Kaiser: Solidarischer Patriotismus. Die soziale Frage von rechts

Wirkliche Identität gibt es nicht zum Nulltarif. Sie speist sich aus der Option für bestimmte Werte, der  Zugehörigkeit zu klar definierten Menschengruppen und der Bereitschaft, für diese Zugehörigkeit auch einzustehen. Peter Berger und Thomas Luckmann haben diesen Sachverhalt in ihrem wissenssoziologischen Klassiker „Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit“ durch den Gegensatz von „Ehre“ und „Würde“ verdeutlicht. Während „Würde“ heute jedermann als selbstverständlicher Bestandteil seines Menschseins zugesprochen wird, ohne dass er einen Finger krumm machen muss, ist die „Ehre“ eine soziale Herausgehobenheit,  die man  durch sein Verhalten auch beglaubigen muss. So antiquiert sich das auch anhören mag: diese Art der Ehre ist der Kern echter Identität.

Innerhalb dieses Denkrahmens argumentiert auch der Sezessionsautor Benedikt Kaiser in seinem  Buch „Solidarischer Patriotismus“, das inzwischen zu einem Grundlagentext der „Neuen Rechten“ geworden ist. Wem bei dieser Verortung sofort der Nazometer anspringt, mag hier aufhören zu lesen, denn es ist tatsächlich nicht ganz auszuschließen, dass in dem vorliegenden Buch Gedanken zur Sprache kommen, die dem Mainstream widersprechen. Ob man sie teilen muss, ist eine ganz andere Frage, sie zu kennen, schadet aber auf keinen Fall. .

Im Mittelpunkt des Buches stehen die Phänomene „Identität“ und „Solidarität“, wobei nach Kaiser das zweite aus dem ersten folgt.  In der Ständegesellschaft, so Kaiser,  war die Identität des Einzelnen daran gebunden, dass er bestimmte Verhaltensnormen der  Gruppe, der er angehörte, erfüllte.  Wer sich nach den Standards seine Gruppe „ehrlos“ verhielt, sich also zum Beispiel im Offiziersmilieu des 18. und 19. Jahrhunderts weigerte, sich zu duellieren, „blamierte“ seine Gruppe,  verlor  seine Ehre und damit seine Identität als Standesangehöriger. Dieser Ausstoß aus der Gruppe hatte unter gewissen Umständen den sozialen Tod zur Folge.

Wie groß aber kann eine Population maximal sein, die eine solche Identität generiert? Im Idealfall ist sie klein und exklusiv wie etwa eine Sekte, ein Club oder eine Gemeinde. Die zweite Frage ist, wie vollständig eine solche Identität das Verhalten ihrer Mitglieder prägt. Man muss kein Soziologe sein, um zu erkennen, dass zwischen dem ersten und dem zweiten Sachverhalt normalerweis eine negative Korrelation besteht. Allerdings existieren auch Großkollektive wie Religionen und Nationen, denen es gelingt, eine so starke Bindekraft für Millionen Menschen zu entfalten, dass diese bereit sind, für diese religiöse oder nationale Identität im Konfliktfall das Leben zu opfern.  Man mag diesen traditionellen Identitätsbegriff  antiquiert oder gefährlich finden, aber er ermöglicht als Blaupause ein besseres Verständnis moderner Identität, die  teilweise nur noch als Schwundform (Der „Verfassungspatriotismus“ lässt grüßen) oder extrem übersteigert (Islamismus)  gegenwärtig ist.

Dieser Befund führt zur zweiten Fragestellung: Wie verhält sich die Identität zur  Solidarität? Nach Kaiser entstand der Begriff der Solidarität (solides: fest) dem römischen Recht, von dem aus er in das mittelalterliche Selbstverständnis eindrang. Solidarität beschreibt die Verpflichtung einer Gruppe, etwa einer Gilde oder einer Zunft, ihren Mitgliedern in Notsituationen beizustehen. Diese Art von Solidarität war nicht ohne eine kohärente Identität denkbar und perpetuierte sich bei Zünften und Gilden in besonderem Kult- und Gottesdienstformen. Selbstverständlich war diese Art von Solidarität immer exklusiv, denn sie gebot, um es mit Hans-Werner Sinn zu sagen, über  über „Club Güter“ die nicht jedem zur Verfügung stehen durften.

Das Besondere an der wohlfahrtstaatlichen Solidarität des  20. Jahrhunderts ist die Loslösung der Solidarität von überschaubaren Gruppen und  die Bindung der Solidarität an die Nation. Das ist allerdings nur denkbar, wenn die Nation eine gewisse kulturelle und/oder ethnische Homogenität aufweist. Das hört sich jetzt wieder schwer nach „Nazi“ an, ist aber in der Sache unbestreitbar. Solidaritätsgemeinschaften sind auf ein bestimmtes Mindestmaß an Gemeinsamkeiten angewiesen, sonst funktionieren sie nicht mehr.

