Helmuth Kiesel: Ernst Jünger

Jünger 0_Schon als ich noch begeisterter Junglinker war und für Willy Brandt Wahlzettel verteilte, hatte mich die Figur Ernst Jüngers interessiert. Zugegeben, er galt in unseren Kreisen als eine Persona noch grata, ein Kriegshetzer, Militarist und  Nazi, den man bekämpfen  musste.  Zugleich aber war er das, was man früher als einen „Helden“ bezeichnete,   ein mutiger und tapferer Krieger, dem selbst seine militärischen Gegner Respekt zollten.  Im Ersten Weltkrieg war er vierzehnmal verwundet worden, hatte trotzdem überlebt und war mit höchsten Auszeichnungen zurückgekommen. Dass mir das damals imponierte, bereitete mir Unbehagen und gilt mir heute als Anzeichen dafür, dass sich meine eher konservative Natur schon damals regte und dass  mein Verbleib im linken Lager nur eine biografische Episode bleiben würde. Als ich älter wurde, erfuhr ich auch von Jüngers Widerstand gegen das Dritte Reich, von seiner Weigerung in die NSDAP einzutreten (im Unterschied zu Grass, Habermas, Jens, Wehler und anderen Moralathleten der bundesrepublikanischen Linken), seiner wagemutigen Veröffentlichung der „Marmorklippen“ und seinen persönlichen Abscheu vor den Proleten der höheren NS-Führung. Nur merkwürdigerweise wurde das öffentlich kaum rezipiert. Auch die Reisetagebücher, die Jünger Zeit seines Lebens verfasste, die technikkritischen und die ökologischen Schriften seiner späteren Lebensphase blieben in der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet.

Erst im Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Krise im Zuge der moslemischen Masseneinwanderung stieß ich auf der Suche nach Orientierung und Verständniskategorien wieder auf die Schriften von Ernst Jünger – und dabei auf die  monumentale Biografie von Helmuth Kiesel. Dieses Tausendseitenwerk habe ich in der letzten Woche geradezu verschlungen und entdeckte darin das Zeitporträt eines ganzen Jahrhunderts, samt seiner Strukturen, Verwerfungen und sich radikalisierender Krisen. Die besondere Pointe des Buches besteht darin, dass der Leser dieses Jahrhundert mit den Augen Ernst Jüngers sieht. Außerdemn werden sämtliche bedeutenden Werke Jüngers auf erstaunlich detailliertem Niveau vorgestellt, so dass sich ein Überblick über das Jüngersche Werk ergibt. So wird ein Werk sichtbar, dass sich im Angesicht der Katastrophen und Verhängnisse eines ganzen Jahrhunderts um Sinnhaftigkeit bemüht – auch wenn es diese Sinnhaftigkeit in nichts anderem findet als in dem distanzierten Adel der eigenen Person. Insofern ist Jüngers Werk nichts für die Masse, auch und gerade, weil es turmhoch über das Gegenwartsgeschreibsel der Mainstreamliteratur herausragt. Inhaltlich begreift der Augtor Jüngers Position als die eines „Abbruchunternehmers“, der das, was morsch ist, als morsch benennt, um darauf in einem neuen, heroischen Geist aufzubauen. Im Einzelnen wäre dazu viel auszuführen, allgemein aber scheint mir, dass der frühe Jünger in „Der Arbeiter“ oder in „Die totale Mobilmachung“ die neue Zeit allzu sehr vom Feldherrnhügel aus betrachtet.  Das Leid des Einzelnen, der unter die Räder dieser neuen  Zeit gerät, galt ihm zunächst nicht viel. Das ist eine ethische Schwachstelle,  die allerdings im Spätwerk radikal korrigiert wird.

