Huntington: Kampf der Kulturen

Huntington kampf der KulturenManchmal gehört es zum guten Ton, dass Offensichtliche zu leugnen. Sozialbetrug im großen Stil? Ein Schuft, der so etwas behauptet. Der Euro, ein Schuldenclub, der das Vermögen der Sparer vernichten wird? Ein ignoranter Pessimist, der so etwas auch nur erwähnt. Unüberbrückbare Gegensätze der großen Mächte unserer Zeit? Ein Kriegshetzer, der so etwas konstatiert. Schier endlos ist die Liste politisch korrekter Meinungsvorgaben, und wehe: jemand wagt es, dagegen zu verstoßen!
In diesem Sinne ist auch das vorliegende Buch des amerikanischen Politikwissenschaftlers Samuel Huntington in höchsten Maße politisch inkorrekt. Die ungeschminkte Gegenwartsanalyse, die Huntingtons „Kampf der Kulturen“ liefert, widerlegt das Gutmenschengesäusel vom ewigen Frieden als einen wirklichkeitsvergessen Blindflug von Politik- und Feuilletoneliten. Kein Wunder also, dass über dieses Buch in der veröffentlichten Meinung fast nur gezetert wird – Grund genug aber immerhin, es selbst einmal zu lesen
Was also sind nun die Grundthesen des Buches? Zuerst und vor allem: die 53 september Eleven 3Konflikte der Zukunft werden nicht mehr rassisch, national oder ideologisch sondern kulturell definiert sein. Diese Konflikte werden sich zweitens auch nicht mehr vornehmlich zwischen Staaten sondern zwischen den acht KULTURKREISEN der Welt abspielen: dem protestantisch-katholisch geprägten Westen“ (USA, Europa, Australien, Kanada) dem orthodoxen Kulturkreis (Osteuropa/Russland), dem lateinamerikanischen, dem islamischen, dem afrikanischen, hinduistischen, chinesischen und dem japanischen Kulturkreis. Huntingtons dritte These besagt, dass innerhalb dieser Kulturkreise, die sich vorwiegend im Hinblick auf ihre religiösen Ursprünge definieren, der Westen seine Dominanz verlieren wird. Denn die weltweite Technisierung und Modernisierung führt nicht zur Verwestlichung anderer Kulturen sondern zur INDIGENISIERUNG“, d. h zur religiösen Revitalisierung der außerwestlichen Kulturen, wobei die Verbreitung demokratischer Prozeduren geradezu ein Vehikel der Indigenisierung darstellt, denn wo immer außerhalb Europas frei gewählt werden darf, werden prowestlichen Eliten einfach abgewählt.
Umso mehr interessiert sich Huntington für die Herausforderungen, denen sich der Westen tatsächlich gegenüber sieht. Neben geringer Produktivität und wirtschaftlicher Stagnation, dem Zerfall der Familie und der fortschreitenden inneren Auflösung (Kriminalität, Korruption, Drogen etc:) sind es vor allem zwei äußere Bedrohungen: (1) die Herausforderungen durch die Wirtschaftsexpansion des chinesischen Kulturkreisen und (2) die demographische Expansion, vornehmlich des muslimischen und des lateinamerikanischen Kulturkreises. Das letztere betrifft Europa, das sich einer muslimischen Masseneinwanderung gegenüber sieht, aber auch die USA, die durch die hispanische Einwanderung zu einer gespaltenen“ Gesellschaft werden könnten, denn denn in den USA werden in einer Generation 25 % aller Amerikaner Hispanics sein.
Huntington scheut sich auch nicht, die in der öffentlichen Diskussion hartnäckig geleugneten blutigen Grenzen des Islam“ anzusprechen. Vor allem die ungeschminkte Darlegung dieses Sachverhalt hat dazu beigetragen, den Autor als Rassisten“ zu denunzieren. Wer sich die Mühe macht, die entsprechenden Erklärungen in dem vorliegenden Buch zu lesen, muss eine ganz andere, soziologische Erklärung zur Kenntnis nehmen: Huntington erklärt die blutige Konfliktträchtigkeit islamischer Gesellschaften durch den extrem Jugendanteil in den demographisch expansiven islamischen Bevölkerungen, was in dieser Kombination immer und überall zu Verwerfungen führen würde.
