Harper: Fatum. Das Klima und der Untergang des Römischen Reiches

Es gibt kaum ein Thema, dass den Forscherfleiß der Wissenschaft und die Fantasie des Publikums derart beschäftigt wie der Untergang des Römischen Reiches. Der Fall des wohl bedeutendsten Imperiums der Weltgeschichte galt zu allen Zeiten als Stimulus historischer Erkenntnis und als das Mega-Drama schlechthin.  Schier unübersehbar sind die Erklärungsansätze – angefangen vom persönlichem Versagen schwacher Kaiser, über Strukturzwänge, wie sie Grant und Rostovzeff  beschreiben bis hin zu Gibbons  „Sic transit gloria mundi`´“

Eine Erklärung eigener Art bietet das  vorliegende Buch „Fatum. Das Klima und der Untergang des Römischen Reiches“ Es reiht sich ein in die klimageschichtliche Welle der Universalgeschichte, derzufolge neuerdings alle wesentlichen Umbrüche der Weltgeschichte mit klimatischen Veränderungen in Beziehung stehen. Untergang der Maya? Antwort: Mittelamerikanische Dürreperiode im achten Jahrhundert. Untergang der Wikinger auf Grönland? Eine Kaltzeit ließ große Teile der Nordsee zufrieren und schnitt die Nordmänner von ihrem Nachschub ab. Die große Pest? Eine Folge eines starken Temperaturabfalls, der die Raten und Flöhe in die Nähe der Menschen trieb.  Und nun das Römische Reich. Man darf  gespannt sein.

Kyle Harper beginnt seine Analyse mit einer ökologischen orientierten Darstellung des römischen Reiches. Sie zeigt ein Reich, dass kalte stürmische Wetterzonen wie die britischen Inseln mit subtropischen Gebieten wie den  afrikanischen Provinzen verband, was beträchtliche Koordinationsprobleme mit sich brachte. Trotzdem erlebte das Imperium im zweiten nachchristlichen Jahrhundert seine  Blütezeit.  Was für ein Glück, denkt der Leser, dass das diese Epoche mit der Amtszeit der tüchtigen Adoptivkaiser zusammenfiel – oder kommen gute Kaiser auch nur ins Amt, wenn das richtige Wetter herrscht?

Wie dem auch sei: Der Aufstieg Roms und sein Zenit waren undenkbar ohne optimales Klima, wobei Klima und Umwelt niemals als stabile Bühnenbilder missverstanden werden dürfen.  „Die Erde war und ist eine schwankende Plattform menschlichen Tuns, so instabil wie ein Schiffsdeck in einem Sturm“ schreibt der Autor nicht ohne poetische Ambition. „Ihre physikalischen und biologischen Systeme sind ein sich ständig wandelnder Schauplatz und haben, wie John Brooke es nennt, für eine `stürmische Reise´ gesorgt, seit es uns Menschen gibt“.

Sturm kam vor allem dann auf, wenn sich das Klima wandelte, was leider viel zu oft geschah.  „Der Klimawandel war  immer ein exogener Faktor, ein echter Joker, der alle übrigen Spielregeln außer Kraft setzte“, schreibt Harper.“ Von außen her modifizierte er die demographischen und agrarischen Grundlagen des Lebens, von denen die komplexeren Strukturen von Staat und Gesellschaft abhingen.“  Mit anderen Worten: der Mensch der Spätantike war kein „Täter“, der das Klima veränderte (wie er das heute tut, der Mistkerl), sondern ein „Opfer“, der unter dem Klima litt. Veränderungen die Erdrotation, Variationen der Sonnenprotuberanzen und  Vulkanausbrüche veränderten das Klima, und er wusste es nicht.

