Genazino: Die Liebesblödigkeit

0 -Statt einer Rezension des Buches über die „Liebesblödigkeit“ ein kapitel aus dem Buch: Schule des Lesens, in dem vier Personen den Roman „Die Liebsblödigkeit“ von Wilhelm Genazino  aus unterschiedichen Perspektoven besprechen.

 

 KAPITEL VI: WILHELM GENAZINO.  DIE   LIEBESBLÖDIGKEIT

Lothar hatte ein halbes Jahr nach seiner Scheidung wieder angefangen mit anderen Frauen zu schlafen. Nach einer langen Zeit der Vereisung überraschte es ihn, wie wohltuend ehrlicher und guter Sex sein konnte, er kam ihm vor wie eine Nahrung, die man lange vermisst und von der man fast vergessen hatte, wie sehr Genazino Liebesblödigkeit 41cdQquGxlL._SX312_BO1,204,203,200_sie zum Leben gehörte.  In der letzten Woche hatte ihn eine alleinstehende Sportlehrerin nach Minden eingeladen, eine schlanke, distinguierte Frau mit einem gewinnenden Lächeln, tadellosen Umgangsformen und völlig vorurteilsloser Intimität. Sie empfing Lothar mit Sekt und Häppchen in ihrer Doppelhaushälfte und servierte eine traumhafte Pasta, ehe er sie noch bei der Zubereitung des Nachtisches ergriff, um sie ohne weitere Umstände ins Bett zu tragen. Benebelt von Alkohol und Hormonen schliefen sie zusammen voller Gier wie zwei Verdurstende, die endlich trinken durften und ahnten doch schon während der Liebe, dass es wieder nur eine Episode sein würde, ein Intermezzo der Lust im faden Singlealltag.

Als  Lothar sie am nächsten Mittag verließ um wieder nach Köln zu fahren, lachte sie, als ihm zum Abschied zuwinkte, doch er wusste, dass sie sich nicht wiedersehen würden.   Lothar bildete sich auf solche Abenteuer nichts ein, weil er wusste, dass sie nur Surrogate waren, Episoden, die das Warten auf einen wirklichen Neuanfang erträglich machten, auch wenn sie manchmal einen schalen Geschmack zurückließen.  In Wahrheit beneidete er Frank, der mit seiner Karin im japanischen Viertel von Düsseldorf ein gemeinsames Leben lebte. Sie hatten ihre Wohnung geschmackvoll eingerichtet und führten ihren Freunden nacheinander ihre neue Privatheit vor – voller Liebe und Vertrautheit und vor allem: auf Dauer angelegt.  Auch Marcel und Elke lebten in tragfähigen Beziehungen, in denen man sich aufeinander verlassen konnte. Lothar, der heute Gastgeber des Lesekreises war, hatte niemanden, der ihm bei der Vorbereitung half, und eine Zufallsbekanntschaft wollte er seinen Freunden auch nicht als Gastgeberin vorführen. So blieb er bei seinem Standardangebot, Steaks mit Baguette, Kräuterbutter und Salat, was zwar etwas teuer, aber immer ein Erfolg war.

Elke nahm ihr Steak englisch, Frank medium und Marcel durch, alles gelang, alles schmeckte und auch über den Cabernet Sauvignon gab es keine Klagen. Zum Nachtisch hatte Lothar vier Eisbecher vorbereitet, die sie auf dem Sofa auslöffelten, während Lothars Katzen sich auf der Fensterbank niedergelassen hatten, um die Gäste zu beobachten.

Das Buch des heutigen Tages stammte vom Büchnerpreisträger Wilhelm Genazino und trug den Titel „Die Liebesblödigkeit.“ Da Lothar das Buch am Ende der letzten Sitzung ausgewählt hatte, begann er mit der Zusammenfassung. Er blätterte in dem Buch und las: „Ich kann die dauerhafte Liebe zu zwei Frauen nur empfehlen„. Dieses Zitat umreiße das Motto des Buches. Die Liebe eines Mannes zu zwei Frauen oder die Liebe einer Frau zu zwei Männern definiere nach Meinung des Autors die „Mindestüppigkeit“ des Lebens, die der Mensch benötige, um nicht an der „Verhunzung“ des Lebens zugrunde zu gehen.

