Lawrence: Die sieben Säulen der Weisheit

„Die Geschichte auf diesen Seiten ist nicht die Geschichte der arabischen Bewegung, sondern die meiner Beteiligung daran. Es ist die Erzählung des täglichen Lebens, unbedeutender Geschehnisse, kleiner Menschen. Hier gibt es keine Lektionen für die Welt, keine Enthüllungen, um die Menschen zu schockieren. Sie ist voll mit trivialen Dingen, zum Teil deshalb, daß niemand die Überreste, aus denen ein Mann eines Tages Geschichte machen könnte, fälschlich für Geschichte hält, und zum Teil wegen des Vergnügens, das ich bei der Erinnerung an meine Beteiligung an dieser Revolte hatte. Wir alle waren überwältigt, wegen der Weite des Landes, des Geschmacks des Windes, des Sonnenlichts und der Hoffnungen, für die wir arbeiteten. Die Morgenfrische einer zukünftigen Welt berauschte uns. Wir waren aufgewühlt von Ideen, die nicht auszudrücken und die nebulös waren, aber für die gekämpft werden sollte. Wir durchlebten viele Leben während dieser verwirrenden Feldzüge und haben uns selbst dabei nie geschont; doch als wir siegten und die neue Welt dämmerte, da kamen wieder die alten Männer und nahmen unseren Sieg, um ihn der früheren Welt anzupassen, die sie kannten.

Dieser Passus mit seiner merkwürdigen Kombination von Ausblick und Rückblick befindet sich interessanter nicht am Anfang sondern am Ende von „Die sieben Säulen der Weisheit“.  Er ist in wundervoller Prosa formuliert und doch von Anfang bis Ende unwahr. Denn T. A. Lawrence  war keineswegs nur der bescheidene Zeitzeuge einer epochalen Entwicklung, sondern gemäß einer Laune des Schicksals und nach dem Maß seiner Begabung einer ihrer Triebkräfte. Deswegen ist das Buch bei aller persönlichen Färbung auch die authentische, historisch weitgehend korrekte und  literarisch anspruchsvolle Beschreibung eines weltgeschichtlich relevanten Vorganges: der arabischen Erhebung gegen die Türken, was gleichbedeutend war mit der Geburt des panarabischen Nationalismus, der die Welt bis heute in Atem hält.

Der Ablauf der Ereignisse ist schnell erzählt. Als britischer Verbindungsmann zu den arabischen Rebellen unter dem Haschmisten Fürst Feisal wird der junge  Nachrichtenoffizier und Archäologe dank seiner Sprachkenntnisse und persönlichen Charismas n zum Impulsgeber für die arabische Bewegung, die das Pulverfass des Nahen Ostens zur Explosion und damit die jahrhundertelange Herrschaft der Türken zum Einsturz bringt. Darüber wird in dem vorliegenden Buch viel erzählt und Liebhaber historischer Details werden diesbezüglich auf ihre Kosten kommen. Auch an drastischen Details besteht kein Mangel, wenn man etwa an die Passagen denkt, in denen Lawrence seine Misshandlung in türkischer Gefangenschaft beschreibt.

Aber viel interessanter als die Kämpfe, Sprengungen, die Folter und die Schlachten sind die Charakterisierungen und Beobachtungen, die die „Sieben Säulen der Weisheit“ zu einer brillanten Mischung aus Literatur und Kulturanthropologie machen. Dafür im Folgenden einige Beispiele.

So heißt es über Prinz Feisal, den Führer des Aufstandes: „Der Gedanke mochte bei ihm vielleicht nur um ein Geringes dem Wort vorausgehen, denn der schließlich gewählte Ausdruck war stets von größter Einfachheit, was ihm etwas Aufrichtiges und zugleich Packendes gab. Fast schien es, so dünn war der Schleier der Worte, als könnte man seinen geraden und hochgemuten Sinn hindurchleuchten sehen.“ Und etwas später: „Während zweier Jahre arbeitete Faisal so daran, all die zahllosen Partikelchen, aus denen das arabische Volk bestand, in ihrer natürlichen Ordnung aneinanderzufügen und die Vereinigten mit seiner Idee des Kampfes gegen die Türkei zu beseelen. In keinem der Gebiete, das er durchzogen hatte, blieb eine Blutfehde zurück; er selbst galt in ganz Westarabien als oberste Instanz, letzthin gültig und unanfechtbar.“

