Koch: 1968. Drei Generationen. Eine Geschichte

Die Lobgesänge auf das 50-jährige Jubiläum der Achtundsechziger wollen kein Ende nehmen. Allerdings erscheinen viele von ihnen im Modus der Klage, der Klage dass die hehren Ideale und großartigen Ziele der Achtundsechziger vom Neoliberalismus eingesackt worden sind. Vor allem diejenigen die heute als beamtete Staatsdiener und Grünen-Wähler ein sattes Leben genießen, stoßen sich an der Verdunkelung ihrer Werte.

Das vorliegende Buch ist insofern originell als es diese Scheuklappenperspektive generationenspezifisch durchdekliniert. Man muss dabei den Urteilen des Autors nicht unbedingt folgen, wird aber zweifellos zum Nachdenken darüber angeregt, was aus dem Geist der Revolte ein oder zwei Generationen später geworden ist.
Das Buch beginnt mit den Vätern, „die Deutschland in Schutt und Asche legten“ und auch noch schafften, nach dem Krieg ein wirtschaftlich erfolgreiches Deutschland zu errichten (was fast wie ein zweiter Vorwurf klingt). Auf diese autoritätsfixierte Generation folgten die Achtundsechziger, verstanden als Heilsbewegung zur Erweckung von Demokratie, Menschenwürde und Weltfrieden. Auf eine selbstkritischen Attitüde der 68er, wie sie etwa in Peter Schneiders „Rebellion und Wahn“ anklingt, kann man bei diesem Narrativ verzichten – und das, obwohl mit dem Terror der RAF und den obskuren K-Gruppen der 68er Traum bald ausgeträumt war. Aber nicht zu Ende, denn in einer abgemilderten Form sickerte er in das Grundwasser des Mainstreams und blühte in der Köpfen all jener, die sich auf den langen Weg durch die Institutionen machten, bis sie spätestens mit dem Kabinett Schröder-Fischer an den Schaltstellen der Macht angekommen waren.

Aber auch diese weichgespülten Gesellschaftsveränderer mit Eigenheim und Patchwork Familien hatten Kinder. Diese mussten keine Institutionen mehr durchwandern, sondern bekamen den neuen emanzipatorisch-multikulturellen Mainstream bereits in Elternhaus, Kindergarten und Schule als geistige Grundnahrung eingeflößt. Der Autor spricht in diesem Zusammenhang von der „Generation Y“ und der „Schneeflöckchengeneration“. Zur „Genration Y“ gehören die Männer und Frauen, die um 1968 geboren wurden und die heute als ungefähr 50 Jährige, als Schulleiter, Bürgermeister, Redakteure und Kulturschaffende, die Gesellschaft prägen Sie sind subjektiv guten Willens, glauben an Europa, einen gemäßigten Feminismus und die Ansprüche von Minderheiten und Flüchtlingen, an den Konstruktivismus, an sehr weitgehende Egalität, Sozialstaat für alle, eine wünschenswerte planetarische Grenzenlosigkeit und die möglichst zeitnahe Abschaffung des Nationalstaates.
Von ganz anderer Art sind ihre um die Jahrtausendwende geborenen Kinder, die gerne als die „Generation Schneeflocke“ bezeichnet werden. Dabei handelt es ich um eine Generation schreckhafter Sensibelchen, die sich subjektiv in einer untergehenden Welt wähnen und vor lauter iPods und Netflix-Serien gar nicht begreifen, in welch einer privilegierten Welt voller Luxus und Nachsicht sie leben. Sie sind so ziemlich das diametrale Gegenteil der aufständischen 68er Großväter: angepasst und bis zur Hirnlosigkeit den Vorgaben des Mainstreams folgend.

Selbstverständlich bewertet der Autor diese hier nur in Grundzügen angedeutete Generationenfolge ganz anders. Er sorgt sich zwar um eine gewisse Entpolitisierung der Jugend in Zeiten des Massenwohlstandes, sieht aber durchaus, welche Machtpositionen die 68er Bewegung und ihre Kinder in allen gesellschaftlichen Bereichen längst gewonnen haben. Die Hyper-Moralität ahnungsloser Jugendlicher a la Attac und Occupy begreift er als Potenzial der Veränderung, wobei er sich keine Sorgen über das dabei zutage tretende schreiende Ausmaß von Unmündigkeit macht. Das Buch erschien 2018, also vor dem inszenieren „Friday for Future- Hype und der weltweiten Infantilisierung der Klimabewegung. Keine Frage, dass der Autor an dieser Entwicklung seine Freude haben wird. Wie die Generation nach den „Schneeflöckchen“ und Schulschwänzen in einem möglicherweise deindustrialisierten Deutschland aufwachsen und Arbeit finden wird, sagt er nicht.

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