Sogar die Katzen hatten den Kopf gehoben und schienen zuzuhören, als Lothar fortfuhr: „Der Mann, der diese Grundsätze auskömmlich zu leben weiß, ist Mitte Fünfzig und als freiberuflicher Apokalypse Spezialist die Hauptfigur des Romans. Getreu seinen Grundsätzen lebt er zwei Affären gleichzeitig, eine mit der 42jährigen Sekretärin Sandra und eine andere mit der 51jährigen Musiklehrerin Judith. Beide Frauen wissen nichts voneinander und begnügen sich damit, ihren Geliebten von Zeit zu Zeit bei sich daheim zu verwöhnen. Eigentlich ein ganz zufriedenstellendes Leben, sollte man denken, würde sich nicht langsam aber sicher das Alter heranschleichen – erkennbar an Krampfadern, Wackelerektionen und einem immer beiläufigerem Samenerguss. Außerdem verfügt der Apokalypse Spezialist über keine Altersversorgung, so dass lebensendlich eine Privatapokalypse droht, falls sich der Protagonist nicht für eine der beiden Damen entscheidet, um seine alten Tage auf der Basis einer spätehelichen Altersversorgung abzuleben. Die Schuldgefühle über dieses nicht besonders edle Szenario und die Unfähigkeit, sich von einer der beiden Frauen zu trennen, treibt den Protagonisten in die so genannte `Liebesblödigkeit´, einen Zustand der Entscheidungsunfähigkeit und der extremen Stimmungsschwankungen, der am Ende des Buches einfach dadurch beendet wird, dass nach einigem Hin und her alles so bleibt, wie es ist.“

Lothar klappte das Buch zu und legte seine Notizen auf den Tisch. Soweit die Handlung des kleinen Romans, der nach seiner, Lothars Auffassung, in zurückhaltender, aber kaum überbietbarer Komik entfaltet würde und der zugleich dem Autor hinreichend Gelegenheit böte, seinen Insektenforscherblick auf die Alltagsabstrusitäten unserer Gesellschaft zu werfen. Was über die „Ekeldichte“ pro Quadratkilometer, über die Theorie des „Pupens“, die drohende „Enderektion„, die „Konsumstockung“ und nicht zuletzt über „schaukelnde Brüste als Ausdruck von Heimat und Freude“ in dem Buch zu lesen sei, kam Lothar extrem witzig vor. Für ihn selbst, so schloss Lothar, habe das behagliche Bad in diesem Wörtermeer aus Neologismen den Hauptreiz des Buches ausgemacht, wobei er allerdings zugeben müsse, dass das eigentliche Entscheidungsproblem des Apokalypse Spezialisten ungelöst bliebe.

Elke, die verheiratete Mutter von vier erwachsenen Kindern, war ganz anderer Ansicht als Lothar. Sie konnte dem Zivilisationsapokalyptiker mit seiner Wackelerektion weder als literarischer Figur noch als  Lebensmodell etwas abgewinnen, was Lothar wunderte, weil sich Elke doch immer gerne von seinen, Lothars Singleerlebnissen, erzählen ließ. Die sprachlichen Dönekens, die Lothar so begeisterten, sagten ihr gar nichts, und es wundere sie, dass ein solch armer Wicht die Hauptfigur im Roman eines bedeutenden Schriftstellerns sein könne.

Lothar zeigte sich über Elke harsche Ablehnung erstaunt. Er wies noch einmal auf die seiner Ansicht nach ungemein geistreichen Wortschöpfungen hin, die einen eigenen „Genazino Jargon“ konstituierten, was er aber positiv sehen wollte, weil diese Neologismen ihm wie neuartige Brillen erschienen, mit denen er das, was er immer schon gespürt habe, nunmehr exakt erkennen und benennen könne. Genazino aber habe nicht nur seine Welterkenntnis bereichert, sondern, was noch viel wichtiger sei:  er habe ihn, Lothar,  auch getröstet, denn so viel Distanz zu sich selbst, so viel implizite Heiterkeit und Nachsicht gegenüber den Deppen der Welt habe er selten gelesen.

