Franzen: Freiheit

Frantzen Freiheit 1BzUBdidpL._SX327_BO1,204,203,200_Fast ein Jahrzehnt haben die Bewunderer der „Korrekturen“ auf Jonathan Franzens neues Buch warten müssen – und liegt es vor. Sein Thema ist nicht mehr und nicht weniger als das Grundthema unserer Epoche – die Freiheit. Und zwar nicht die Freiheit als jene unterdrückte Unschuld, die sich langsam zu voller, segensreicher Kraft erhebt sondern als jenes allgegenwärtige Fluidum, das unerkannt, aber allgegenwärtig das Leben der Menschen einhüllt und entkernt. Was schon die alten Kirchenväter wussten ( sie wussten es von Platon ), dass die Freiheit einem Gift gleicht, das nur wenigen und diesen wenigen auch nur  in kleinen Dosen bekömmlich ist, wird in dem vorliegenden Buch in jedem Kapitel evident.

So weit so abstrakt – aber wie erzählt man davon? Man erzählt davon, wie es nur ein großer Epiker kann –  weit ausholend und im Detail, mit Gespür für Nuancen und für die großen Zusammenhänge, mit  weit verästelten Familienpanoramen, in denen sich die Agonie einer sogenannten freiheitlichen Zivilisation widerspiegeln. Die Protagonisten des vorliegenden Buches sind Subjekte und Objekte  dieser Zivilisation gleichermaßen, sie sind Produkte und Opfer der Freiheit, die sie ihr Leben lang preisen, auch wenn sie insgeheim ahnen, das sie wie ihr ganzes Leben zur Beliebigkeit verkommen ist.

 

Im Mittelpunkt des Romans steht die folie a trois zwischen Patty und Walter Berlgund und dem unbeständigen Rockmusiker Richard Katz –  präsentiert in der Hauptsache als die psychologisch meisterhaft fingierte Autobiographie einer modernen Frau, deren Träume einer  nach dem andern zerplatzen und die an der Seite eines Mannes, den sie nur mag, aber nicht liebt, zur Karikatur ihrer selbst wird.  Bleibt für Patty die Freiheit während der längsten Zeit ihres Lebens eine Verheißung, die sie nicht leben kann, so gleicht sie für den Musiker Richard Katz einer Heimsuchung, der er sich hingibt wie ein Blatt im Wind. Walter Berglund, der Gutmensch des Buches, dagegen ist die mit Abstand platteste Figur des Werkes, er ist mit seinem ganzen Zeitgeistmüll im Kopf auf eine so erschütternde Weise anständig und naiv,  dass er sich von den Kräften, die er eigentlich bekämpfen will (den Naturschändern), aufs Kreuz legen lässt.

 

Wohlgemerkt, das ist in dürren Worten der zentrale Plot des Buches, doch rund um dieses Zentrum wird, wie es sich für einen veritablen Gesellschaftsroman gehört,  ein ganzer Kranz von Themen abgearbeitet: der Irakkrieg und die Geschäfte der düsteren Cheeney-Clique, die Machenschaften der Bergbaulobby, das demokratische Gurtmenschengetue als Surrogat dafür, dass man in der eignen Familie versagt, die tropfenweise seelische Vergiftung der intergenerativen Familienverhältnisse, sogar Obama und der Immobiliencrash werfen  im letzten Kapitel ihren Schatten über das Buch.

 

Dass die Handlung dann am Ende auf den letzten dreißig Seiten noch ganz überraschend die Kurve kriegt und den Berglunds eine Ehe-Happyend beschert, würde ein schwächeres Werk disqualifizieren – am Ende von „Freiheit“ aber besitzt diese Wendung für mich eine merkwürdige Plausibilität, nämlich die Plausibilität der Tatsache, dass nur ein Stück Verzicht auf Freiheit und Egoismus ein dauerhaftes Glück ermöglicht.  Wer das immer schon gewusst hat, dem kann die Lektüre des Werkes trotzdem empfohlen werden, denn die sprachliche Meisterschaft und thematische Raffinesse, mit der Franzen seine Botschaft vermittelt, ist jede Lektüre wert.

 

 

 

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