Spätestens an dieser Stelle des Buches merkt der Leser, dass es sich bei dem vorliegenden Buch weniger um eine Klima- als um eine weit gefasste Umweltgeschichte des Römischen Reiches  handelt, die auch noch die  großen spätantiken Seuchen umfasst.  Seuchen sind für Kyle Harper ein integraler Bestandteil der Umweltgechichte, weil der Grad der Verstädterung, das Ausmaß von Regen und Dürre und die Durchlässigkeit der Infrastruktur Einfluss auf die Entstehung von Epidemien haben.

Drei große Seuchen erschütterten die Spätantike und schwächten das Reich so nachhaltig, dass es schließlich ermattet im Orkus der Geschichte versank, könnte man vereinfachend sagen. Es begann im Jahre 165 n. Chr. mit der sogenannten „Antoninischen Pest“, die in Wahrheit eine Pockenepidemie war.  Während sie noch einigermaßen überwunden wurden, führte die Cyprinaische Seuche das Reich an den Rand des Zusammenbruchs, der nur mit Mühe und Glück bewältigt werden konnte.  Denn gottlob wurde das Wetter wieder besser.  “Nach dem Jahr 266 kam es eineinhalb Jahrhunderte lang zu keinem größeren Vulkanausbruch. Die Sonneneinstrahlung nahm zu, erreichte im ganzen Römischen Reich ihren Höhepunkt um 300 n. Chr. und blieb stabil bis zum fünften Jahrhundert.“ Kein Wunder, denkt der Leser, dass die diokletianischen Reformen erfolgreich waren und Konstantin der Große das Reich wieder einigen konnte.

Ab dem fünften Jahrhundert wurde das Klima dann wieder kälter. Zu allem Unglück erschienen auch noch die Hunnen und die Germanen an den Grenzflüssen, die zugefroren waren, so dass die Eroberer problemlos übersetzen konnten.    Der Untergang Westroms und die schreckliche Beulenpest ab 550 führten schließlich zur Entstehung zahlreicher  eschatologische Bewegungen, zu denen der Autor auch (Achtung: sehr großes geschichtliches Karo) den Islam zählt: „Die Ursprünge des Islam liegen in einer eschatologischen Bewegung, die ihre Offenbarung mit dem Schwert verbreiten will und verkündet, dass die letzte Stunde nahe ist. Hier kam die eschatologische Kraft des siebten Jahrhunderts am eindeutigsten zum Ausdruck.“  Mit der Expansion des Islams und der Reduktion des oströmischen Reiches auf das kleinere byzantinische Reich endet das umfangreiche Werk.

Trotz zahlreicher Einwände, die die Harpers Darstellung provoziert, habe ich das Buch mit Interesse und Gewinn gelesen.  Dass der antike Mensch klein (1,60m), fast immer hungrig und permanent von Seuchen bedroht gewesen war, hatte ich nicht gewusst. Was die Plausibilität der klimaverursachten Untergangsgeschichte betrifft, wird man dem Autor cum grano Sali zustimmen können, wenngleich die Parallelisierungen mitunter etwas willkürlich erscheinen. Auch die Logik der Argumentation ist nicht immer widerspruchsfrei. Wenn  das Reich durch das gute Klima im 4. Jahrhundert erstarkte, wieso erstarkten dann nicht auch seiner Gegner? Immerhin ist der  Autor ehrlich genug, die nachweisbaren historischen Umbrüche nicht eins zu eins (sondern um drei Ecken) mit Umwelt und Klima in Beziehung zu setzen. Dass das Buch im modisch-klimageschichtlichen Dressing daher kommt, wird man dem Autor nachsehen, auch wenn er es sich nicht verkneifen kann, am Ende ein wenig sinnfrei zu orakeln.  „Das Beispiel Roms erscheint wie eine Mahnung aus großer zeitlicher Distanz, dass Klimawandel und die Evolution von Krankheitserregern die Welt geformt haben, in der wir leben. Wer die Schrift an der Wand zu lesen versteht, weiß, dass das, was hier profund und überraschend beschrieben wird, sich wiederholen kann.“

 

 

 

 

 

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