Marcel und Frank hatten bislang schweigend zugehört, Elke aber hatte während Lothars Laudatio nur mit dem Kopf geschüttelt. Es überrasche sie keineswegs, so entgegnete sie, dass Lothar diesen Typ so bewundere. Im Kern aber sei dieser zivilisationsmüde Gelegenheits-Apokayptiker eine ganz arme Sau und, was ihm vielleicht sogar zu viel Ehre antue, weniger ein gesellschaftliches Trost- als ein Krisensymptom. „Sollen wir denn in einer Welt leben, in der alte Knacker, deren Geilheit im Kopf größer ist als zwischen ihren Beinen, auf wackeligen Holzgestellen ihre Geliebten besteigen?“ fragte sie. „Diese Karikatur eines  Frühfünfzigers mit seiner sich andeutenden Sexualverlöschung ist frauenfeindlich und  verantwortungslos. Keine Gesellschaft kann  mit solchen Menschen auf Dauer existieren- ganz abgesehen davon, dass die Frauen, die in diesem Buch beschrieben werden, überhaupt keine Frauen sind. Es sind lebende  Bonbonautomaten, leibhaftige Gummipuppen wie aus dem Pornoshop, die den Männern alle Wünsche mit Freude und Begeisterung erfüllen. Wenn mein Mann einmal keine Erektion mehr zustande brächte, würden sie doch wohl nie auf die Idee kommen, eine Holzvorrichtung zu bauen, damit der Herr der Schöpfung sie besser besteigen könne.“

„Kannst du dir da so sicher sein?“ zweifelte Lothar, was Elke ärgerte, so dass sie hinzufügte, dass sie über Lothars Begeisterung nicht erstaunt sei.  Er, Lothar,  entdecke in diesem Buch möglicherweise eine Rechtfertigung seiner eigenen Existenz und verkenne, dass die Liebe hier alleine aus der Sicht von Singles beschrieben werde. „Außerdem wird die Liebe als rein technische Angelegenheit abgehandelt, die am  Ende sogar noch dem Kalkül der Altersversorgung untergeordnet wird. Das Buch erzählt alles Mögliche, nur keine Liebesgeschichte.“

Wenn Lothar verstimmt war, ließ er es sich nicht anmerken. Er wolle einmal offen lassen, inwieweit dieses Buch als eine Rechtfertigung seiner Existenz gelesen werden könne, abtwortet er. Pause. Er stimme allerdings der These zu, dass es sich bei der „Liebesblödigkeit“ um gar keine Liebesgeschichte handele, denn der Protagonist liebe die beiden  Frauen nicht wirklich. Er lebe in einer Welt der Zumutung und der seichten, temperierten Liebe, es sei also eine emotional darbende Welt, nicht vergleichbar mit der üppigen Welt, in der Elke lebe und die sie  mit dem ausgefahrenen moralischen Zeigefinger so gekonnt  zu loben wüsste.  Aber in dieser Mangelsituation wisse es sich der Protagonist gut einzurichten, indem er auf die große verzehrende Leidenschaft verzichte.  „Ja, Verzicht ist das richtige Wort, er bescheidet sich mit zwei Frauen, was immer weniger ist, als wenn eine einzige Frau den Liebeshorizont abdeckt. Vielleicht ist das die `Liebesblödigkeit´, aber eine Liebesblödigkeit im sokratischen Sinne, die sich selbst als `blöde´ ausgibt, obwohl sie doch in Wahrheit weise ist. Weise, weil das Anstreben der Liebe in ihrer Fülle doch nur eine Form der Beknacktheit sei, die ihre Beknacktheit spätestens bei der Scheidung vor aller Augen enthüllt.“

Lothar hatte sich in Rage geredet, denn Elkes Anspielung auf ihn hatte ihn empört. Deswegen setze er noch einen drauf: „Eine ganz unironische Form der Liebesblödigkeit wird übrigens in dem Buch am Beispiel der Schwester von Judith beschrieben. Diese Schwester lebt am Rande der Stadt ein unsagbar konventionelles und ödes Leben mit einem Arzt, und ich vermute, dass den beiden die besagte Holzkonstruktion  ganz gut tun würde.“

An dieser Stelle wunderte sich Marcel, welche Rolle diese  Holzkonstruktion in der Argumentation spiele. Wenn er  sich dieses technische Hilfsmittel zur Sicherstellung der reibungslosen Begattung vor Augen führe,  dann erscheine sie ihm nicht wie eine Dienstleistung zugunsten des Protagonisten sondern eher wie eine Zumutung.

