigt, dass ein Neuanfang unabdingbar sei. Dieser Neuanfang dürfe aber nicht wieder durch Parteien okkupiert werden sondern müsse von den Bürgern ausgehen.

Zum Stand des Loci Verlages und der Veranstaltung mit der Dresdner Buchhändlerin Susanne Dagen kam ich leider zu spät. Ich hatte mir die falsche IMG_3802Uhrzeit notiert und den Auftritt glatt verpasst. Als ich den Stand des Loci Verlages erreichte, baute die Presse gerade ihre Mikrophone und Kameras ab, und ich traf nur noch auf Gruppe diskutierender Zuhörer. Der neurechte Verleger Götz Kubitschek  stand im Gang und war guter Dinge, denn er hatte es geschafft, durch seinen (scheinbaren) Verkauf des Antaios-Verlages an den Loci Verlag der   Stigmatisierungsstrategie des Messedirektors ein Schippchen zu schlagen. Denn zum Ärger der Mainstream-Agitatoren besaßen Kubitschek und sein Anhang nun doch noch einen ganz ausgezeichneten  Standplatz, um an der Messe teilzunehmen.

Langsam ging meine Zeit auf der Messe zu Ende, was schade war, denn am frühen Abend wurden zwei Personen erwartet,  die man sich unterschiedlicher kaum hätte vorstellen können. Der eine war der WELT Journalist Denis Yücel, der den Bevölkerungsrückgang Deutschlands als  „Völkersterben von seiner schönsten Sorte“ bezeichnet hatte. Außerdem hatte er Bundespräsident Gauk beschimpft, Papst Benedikt  als „Hitlerjungen“ geschmäht und Thilo Sarrazin den Tod an den Hals gewünscht. Denis Yücel  war also ein Pöbeljournalist der übelsten Sorte, der trotzdem vom bundesdeutschen Mainstream wie ein Freiheitskämpfer behandelt wurde.   Insofern wäre es interessant gewesen, wie sein Gespräch Alexander Skipis, genau wie Dieter Boos ein lupenreiner Vertreter der politischen Korrektheit, mit Yücel umgegangen wäre – aber wie gesagt, ich hatte keine Zeit mehr und ging zum Ausgang.

Das Treppenhaus jedoch, das zum Ausgang führte, war versperrt. Ganze Menschentrauben standen an den Balustraden, um die Ankunft des zweiten Prominenten an diesem Nachmitttag zu beobachten. Björn Höcke, der Vorsitzende der AfD Fraktion im Thüringer Landtag, war angekündigt, und jedermann wollte dabei sein, wenn dieser politische Gottseibeiuns die Halle betrat.  Seitdem Björn Höcke gesagt hatte, dass es ein einmaliger Vorgang sei, dass sich ein Volk das Denkmal seiner eigenen Schande in seine Hauptstadt stelle, war er zum absoluten Feindbild der bundesdeutschen Erinnerungskultur geworden. Keine öffentliche Herabsetzung, keine ausgeklügelte Gemeinheit war dem Mainstream zu widerlich, um Höcke bloß zu stellen. Wie immer taten sich auch hier die feigsten System-Sykophanten unrühmlich hervor. Martin Sonneborn, der Vorsitzende der Satirepartei, hatte sich als Oberst Graf Schenk von Stauffenberg verkleidet und wedelte am Fuß der Rolltreppe mit einer sonnebornAktentasche herum, die er – wie weiland der Widerstandkämpfer von Graf von Stauffenberg im Führbunker – dem vermeintlichen Nazi Björn Höcke bei seiner Ankunft unterschieben wollte. Wahrscheinlich empfand sich Sonneborn bei diesem Gehabe als besonders witzig, in Wahrheit war es ein Anblick zum Fremdschämen. Das Andenken an einen deutschen Helden und Widerstandskämpfer wurde durch eine linke Hetzfigur wie Sonneborn ins Banale herabgesetzt.

  Noch ein deprimierender Nachtrag, der zeigt, was die Stunde geschlagen hat. Am nächsten Abend  wurden Götz Kubitschek und seine Frau Ellen Kositza in einem Frankfurter Weinlokal von linksradikalen Schlägern überfallen. Sie schlugen Kubitschek nieder, sprangen Frau Kositza auf den Rücken, als sie ihren Laptop verteidigte und flohen erst, als Gäste eingriffen. Michael Klonovsky hat diesen Vorgang kurz darauf richtig eingeordnet. „Wenn man die beiden auf dem Wege der Ausgrenzung und Standortschikane nicht von der Buchmesse wegbekommt, dann müssen halt die bewährten SA-Methoden eingesetzt werden.“    

Ein Gedanke zu „Frankfurter Buchmesse 12.10.2018“

  1. Ein persönl.Stimmungsbild zeichnet der Autor von seinem Rundgang, vermischt mit eigenen Erinnerungen, weniger das Gastland Georgien im Mittelpunkt. Dafür steht im Vordergrund mehr Stimmungsmache, in persona das Sicherheitspersonal und im aufdringlich Gefühlten die Gesinnungskumpanei wie Messeleitung, Bankwesen und plakative Zeitungsmacher.
    Einzelne Leuchtpunkte wie z.B. Sloterdijks Tagebücher, der Feuilletonist A. Platthaus und die Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld vermochten den eigenen Standort wieder zurechtzurücken, wieder festen Boden zu gewinnen, ob all der aufgesetzten „Weltoffenheit“, wie ich den Zeilen des Verfassers entnahm.

    Christa Ludwig, Bonn

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