Kumpfmüller: Tage mit Ora

Eines Tages besucht der Erzähler des vorliegenden kleinen Romans seine kranke Mutter über das Wochenende. Als er zurückkommt hat seine Partnerin Lynn die Wohnung leer geräumt und ist verschwunden. Ohne Erklärung oder eine letzte Nachricht. Für die Protagonisten ist das ein Schlag ins Kontor,  er fühlt sich ausgestoßen und vernichtet und um eine ganze Lebensetappe beraubt. In dieser heiklen Phase seines Lebens trifft  er die Kunstschneiderin Ora, zu der er sich sofort hingezogen fühlt. Sie ist hübsch, extravertiert und unterhaltsam, hat aber eine Vorgeschichte mit einem „anderen Mann“, einen kleinen Sohn, nimmt Tabletten, unterliegt Stimmungen und hält den Protagonisten in jener diffusen Schwebe, die typisch ist zwischen Partnern, die nicht wirklich wissen, ob sie wirklich zueinander wollen. Mit einem Wort: die üblichen Kulissen eines anhebenden Beziehugnsdramas.

In dieser Situation unternehmen die beiden eine Reise in die USA, genauer gesagt an die Pazifikküste zwischen  Oregon und Kalifornien.   Sie wollen sich treiben lassen nach den Ortsangaben in den Versen amerikanischer Pop-Songs – im Grunde  treiben lassen, wie sie bisher in ihrem Leben getrieben sind, wobei sie insgeheim hoffen, dass sie irgendwie zueinander getrieben werden.

Sie reisen von Seattle zur Halbinsel Olympia, dann die Pazifikstraße nach Süden, übernachten in Hekata Beach, sehen Wale und versuchen mehr schlecht als recht miteinander zu schlafen. Als das nicht klappt, fahren sie weiter nach Bodega Bay, wo es genauso neblig ist wie in Fog („Nebel des Grauens“).  In Los Angeles  versuchen sie es zum zweiten Mal mit Sex. Diesmal klappt alles wunderbar, und für  einen Augenblick scheint alles möglich, etwa dass „man miteinander einkaufte, zusammen die Katzen fütterte, den Tisch deckte, von fremden Tellern aß, dem anderen etwas herüberreichte, in dem Wissen um die tektonische Verschiebung, den neuen Zustand, den man sich ervögelt hatte.“ Wie geht es jetzt weiter?

Gar nicht. In San Diego laufen sie durch den Gaslight Bezirk, tanzen abends in Bars und schlafen in der Nacht miteinander. Doch die ganze Zeit über steht Ora unter Beobachtung, keine Geste keine Äußerung bleibt uninterpretiert, was für die Leser auf die Dauer etwas ermüdend ist.  Schließlich biegen die beiden ins Landesinnere in Richtung Arizona ab, durchqueren die Wüste und treiben sich an der mexikanischen Grenze herum, ehe sie im großen Bogen nach LA zurückkehren. Das Buch endet mit der Landung in Frankfurt, und es bleibt offen, wie es weitergeht. Die Kulissen für das Beziehungsdrama haben sich im Grunde nicht verändert.

Alles in allem ein Buch, das interessant anfängt, dann aber mehr und mehr verebbt, was es übrigens mit mancher Reisen gemeinsam hat. Leidlich interessant fand ich die das Thema der Reise als eine Art Sonderwelt, in der alles ein bisschen anders ist als in der heimischen Normalität  – allerdings bleibt die Frage, wie diese Sonderwelt in die Alltagswelt überführt werden wird, völlig offen. Die Reisebeschreibungen als solche sind unergiebig und lauten etwa folgendermaßen: „Mit der Stadt konnten wir nicht viel anfangen. Sie schien selbst nicht zu wissen, warum es sie gab; sie war nur irgendwie vorhanden und zeigte kein wiedererkennbares Gesicht, außer dass sie von Wüsten umzingelt war und nach Süden, Richtung Grenze, nicht weiterkam.“ Das könnte man auch von Ora sagen, denn trotz des Röntgenblicks, mit dem der Autor seine Begleiterin Tag und Nacht betrachtet, bleibt Ora sich gleich. Eine Hülle nach der nächsten fällt, aber wie bei einer russischen Puppe sieht das das Neue genauso aus wie  das alte.  Auch die Metaphern und Bildern, mit denen der Autor seine  Ora beschreibt, werden niemanden vom Hocker reißen.

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