Heym: Radek

  Unter den zahlreichen unsympatischen Figuren der bolschewistischen Machtergreifung in Russland zählt der Agitator und Journalist Karl Radek aus Lemberg zweifellos zu den Unsympathischsten. Umso interessanter ist es zu sehen, auf welche Weise  ein freiheitlich denkender Sozialist wie Stefan Heym mit diesem Thema umgeht. Um es gleich vorweg zu sagen: mit großer, großer Sympathie, die so weit geht, dass Heym sogar den kaum noch überbietbaren speichelleckerischen Opportunismus Radeks in der Stalinzeit als einen Akt des subversiven Widerstandes umdeutet. Trotzdem ist das sehr flüssig geschriebene Buch durchaus mit Gewinn zu lesen, und das gleich aus zweierlei Gründen. Zunächst wird trotz der unübersehbaren Sympathie des Autors für seinen Protagonisten die Grundbefindlichkeit des so genanten kommunistischen Intellektuellen der Zwischenkriegszeit so deutlich herausgearbeitet, wie kaum jemals sonst. Es ist das Nebeneinander von selbstgerechter moralische Überheblichkeit und  erbärmlicher persönlicher Feigheit, wenn es gilt,
für seine lauthals propagierten Werte einzustehen.

Darüber hinaus vermittelt das Buch eine Reihe historischer Miniaturen, die  man derart flott erzählt so auch noch nicht gelesen hat: etwa die Geldschiebereien zwischen dem deutschen Generalstab und den Bolschewiki im Vorfeld des Oktoberputsches, die Atmosphäre der
Friedensverhandlungen von Brest Litowsk, die vergeblichen kommunistischen Aufstände des Jahres 1923 und das lange Zeit recht auskömmliche Leben eines Bolschewikenpromis aus der zweiten Reihe. Am Ende abe , als Stalin fest im Sattel sitzt, aber nützen Radek auch die extremsten Bücklinge nichts mehr. Nachdem er in einem der Moskauer Schauprozesse seine ehemaligen Mitstreiter wie verlangt belastet und damit dem Henker anheim geliefert hat, wird er selbst zu zehn Jahren Gulag verurteilt, die er nicht überlebt.   Alles in allem ein
interessantes Buch – wenn auch  ganz und gar aus der sozialistischen Innenperspektive geschrieben, nach der Stalin  nur ein Betriebsunfall und keine notwenige Folge des bereits im Ansatz antidemokratatischen Leninismus  war. Dementsprechend auch kein Wort über die Leiden des so genannten Klassenfeindes, kein Mitgefühl  für Millionen ermordeter Kulaken –  aber großer Jammer über einen gescheiterten ideologischen Traum, dem eine ganze Epoche zum Opfer fiel.

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