„Nicht Verzicht, sondern Zumutung ist der Schlüsselbergriff des Buches“, fuhr Marcel fort, „weil dem Protagonisten alles eine Zumutung sei – dass er Gerüste besteigen und Sandra durchvögeln muss, sei für ihn in Wahrheit eine Zumutung. Auch seine sozialen Kontakte, etwa die Begegnungen mit dem `Postfeind´, dem `Ekelbeauftragten´ und den neumalklugen Teilnehmern an seinen Weltuntergangsseminaren gehen ihm in Wahrheit auf den Wecker.“  Dieser leise verhaltene  Ekel an der Welt, dieses Fremdeln bei Menschen, die ihm doch nur Gutes wollen, dieser nörgelige und zugleich resignative Grundduktus des Buches spreche ihn, Marcel, allerdings ganz und gar nicht an, und von der Distanz- und dem Trostpotential, das Lothar dieser Figur zuspreche, könne er auch nichts entdecken. „Soll das schon Trost sein, wenn der Autor dem Leser die Nachricht mit auf den Weg gibt: schau nur, ich bin genauso ein armer Wicht wie du? Außerdem widerspricht sich der  Protagonist so oft, dass der Leser nicht recht weiß, was er glauben soll. Oft weiß man in dem vorliegenden Buch noch nicht einmal ganz genau,  wie sich dieser oder jener Vorgang wirklich zugetragen hat.“

„Wie es gewesen ist, ist ja wohl völlig egal“, meinte Frank.  Gerade in der Vieldeutigkeit, die das Buch beinhalte, sehe er eine Stärke – mehr noch: ein Buch, dass seine Leser wie man ja unschwer sehe, zu Begeisterung und Empörung gleichermaßen treibt,  könne so schlecht nicht sein. Ihn persönlich wunderten allerdings  die bleischweren Maßstäbe, mit denen dem Werk zu Leibe gerückt würden. „Sie werden dem Buch einfach nicht gerecht“, behauptete Frank. „Niemand verlangt doch von Kant, dass er witzig sei, warum soll den Genazino sein Werk mit sittlich widerspruchsfreien moralischen Maximen durchtränken? `Liebesblödigkeit´ ist ein  absolut amüsantes Buch, durchsetzt mit geradezu köstlichen Einfällen und Ideen, es ist eben Kunst, herausgeschält  aus den Kuriositäten des Alltag, unterhaltsam und kurzweilig, aber nicht in erster Linie realitätslastig.“

„Merkwürdig, dass du die Literatur so locker von ihrem moralischen Anspruch freisprichst“, wunderte sich Elke. „Es ist mir doch vollkommen gleichgültig, wie und mit welchen baumarkttechnischen Hilfsmitteln sich dieser Mensch vergnügt. Von mir aus kann er vom Wohnzimmerschrank auf seine Geliebte springen. Aber wenn ich sage, dass es sich in Gestalt dieses Namens- und Ratlosen in Wahrheit um einen Verantwortungslosen handelt, dann meine ich seinen Stellenwert im Rahmen der Gesamtgesellschaft, und ich bin einfach nicht bereit, Bücher so völlig losgelöst von ihrem Umfeld zu sehen. Wo sind zum Beispiel die Kinder in diesem Buch? Es gibt sie nicht. `Liebesblödigkeit´ ist ein Roman der Kinderlosen, und vielleicht sind sie deswegen `liebesblöd´, weil sie die Hauptfunktion der Liebe, eben die Erzeugung von Kindern, verkennen. Wir leben in einer demografisch schrumpfenden Gesellschaft, in der sich die `liebesblöde´  Elite mit  literarischem Nonsens beschäftigt und dafür auch noch den Büchner-Preis erhält.“

„Was für  katholische Böller  du hier krachen lässt“, wunderte sich Lothar. „Moral und Verantwortung gut und schön, aber moralische Bewertung ist das, was der Kunst am Allerschlechtesten bekommt. Natürlich stimme ich dir zu, dass sich ein Werk immer innerhalb eines sozialen und zeitgeschichtlichen Umfeldes bewegen soll. erta.

