Kadare: Die Festung

„Ein grauenvolles Getöse, in dem tausenderlei Stimmen und Geräusche verschmolzen, stieg von der Erde empor wie ein alles ansteckender Dampf. Zu unseren Füßen lag Asien mitsamt seinem Mystizismus und seiner Grausamkeiten. Wir blickten auf dieses finstere Meer, und uns wurde klar, dass dies ihre Welt, ihre Lebensart war, die sie uns mitsamt den Ketten der Versklavung aufzwingen wollten.“ Mit diesen Worten (S.54) reflektiert ein unbekannter Erzähler, der wie der Antagonist im griechischen Chor alle Phasen der Schlacht  kommentiert, den Aufmarsch des gewaltigen osmansichen Heeres vor der Festung von Kruje. 70.000 Menschen, Türken, Kaukasier, Araber, Janitscharen, Pioniere, Kanonengießer und viele andere mehr versammelten sich unter der Führung Tursun Paschas, um den Widerstandsgeist der Albaner ein für allemal zu brechen.

Aber „die Festung“ Kruje wehrt sich, und sie ist in jener geschichtlichen Epiosde zwischen Mai und September 1450, die der vorliegende   beschreibt, auch tatsächlich nicht gefallen. Selbst die größten Kanonen, mühsam gegrabene Tunnel, die Abschnürung der Wasserversorgung und sogar der Einsatz pestversuchter Mäuse bringen die Festung nicht zu Fall. Zu Tausenden sterben die osmanischen Krieger unter Pfeilen und Äxtern, unter Pech und Feuer unter den Mauern der gewaltigen Burg, während in der Nacht die Truppen des albanischen Nationalhelden Skanderbergs die türkische Ameee attackerien.  Am Ende, nach monatelanger Belagerung, beendet der Herbstregen den Kampf, und der unglückliche Pascha zieht den Freitod durch Gift der Schande vor. „Das ist also das größte und mächtigste Heer der Welt,“ raisoniert der unbekannte Verteidiger am Ende des Romans. „Da liegt es zu unseren Füßen und wird vom Regen durchnässt. Diejenigen, die sich später auf diesem Boden niederlassen, werden begreifen, dass es für uns keine geringe Sache war, in diesem gewaltigen Krieg gegen das größte Ungeheuer unserer Zeit zu kämpfen. Wir werden weder Denkmäler noch Siegessäulen hinterlassen. Dazu hatten wir keine Zeit.“(S.250)

Der albanische Schriftsteller  Ismail Kadare hat dieses Epos seines Volkes ungemein packend ins Werk gesetzt und dabei zugleich auf jeden Chauvinismus verzichtet. Gerade die osmanischen Gestalten, der Pascha, der Chronist Mevla Tschelebi, der erblindete Poet, der Generalquartiermeister, der Kanonengießer und der Astronom  werden psychologisch fassbar in ihrer Gewofenheit und ihrem Scheitern. Aber auch die  entmenschte Brutalität, mit der die Türken den Balkan verwüsteten, wird nicht verschwiegen – es sind die nebenbei erzählten Geschichten, die die Verzweiflung der Völker in jenen dunkeln Tagen im Angesicht „des großenUngeheuers“ verdeutlichen: etwa die brennenden Dörfer, die die türkischen Verwüstungskommandos hinterließen, oder der beiläufige Bericht, wie gefangene albanische Mädchen in wenigen Stunden von Hunderten Soldaten zu Tode vergewaltigt werden.

Skanderberg ist nur wenige Jahre nach der erfolgreichen Verteidigung von Kruje gestorben, und kurz darauf ist Albanien doch gefallen.  Hunderttausende Albaner flohen daraufhin nach Italien, wo im Süden in manchen Landesteilen noch heute ein albanischer Dialekt gesprochen wird. Über die, die blieben, senkte sich für fast ein halbes Jahrtausend sich der der Halbmond und der Mehltau der Barbarei, von der im Eingangszitat die Rede war.

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