Hourani: Die Geschichte der arabischen Völker

Das vorliegende Buch beschreibt die Geschichte der arabischen Völker von Mohammed bis zum Ende des 20. Jahrhunderts . Inhaltlich gliedert es sich in drei Teile: (1) Die Entstehung des islamischen Kulturkreises vom siebten Jahrhundert bis zu seiner Krise im späten Mittelalter, (2) die Revitalisierung des Islams unter der Herrschaft der Osmanen vom 15. bis zum 19. Jahrhundert und (3) die Geschichte der Unabhängigkeit der unabhängigen arabischen Staaten im 20. Jahrhundert einschließlich der Suche nach ihrer Identität.

Grabmoschee des Propheten in Medina

Auch wenn es ganz ausgeschlossen ist, den Inhalt dieses 600 Seiten-Werkes wiederzugeben, stellt sich der Verlauf der arabischen Geschichte, von einer sehr allgemeinen Warte aus betrachtet, wie folgt dar. Sie beginnt mit der „Erschaffung einer neuen Welt“, die die alten Reiche mit erstaunlicher Leichtigkeit in den Orkus der Geschichte befördert. Das ist nach Hourani weniger verwunderlich als man denken sollte, denn  der  junge Islam traf in Gestalt des byzantinischen und des sassanidischen Reiches auf zwei erschöpfte Staaten, die  den größten Teil ihrer militärischen Ressourcen in einem generationenlangen Kampf bis aufs Messer zerrschlissen hatten. Außerdem entsprach vieles an der Lehre des Islams den gewohnten Glaubensvorstellungen von Juden und Christen. War der Islam also nicht eigentlich neu, so war er doch dauerhaft, was ihn von den  Germanenreichen in der Spätantike unterscheidet. Der neue Glaube und das Arabertum in Abgrenzung zu den unterworfenen Völkern sorgte für den Zusammenhalt in den ersten Jahrhunderten des omayyadischen und abbassidischen Kalifats.

Allerdings zerbrach die politische Einheit der arabischen Welt schon am Beginn des zehnten Jahrhunderts, als lokale Herrscher immer autonomer wurden und der Kalif in Bagdad zum Grüßaugust herabsank. Was dauerhafter war,  war der neu geschaffene Wirtschaftsraum zwischen Indus und Atlantik, in dem sich zahlreiche Innovationen wie Reisanbau, Zuckerrohr, Baumwolle, Wassermelonen und neue Bewässerungstechniken in Richtung Westen verbreiteten. So wie Henri Pirenne  die Spaltung der antiken Mittelmeerwelt durch den Islam beschrieb, verweist Hourani auf den korrespondierenden Prozess der Entstehung eines neuen, größeren, nach Osten verschobenen  Wirtschaftsraumes.

Mit dem Beginn der Kreuzzüge wird der Niedergang des Islams offenbar. Wahrscheinlich wäre er unter den Schlägen der Kreuzfahrer von Westen und der Mongolen von Osten ganz zusammengebrochen, hätten ihn nicht die Türken gerettet. So wie das Christentum ab 1000 durch die assimilierten Normannen eine erhebliche Stärkung seiner militärischen Schlagkraft erfuhr, so erging es dem Islam mit den missionierten Türken. Sie schlugen die Mongolen und Kreuzfahrer zurück und eroberten Konstantinopel.

Türkische Moschee auf der Zitadelle von Kairo

Damit befindet man sich schon im zweiten Hauptteil des Buches, der Epoche des osmanischen Reiches. Innerhalb von zwei Jahrhunderten einigten die Türken die gesamte islamische Ökumene mit Ausnahme des Irans und Indiens. Und so wie der deutsche Kaiser des Mittelalters seine Legitimation durch seine Anbindung an Rom begründete, so gewann der Sultan als Kalif einen Großteil seiner religiösen Reputation als Beschützer der heilige Stätten und Schirmherr der Wallfahrten nach Mekka und Medina.

