Kafka; Das Schloss

Ein Landvermesser kommt, vom „Grafen“ gerufen,  ins gräfliche Dorf,  darf aber nicht zur Anmeldung in das gräfliche Schloss. Er macht die Bekanntschaft des Boten Barnabas und die seiner Schwestern, sodann der Familie Brunswick, ehe es ihn schließlich in ein zweites Gasthaus, das „Herrenhaus“ verschlägt, wo er ohne große Vorgeschichte mit  Frieda, einer Wirttochter, schläft, während die „Gehilfen“ zusehen und nebenan der geheimnisvolle Herr Klamm, ein Spitzenbeamter des Schlosses,  im Sitzen schläft.

Nach einem langen Gespräch mit Friedas Mutter über die Heirat mit der soeben begatteten Frieda (die immerhin Klamms Geliebte war) und die Unmöglichkeit, mit dem Schloss ( und damit mit Klamm) in Kontakt zu kommen, erfährt K, dass man überhaupt keinen Landvermesser braucht. Stattdessen bietet ihm ein „Lehrer“ an, sich mit der Position eines Schuldieners zufrieden zu geben.  So ziehen K, Frieda und die beiden Gehilfen (!) in einen der beiden ungeheizten Schulräume, essen und schlafen dort und  werden am nächsten Morgen von den neugierigen Schulkindern und einer zickigen Lehrerin überrascht.

Im Mittelpunkt der weiteren Handlungsführung steht vergebliche Bemühen Ks mit Beamten des Schlosses Kontakt aufzunehmen, während sein „Standing“ im Dorf immer problematischer  wird. Wie übel es ausgehen kann, dabei den Willen der Obigkeit zu missachten, erkennt K anhand von „Amalias Geschichte“, nach der die Familie des Barnabas einem radikalen Mobbing unterzogen wurde, nachdem die junge Amalia sich geweigert hatte, einem rüden Schlossbeamten zu Willen zu sein.

So weit die Handlung der ersten 200 Seiten. Das kafkaeske Gefühl, von dem Max Brod behauptete, es sei die eigentliche Substanz des Kafkaschen Werkes, hat sich bis zu diesem Punkt längst eingestellt. Man könnte also durchaus aufhören zu lesen und über die eigenartige Mischung von Behagen und Unbehagen grübeln, die die Lektüre des Buches in jedem Leser auslöst. Wenn man dann aber dann doch bis zum bitteren Ende durchhält, stellt man fest, dass K mit seinen Anliegen bis zum Ende des Buches ( es ist Fragment geblieben ) keinen Schritt weiterkommt, aber immer mehr in der Alltäglichkeit des Orts versinkt, während von allen Seiten neue Figuren auftauchen, deren einzige Funktion darin besteht, Ks Lage schwieriger zu machen.

Es schneite im Rheinland, als ich das Buch etwas entnervt aus der Hand legte. Diesmal hatte ich durchgehalten, hatte den Roman wie Lebertran in kleinen Dosen genossen und am Ende ohne Dauerschaden gemeistert.  Zuerst die gute Nachricht: sonderlich schwer zu lesen ist der Text nicht – im Gegenteil: die Konstruktion der Sätze kam mir vor wie mit dem Lineal gezogen, jedes Wort saß genau richtig in einer imaginären Wand, ein antiseptischer Satz folgt dem nächsten auf einem langen, sauber durchkonstruierten Band. Was den Inhalt betrifft, so erinnerte mich die Handlung allerdings schnell an obsessive Träume, in denen man nach irgendetwas strebt, es aber den ganzen Traum hindurch auf eine quälende Weise nicht erreichen kann. Je weiter ich las, desto mehr kam mir das Buch dann wie ein Juckreiz vor, über den man sich ärgert, den man aber immer wieder befriedigt. Am Ende erschein es mir wie ein Adventskalender, dessen Türchen immer nur in leere Kämmerlein führen.

Natürlich habe ich mit auch meine Gedanken gemacht, wie es sich denn wohl mit dem rätselhaften Schloss verhalte. Ich kannte auch schon Hannah Arendts Interpretation, es handele sich um den modernen bürokratischen Staat oder die Deutung von Max Bord, das Schloss sei ein Symbol der Transzendenz, das sich der Immanenz entziehe, so sehr man sich auch um Annäherung bemühe. Wieder andere behaupten, Ks Streben gliche dem vergeblichen  Bemühen der jüdischen Bürger um Assimilierung in die bürgerliche Gesellschaft. Jede dieser Deutungen hat etwas für sich, wirklich zwingend finde ich sie aber nicht. Ich selbst hatte noch am ehesten das Gefühl, Schloss und Dorf glichen enigmatischen Verfremdungen für den existentiellen Spalt, der sich zwischen Lebensentwurf und der alltäglicher Verfallenheit auftut,  in die die Existenz notwendig versinkt, je weiter das Leben voranschreitet. Dabei  stellt es zweifellos eine besondere Leistung des vorliegenden Buches dar, dass dem Leser die Trauer, die Tristesse und die Öde dieser Verfallenheit an das Gewöhnliche aus dem Werk entgegenweht wie ein schlechter Mundgeruch. Wer dieses als grandiose literarische Leitung werten will, soll dies tun. Ich war mit aber am Ende nicht  mehr ganz sicher, ob ich für diese Einsicht, die mir keineswegs neu war,  dieses Buch mit solcher Mühe und relativ wenig Freude hatte lesen müssen.

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