Was die Herausforderung durch China anbelangt, so erscheint mit China der größte Mitspieler der Menschheit auf der Bühne der internationalen Politik“ ein Mitspieler, dem es in einigen Jahren gelingen könnte, Ostasien als Kernraum der Welt der Kontrolle der USA zu entziehen. Gegengewichte gegen das unaufhaltsame Vordringen Chinas (falls das Land nicht vorher in eine innere Krise gerät) könnte Japan sein, das sich aber als pazifizierte Gesellschaft wahrscheinlich anpassen wird, auf jeden Fall aber Indien und Russland, die von einem Aufstieg Chinas noch elementarer bedroht sind als der Westen
Konfliktregelung in einer Welt der Kulturen kann es nach Huntington nur kulturintern geben, d. h. KERNSTAATEN“, die dominanten Mächte innerhalb einer Kultur, müssen in ihrem Bereich regulierend eingreifen, d. h. legitimerweise greift Indien als Kernstaat des hinduistischen Kulturkreises in den Konflikt zwischen Singhalesen und Tamilen auf Sri Lanka ein – und nicht China oder Europa! Ein Strukturmangel der internationalen Politik aber ergibt sich nicht zuletzt daraus, dass nicht alle Kulturräume unbestrittene Kernstaaten besitzen. In Ostasien ist es China, im Westen (noch) die USA, wer aber ist der Kernstaat Lateinamerikas (Brasilien? Argentinien?), des islamischen Kulturbereiches (Iran? Saudi Arabien? Ägypten?) oder Afrikas? Huntington weist überzeugend nach, dass gerade der Mangel interner Dominanz in einzelnen Kulturkreisen die internationale Konfliktlösung erschwert.
In der Interaktion der Konfliktparteien spielten darüber hinaus EINSAME“, GESPALTENE“ und „ZERRISSENE“ Staaten eine dynamische Rolle. Einsame Staaten existieren eingeklemmt in fremden Kulturräumen (Äthiopien, Haiti, Armenien, Bosnien) und sind auf die Hilfe ihrer entfernten Kernstaaten angewiesen. Gespaltene“ Staaten (Staaten mit Anteilen verschiedener Kulturen wie etwa Fidschi, Singapur, Nigeria, Ex-Jugoslawien) sind potentielle Felder von Bruchlinienkonflikten“, also Konflikten, in denen sich die Exponenten großer Weltkulturen selbst gegenübertreten. Zerrissene Staaten“ sind Gebilde, deren Eliten versuchen, das Land die Kultur wechseln zu lassen, wie etwa die Türkei, die unter Attatürk aus dem Islam ausgetreten ist (Erdogan wird das wieder rückgängig machen) und keinen rechten Einstieg in Europa findet. Auch der Versuch Mexiko in ein nordamerikanisches Land zu verwandeln, gehört hierzu. Russland ist das zerrissenes Land, das zugleich Kernland einer Kultur ist. Wenn man Huntington weiterdenkt, könnte man sagen, sogar Europa ist dabei ein zerrissener Kontinent zu werden, den seine Eliten von seinen kulturellen Identitäten wegführen wollen und die dabei (hoffentlich) an ihrer Bevölkerung scheitern werdene (siehe Abstimmungen zur EU-Verfassung ).
Was ist zu tun? Die Zukunft des Westens besteht deswegen in einer Kontrolle der Einwanderung (die allerdings erhebliche psychische Kosten und Politikstress mit sich bringt), damit er seine Identität bewahren kann. Außerdem muss sich der Westen bescheiden mit seiner partiellen Rolle als einer der acht Kulturen, er muss sich heraushalten aus den Konflikten der Welt, die nicht seine eigene Kultur betreffen, sich auf die eigenen Werte besinnen, diese verteidigen, aber nicht exportieren. Huntington plädiert für eine Zusammenarbeit der Ethiken der großen Weltreligionen im Benmühen große Konflikt zu vermeiden ( ein solcher wird am Ende des Buches S. 515ff. durchgespielt ).
Am Ende des Buches ist man überrascht über die Vielfalt der Einsichten, die dieses monumentale Werk enthält. Man hat ein Kompendium der Gegenwart mit all den Wahrheiten gelesen, vor denen sich der herrschende Teil der öffentlichen Meinung drückt. Am Ende hat man sogar das Gefühl als sei das Gezeter über dieses Buch selbst ein Teil der Krise des Westens, die der Autor beschreibt.
NACHTRAG JAHRE SPÄTER: Inzwischen ist der „Islamische Staat“ mordend aus der Unterwelt emporgestiegen, westliche Geiseln werden vor laufenden Kameras geköpft, und Salafisten reisen mit deutschen Pässen in den Krieg. Wo sind die ignoranen Schlaumeier, die sich über Huntingtons düstere Prognosen damals lustig machten, heute?
Es ist noch viel schlimmer gekommen als prognostiziert. Und es wird noch schlimmer werden.

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