Es ist hier nicht der Ort, auf die vielfältigen Anregungen einzugehen, die dieses Buch vermittelt. Nur einige seien hier genannt. Etwa die erstaunliche Breite des politisch-literarischen Diskurses in der Spätphase der Weimarer Republik, als Linke und Rechte, Liberale und Katholiken auf gemeinsamen öffentlichen Foren noch argumentativ miteinander stritten. So trafen der rechtskonservative Jünger nacheinander Goebbels, Brecht und Becher, um sich weniger an ihren Ansichten, als an ihrem plebejischen Gehabe zu stören. Besonders im Kontakt zur NSDAP stellte sich etwas ein, was ich die „Jünger-Enttäuschung“ nennen möchte: ein Erschrecken darüber, in welch menschlich mediokren, um nicht zu sagen: minderwertigen Formen sich die Aktivisten weltverändernder Ideen darstellen können.  Diese Abneigung war gegenseitig, nicht zuletzt, weil sich Jünger gegen jede Form des primitiven Antisemitismus verwahrte.  Anders als Heidegger und Carl Schmitt, mit dem Jünger zeitweise eng befreundet war, lässt sich Jünger durch die Machthaber des Dritten Reiches nicht einmal zeitweise vereinnahmen. Im Gegenteil: er lehnt Ehrungen, Ernennungen  und Einladungen oft schroff ab, äußert sich hier und da durchaus spitz zu Fragen der Zeit und zieht sich ansonsten in die „innere Emigration“ (räumlich von Berlin nach Goslar, dann zum Bodensee) zurück, wo er an seinen „Marmorklippen“ schreibt.  So wie er durch die Materialschlachten des Ersten Weltkrieges kam, kommt er auch unbeschadet durch das Dritte  Reich – und zwar als jemand, der aus seiner Distanz zum Regime niemals einen hehl gemacht hat.  Man erkennt daran, dass das Dritte Reich unterhalb einer gewissen Wahrnehmungsschwelle gewisse Pluralitäten erlaubte. Unter Stalin hätte Jünger mit diesem oppositionellen Habitus ganz sicher nicht überlebt.

Eine weitere Frage drängte sich auf, die sich merkwürdig anhört, die aber in Zusammenhang mit Jüngers Person gestellt sein will: Die Frage nach der Begründung einer Idee durch den Adel der Person, die sie vertritt. Bei Religionsgründern leuchtet das unmittelbar ein, wie aber verhält es sich bei ideologisch-weltanschaulichen Fragen? Mag die Vornehmheit einer Person auch kein Wahrheitsbeweis sein, so verlangt sie doch Respekt, der sich nur niedrige und abgefeimte Naturen entziehen können. Noch ergiebiger wird die Perspektive, wenn man sie auf ihr Gegenteil anwendet: auf den Zweifel an der Begründbarkeit einer Idee durch die Verkommenheit der Person, die sie vertritt. Weil ich niemanden persönlich verletzen will, verzichte ich an dieser Stelle auf naheliegende Beispiele aus der aktuellen deutschen Politik.

Das Buch entfaltet sich im stetigen Wechsel zwischen Werkschau und Biografie, was zu seinen größten Vorteilen gehört. Nur wer die Zeitumstände, in denen  Jünger wirkte, mitbedenkt, kann ermessen, welches Wagnis es für ihn war,  mitten im Weltkrieg die Oppositionsschrift „Auf den Marmorklippen“ zu veröffentlichen. Bedrückend und genial zugleich sind die Bilder, die Jünger noch vor den Flächenbombardements entwirft:  ein brennender Kranich, der wie ein verglühender Lampion über einer brennenden Stadt in den Abgrund stürzt, die Idee des „letzten Postens“, der seiner Überzeugung folgend treu ausharren soll – auch wenn Jünger in seiner Distanzierung vom Nationalsozialismus nicht so weit geht, sich in die konkreten Planungen des Widerstandes einzuschalten.

Dass eine so herausragende konservative Figur wie Jünger nach dem zweiten Weltkrieg schnell in das Zentrum der Kritik geriet, kann wenig verwundern. Seine Demokratiekritik wurde als „Totengräberei“ geschmäht, sein Abscheu gegen die NSDAP wurde ebenso wenig zur Kenntnis genommen wie die Stichhaltigkeit seiner Zeitdiagnosen. Der Nationalsozialismus hatte mit seinen Menschheitsverbrechen auch den Nationalismus und den Konservativismus schwer beschädigt. Unter diesen Umständen scheiterte der Versuch, aus dem großen „Viergestirn des deutschen Geistes“, aus  Benn, Jünger, Heidegger und Schmitt eine konservative Fronde zu bilden.   Trotzdem wurde Jüngers Kriegstagebuch „Strahlungen“ unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg ein großer publizistischer Erfolg. Allerdings löste die „Engführung des Entsetzlichen mit dem Idyllischen“ (Kiesel), derer sich Jünger dabei als Stilmittel bediente,  bei den Kritikern Empörung aus. Spätere Werke wie „Heliopolis“  oder „Waldgang“ konnten diesen Massenerfolg nicht wiederholen –  ihre Wirkung entfaltete sich eher langfristig, wie auch die Bücher Jüngers nicht für den Tag sondern für die Epoche geschrieben waren. Die Signatur dieser Epoche aber ist für Jünger eindeutig: es ist die  Ära des triumphierenden Nihilismus, der allerdings ein verlockendes, freundliches Gesicht angenommen hat.  Der kulturelle Bestand unterliegt einem rapiden „Schwund“, der „Nullmeridian“ ist erreicht,  jenseits dessen aber möglicherweise ein Neuanfang gelingen kann (Eine Diagnose, der übrigens Heidegger ausdrücklich widersprach, nach dessen Zeitdiagnose der Nihilismus noch lange nicht an sein Ende gelangt ist). Gegenüber diesem Nihilismus gilt es nach Jünger die Haltung der  „Desinvoltura“  zu pflegen, verbunden mit der  Bereitschaft, auch „das Knie zu beugen“ – aber eher vor der Kunst und der Kultur, vor der Natur und der Religion als vor der Politik.