Aber genau das tut dieses Buch doch. Nur  handelt es nicht von den Fortpflanzungsraten oder Scheidungsraten, sondern einer anderen Großformation der modernen Gesellschaft, der Singe-Existenz. Genazinos Geschichte beschreibt die Singlewelt der Frühfünfziger Jahre, wenn sich der Kreis der Freunde nicht mehr ausweitet, wenn diese Freunde genauso wie man selbst, immer absonderlichere Züge annehmen und wenn sich, meinetwegen, der Samenabgang nur noch  ganz sachte vollzieht und man sich auf die Enderektion vorbereitet. Das habe ich noch nie so gelesen, und die Tapferkeit, mit der der Protagonist diese Perspektive aushält  und sogar noch mit Humor durchmischt, hat in meinen Augen geradezu etwas Weises.“

„Aber die Frauen werden belogen, Sandra und Judith wissen nichts voneinander, an einer Stelle wird Sandra bewusst hinters Licht geführt. Das ist doch egomanisch“, beharrte Elke.

„Wir leben in einer egomanischen Welt“, warf Frank ein. „Aber hier ist es eine Egomanie, die der Autor  jedermann und jederfrau zubilligt. Frank öffnete das Buch und las: „Er hat nichts dagegen, wenn auch die Frauen zwei Männer haben, um die Mindestüppigkeit des Lebens zu erreichen, ich wünsche allen Männern zwei Frauen und allen Frauen zwei Männer, wenigstens phasenweise, denn  zwei Frauen oder zwei Männer sind die Mindestüppigkeit, mit der wir den Kampf gegen unser armseliges Leben antreten können.“

„Ist das aber nicht nur eine Floskel?“ fragte Marcel. „Ob das Buch nun verantwortungslos oder frauenfeindlich ist, weiß ich nicht. Mir kommt es aber so vor, als sei das Buch ganz ohne Frauen geschrieben, denn die Frauen, die im Buch vorkommen, sind verkappte Männer. Ob das Absicht oder Unvermögen des Autors ist, weiß ich auch nicht.“

„Auf jeden Fall ist es ein Buch, das aus Männersicht geschrieben wurde“, gab Lothar zu.  „Aber wie soll es denn anders gehen? Welcher Autor ist schon in der Lage, die Innenwelt einer Frau zu beschreiben? Fast niemand. Aber kann denn dieses Manko schon hinreichen, ein Buch in den Orkus zu schicken? Von Frauenliteratur erwartet man doch auch keine vertieften Einsichten in Männerseelen, ohne dass dies den Frauen besonders negativ angekreidet würde. Im Gegenteil: wenn ich mal was ganz politisch inkorrektes äußern darf, dann  scheint es mir oft so, als bestände der Wert von Frauenliteratur vor allem darin, dass Männer einmal lernen können, wie Frauen denken und fühlen.“

„So einen Blödsinn habe ich ja nur selten gehört“, zischte Elke. „Dann müssten ja alle Frauen, die viel lesen, ihre Männer wunderbar verstehen.“

„Es sei denn, sie lesen nur Frauenliteratur“, gab Lothar zurück.

„Jetzt aber mal zurück zum Buch“, mahnte Marcel. „Ganz egal, ob das Buch nun aus Männer- oder Frauensicht geschrieben ist, möchte ich noch einmal  die Frage nach der literarischen Qualität aufwerfen. Zunächst einmal stelle ich fest, dass dieses Buch etwas Haraldschmidthaftes hat, und das ist mir für ernsthafte Literatur etwas wenig.“

„Harald Schmidt ist wohl eher genazinohaft, ohne dass er oder das Publikum das wüssten“, warf Frank ein.

„Zweitens stelle ich fest“, fuhr Marcel fort, „dass wir einen Text vor uns haben, der ein Problem aufwirft, das am Ende nicht gelöst wird. In einem gelungen Roman, der diesen Titel verdient, wird ein  Problem aufgeworfen, das die Figuren zu Stellungnahme und  Veränderung zwingt, so dass sich am Ende eine nachvollziehbare Entwicklung ergibt. Die Kunst des Romanciers besteht nun darin, diese Veränderungen aus den vorher explizierten Charakteren und Umständen plausibel zu machen. Davon kann doch wohl hier keine Rede sein. Nichts wird gelöst, das Problem bleibt, keine Gestalt im Buch verändert sich, alle bleiben wie sie sind. Ist es das, was wir lesen wollen?“

„Ja, wenn es der Wirklichkeit entspricht, antwortete Lothar.

„Nein, wenn es unmoralisch und frauenfeindlich ist“, ergänzt Elke.

„Auf jeden Fall, wenn es so witzig, geistreich und kurzweilig ist wie das vorliegende Buch“, lachte Frank.

 

 

 

 

 

 

 

 

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