Mit der Delegitimierung der ethnischen und/oder kulturellen Homogenität (Identität), wie wir sie in der aktuellen Situation erleben,  gerät auch gesamtgesellschaftliche Solidarität in die  Krise, vor allem dann, wenn Nutznießer der Solidarität von außen kommen, ohne etwas zum solidarischen Ressourcenfundus beigetragen zu haben. Die herrschende „One World“ Ideologie versucht dieses Problem dadurch zu lösen, dass sie die Solidarität per Postulat „universalisiert“, d.h. in dem sie  jeden, aus welchem Teil der Welt er auch kommen mag, unter Rekurs auf eine „Menschheits-Identität“ an einer entgrenzten  Solidarität  teilhaben, lässt.  Und das, ohne das er sich zu irgendeiner nationalen Identität bekennen muss. Selbst der Begriff der „Leitkultur“ als Schwundbegriff einer Restidentität ist  unter diesen Umständen bereits obsolet geworden.

So menschenfreundlich diese Haltung daherkommt  – in ihrer Konsequenz zerstört sie den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalt. Um es an einem mikrosoziologischen Beispiel zu verdeutlichen, dass ich als Backpacker  in einer estnischen Jugendherberge erlebte: dort wurde der  Kühlschrank in der Gemeinschaftsküche von zwei Personen  regelmäßig mit Butter, Eier Käse, Milch und Wein aufgefüllt, während sich alle andern aus diesen Vorräten heimlich bedienten. Nach wenigen Tagen war damit natürlich Schluss, und der Kühlschrank war leer. Sieferle hat diesen Zusammenhang  auf eine anspruchsvollere Weise herausgearbeitet: Nationalstaat und Sozialstaat gehören zusammen, die Entgrenzung des einen ist der Untergang des anderen,

Aber im Augenblick läuft es andersherum und man fragt sich: wieso? Benedikt Kaiser glaubt an das Wirken verborgener Kräfte. Ihr Ziel bestehe in der Auflösung nationaler Identitäten, weil sie durch ihr bloßes Dasein staatliche Macht begrenzen. Wenn sich  die  nationale Identität im Säurebad des Multikulturalismus auflöst, verwandelt sich die Gesellschaft in ein atomistisches System aus unzähligen, machtlosen (miteinander unverbundenen, unsolidarischen) Einzelwesen. Nach und nach verschwinden alle  intermediären Instanzen, die dem absoluten Staat im Wege stehen. Wobei nach Meinung des Autors dieser absolute Start nur eine Zwischenstation zum Weltstaat sein wird. Dieser Weltstaat als Sozialstaat ist dann keine „Mutter“ mehr, sondern eine „Wölfin“, die alle an sich saugen lässt, nur nicht diejenigen, die anderer Meinung sind.

Soweit der Gedankengang des vorliegenden Buches, dem man beileibe nicht in Bausch und Bogen zustimmen muss.  Ich  halte die Nachzeichnung des Strukturzusammenhangs von Identität und Solidarität für nachvollziehbar, glaube allerdings nicht, dass ihre Entkoppelung  von einem „Agens“, d.h. von planvoll handelnden Kräften nach einem bestimmten Drehbuch vorangetrieben wird. Sicher gibt es eine internationale, von demokratischen Prozeduren weitgehend losgelöste Elite, die aber fragmentierter ist als es dem oberflächlichen Blick etwa auf die „Bilderberger“ oder  die Pappnasen aus Davos erscheinen mag. Um den epochal ablaufenden Gesamtprozess zu verstehen, halte ich die Theorie eines eliteninduzierten kulturellen Selbstmords, so wie ihn Arnold Toynbee anhand verschiedener Beispiele beschrieben hat,  für viel erklärungskräftiger. Möglich, dass die Länder des Westens verarmen werden, aber an den Weltstaat glaube ich nicht, dafür werden schon die USA, China oder Russland  sorgen.

Was aber ist zu tun? Im Unterschied etwa zu dem Historiker David Engels, der die westlichen Gesellschaften praktisch abschreibt und auf ein Überleben einer „hesperialen“ europäischen Kultur in Osteuropa hofft, plädiert Benedikt Kaiser dafür, dass Zerrbild des gegenwärtigen Staates nicht mit dem Staat an sich zu verwechseln. Der „Staat an sich“, so Kaiser hat die  Aufgabe, die aus der gemeinsamen Identität erwachsene Solidarität abzustützen und gegen Bedrohungen von innen und außen zu verteidigen. Benedikt Kaiser scheint tatsächlich zu glauben, es sei möglich, durch konsequente politische Arbeit innerhalb des parlamentarischen Systems dieser traditionellen Art des Staates zu einem Revival zu verhelfen. Wie das gehen soll, wenn schon das Äußern derartiger Gedanken den Inlandsgeheimdienst auf den Plan ruft, wird sein Geheimnis bleiben.

Ich glaube eher an das oben beschriebene Kühlschrankmodell. Wenn es keinen mehr gibt, der den Kühlschrank für alle füllt, implodiert das System. Unter dem Diktat der dann ausbrechenden Knappheit werden mehr neue Identitäten aus der Kiste springen, als jemals zuvor: ethnische, regionale, religiöse und weltanschauliche Gruppen mit starker Identität und ausschließlicher Binnensolidarität werden auftreten und im Rahmen eines hypertrophen neuen Feudalismus  den andere Identitäten an die Gurgel gehen.  Der „failed state“ ist die unabwendbare Folge einer ungesteuerten Massenmigration aus nicht kompatiblen Kulturkreisen in die Solidaritätssysteme der Aufnahmegesellschaft. Oder um im Kühlschrankbeispiel zu bleiben: die Protagonisten schauen dann nicht mehr in den leeren Kühlschrank sondern in die Taschen ihrer Mitbewohner.

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