Privat sind die Sechziger Jahren von diversen Eruptionen gekennzeichnet: der Krebserkrankung und dem Tod seiner ersten Frau, von Depressionen, von denen sich Jünger nur schwer erholt und seiner zweiten Heirat mit der 22 Jahre jüngeren Germanistin Liselotte Lohrer.

In der Öffentlichkeit wird Jüngers Stellung mit der Heraufkunft der 68er und der „Tribunalisierung der Vätergeneration“ (Kiesel) schwieriger. Es entsteht eine Gruppe von Skribenten, die bemerkt, dass man mit Tritten gegen Konservative, vor allem gegen Jünger, „Türen für sich selbst öffnen kann“ (so Friedrich Sieburg über den jungen Nicolai Sombart, der in dieser Hinsicht auf beschämende Weise stilbildend wurde).  Am unsäglichsten agierte der Mainstreampapst Walter Jens, der seine NSDAP Mitgliedschaft Zeit seines Lebens verschwiegen hatte, aber gegen Jünger, der offen den Parteieintritt abgelehnt hatte, in der niederträchtigsten Weise polemisierte. Diese Anfeindungen erreichen im Jahre 1982 anlässlich der Verleihung des Goethepreises an Jünger ihren Höhepunkt. Die gerade erste gegründeten „Grünen“ im Frankfurter Römer“ entfalten einen neuen Proteststil, der ihnen mit seiner Mischung aus Ignoranz,  moralischer Selbstüberhöhung und öffentlichem Radau in der nächsten Generation nicht weniger als die nationale Meinungsdominanz bescheren sollte. Was für eine beschämende Szene, in der der fast neunzigjährige Ernst Jünger eine Reihe plärrender Spätpubertanten passieren musste, die ihn verdammten, ohne ein einziges Buch von ihm gelesen zu haben. Es passt zu Jüngers Hellsichtigkeit, dass er diesen neuen Politikstil in seiner Paulskirchenrede als  „Anbräunerei“ bezeichnete.

Trotzdem folgt nach 1982 die internationale Entrückung. Während in Deutschland ein Bonsaigigant wie Jürgen Habermas im Historikerstreit die Meinungsführerschaft übernahm, wuchs,  Jüngers Geltung weit über Deutschland  hinaus. Zu seinem hundertsten (!) Geburtstag im März 1995 besuchten ihn Kohl und Mitterand, vorher und nachher kamen Louis Borges, Alberto Moravia, Heiner Müller und Rudolf Augstein.   Eines Tages war es dann soweit. Jünger beendete seine morgendlichen kalten Wannenbäder, räumte seinen Schreibtisch auf, legte sein Schreibzeug zur Seite und starb kurz vor der Vollendung seines 103. Lebensjahres.

Dieser kurze Abriss des vorliegenden Buches kann die Fülle des Lebenswerkes, das es spiegelt,  auch nicht annähernd andeuten. Vieles von dem, was ich gelesen habe, kam mir brandaktuell, anderes ewig vor. Diese beiden Aspekte in geschliffener Sprache zur Deckung zu bringen, gehört nicht zu den geringsten Leistungen Jüngers. Und was Helmuth Kiesel als den Biografen betrifft: Ganz unabhängig von seinem Gegenstand hat Helmuth Kiesel mit dem vorliegenden Buch eine neue Messlatte für Biografien definiert: das Bemühen, eine Person  nicht ex cathedra von den kanzeln der allerneuesten Zeitgeistmode abzuurteilen, sondern aus dem Geist ihrer Zeit heraus zu verstehen  – was eine insgesamt ablehnende oder kritische  Gesamtbeurteilung ja keinesfalls ausschließt.

 

 

 

 

 

Ein Gedanke zu „Helmuth Kiesel: Ernst Jünger“

  1. Zum Thema Desinvoltura: Desinvoltura, beschreibt eine neben den Dingen stehende „heitere“ Haltung (obwohl einem gewisse Dinge bewusst sind, lasse ich sie emotional nicht an mich heran) Ist das  schon „Rückzug“, oder beruht diese Haltung auf dem Gedanken, man könne eh nichts mehr ändern? Als bedenklichen Typus eines Desinvolutura-Menschen fiele mir Maximilian Aue aus „Die Wohlgesinnten“ ein. Gerade der hat sich aber alles andere als zurückgehalten. Konrad

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