Im 18. Jhdt. erlahmte die Kampfkraft der Osmanen und das Reich erlag nach langem Siechtum dem Ansturm seiner Feinde im Ersten Weltkrieg. Unter tatkräftiger Mitwirkung des sagenhaften Laurence von Arabien gelang es dem Sherifen von Mekka einen arabischen Aufstand zu entfachen, der die Osmanen von der arabischen Halbinsel vertrieb. Dementsprechend beschreibt der dritte Teil des Buches die Suche der arabischen Völker nach politische Selbstständigkeit und einer neuen Identität.

Diese Suche begann mit einer großen Enttäuschung, denn die Briten und Franzosen dachten gar nicht daran, den Arabern die versprochen Unabhängigkeit zu gewähren – im Gegenteil: In einer letzten Überdehnung versuchten sich Briten und Franzosen dauerhaft im Orient festzusetzen. Bekanntermaßen endete dieser Versuch unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg, im Falle Frankreichs gewaltsam, im Falle Großbritanniens aufgrund einer resignierten besseren Einsicht.

Die neuen arabischen Staaten, die nach dem zweiten Weltkrieg aus der Konkursmasse des türkischen britischen und französischen Imperialismus entstanden,  sahen sich zwei Strukturproblemen gegenüber, die bis heute virulent sind:  (1) einer explosive Bevölkerungsvermehrung und einem damit verbundenen brisanter „Youth Bulge“ und (2) einer unaufhaltsame Landflucht in die großen Städte,  die arabische Metropolen wie Casablanca und Kaiso zu 10 Millionen Metropolen aufbläht.  Auch wenn neue Infrastruktur (Kanäle, Straßen, Staudämme) entstanden, war es ganz ausgeschlossen, mit dem Tempo dieser Bevölkerungszunahme  mithalten. Aus diesem Zwang zu wirtschaftlichen Wachstum und dem Wunsch nach Teilhabe der ärmsten Schichten er wuchs eine Zeitlang der panarabischen Sozialismus in Gestalt des Nasserismus, bis auch er sich nach den Niederlagen gegen Israel als unzulänglich erwies.

Gegenwärtig stehen die arabischen Gegenwartsgesellschaften an einem Scheideweg mit zahlreichen Bruchlinien: Sunniten gegen Schiiten, Modernisierer gegen Offiziere, Israelhasser gegen Israelkompromissler, Republikaner gegen Monarchisten, arm & reich, Araber gegen Kurden, Berber und Drusen.  Kein Wunder, dass sich viele Moslems angesichts dieser Unübersichtlichkeit einen fundamentalistischen Islam zurück wünschen, einen Wunsch der sich im Iran bereits  in den Albtraum einer totalitären Mullahkratie verwandelt hat.

Schade, dass das Buch 1990 abbricht und den 11. September 2001, den Afghanistan Krieg ab 2003 und die millionenfache Zuwanderung von Moslems nach Europa nicht mehr beschreibt. Auch das Experiment der wohlhabenden Golfstaaten, die sich durch eine kontrollierte, strikt autokratisch gestaltete Modernisierung für die Zeit nach dem Öl vorbereiten, bleibt außen vor.

Damit endet der fast anderthalbtausendjährige Parforceritt durch die arabische Geschichte.  Wie aber wurden diese anderthalbtausend Jahre für die interessierten Leser aufbereitet? Antwort: nicht als politische, sondern als Sozial- und Kulturgeschichte, mit anderen Worten, als ein Werk, das von Oberflächenphänomenen wie Regierungszeiten und Kriegen weitgehend abstrahiert und den Blick auf die sozialen und kulturellen Tiefenstrukturen richtet. Kritisch anmerken muss man allerdings die etwas einseitige Sichtweise des israelisch-arabischen Konflikts. Der Terror Anschlag von München wird ebenso wenig thematisiert wie der islamische Terrorismus der siebziger Jahre. Eine umfassende Renaissance des Islams im gesamten arabischen Raum wird allerdings als Möglichkeit angedeutet.

 

 

 

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