Die Beduinen, die in den Aufstand gegen die Türken zogen „waren ein eigenartiges Volk“, schreibt Lawrence. „Für den Engländer war es schwer, mit ihnen umzugehen, besaß er nicht eine Geduld, weit und tief wie das Meer. Sie waren völlig Sklaven ihrer körperlichen Begierden, ohne jede Hemmung; sie gossen ungeheure Mengen von Kaffee, Milch oder Wasser in sich hinein, verschlangen ganze Haufen von gesottenem Fleisch und waren die zudringlichsten Bettler um Tabak. Hätten es die Umstände erlaubt, so würden sie hemmungslose Sinnenmenschen gewesen sein. Ihre Stärke war die Stärke von Menschen, die lediglich durch die Natur ihres Landes vor Versuchungen bewahrt sind: die Kärglichkeit Arabiens machte sie mäßig, enthaltsam und ausdauernd.“

Lawrence bewundert die Schmerztoleranz, den Stolz und die Tapferkeit der Araber, gibt sich aber über ihre Härte keinen Illusionen hin. Als zwei Kamele erschöpft zusammenbrechen, stachen die Araber die Tiere „gleich an der Stelle ab, wo sie zusammengebrochen waren, indem sie den Kopf auf den Sattel zurückbogen, dadurch den Hals straff spannten und den scharfen Dolch in die Schlagader oberhalb der Brust stießen. Die Tiere wurden dann sofort zerlegt und das Fleisch verteilt.“

Einmal vom Furor des Aufstandes erfasst und über die Grausamkeit der Türken empört, entzündet sich  das Feuer des Austandes immer weiter. „Bei den Stämmen in der Kampfzone zeigte sich eine fast überreizte Begeisterung“, notiert Lawrence, „wie sie sicherlich allen nationalen Erhebungen zu eigen ist, die aber etwas seltsam Beunruhigendes hatte für den Angehörigen eines schon so lange Zeit freien Landes, dem der Begriff nationaler Freiheit wie das Wasser geworden war, das man trinkt: man schmeckt es nicht.“

Bekanntlich brachte diese Begeisterung den Arabern zwar den Sieg über die Türken, aber nicht die Belohnung, die sie sich erhofften. Als die Aufständischen Damaskus genommen hatten und das osmanische Reich zusammengebrochen war, brach Großbritannien das den Arabern gegebene Wort und teilte nach alter Kolonialmanier den Orient mit Frankreich auf. Lawrence ist bodenlos endtäuscht über seine Landsleute und schämt sich.  „Es war meine Schuld, daß ich ihnen ein fertiges Bild unseres Zieles zeigte“, schreibt er am Ende des Buches. „In Wahrheit existierte es allein in dem nie endenden Streben nach dem unerreichbaren, nur in der Vorstellung lebenden Licht. Die Masse unserer Leute, die das Licht in der Wirklichkeit suchten, glichen mitleidswerten Hunden, die um die Sockel der Straßenlaternen schnüffelten.“

Eine ganz andere, poetische Dimension erreicht Lawrence in seinen Naturbeschreibungen. „Es war Abend; hinter dem geraden Rücken des Sinai ging die Sonne unter. Ihre Scheibe schien heute meinen Augen allzu strahlend, denn ich war meines Lebens zum Sterben überdrüssig und sehnte mich wie selten vorher nach den verdeckten Himmeln Englands. Dieser Sonnenuntergang war gewaltig, aufreizend, barbarisch; er belebte wie ein frischer Trunk die Farben der Wüste – wie er es ja wirklich jeden Abend tat in einem neuen Wunder aus Kraft und Glut. “ Hier war die „Landschaft kein freundliches Beiwerk mehr, sondern rührte mit ihrer gewaltigen Erhabenheit an den Himmel, und wir schwatzenden Menschenkinder wurden wie Staub zu ihren Füßen.“

Und etwas später heißt es.  „Das Gebirge war herrlich an diesem Tage. Die Dezemberregen waren reichlich gefallen, und der Sonnenschein danach hatte der Erde vorgetäuscht, der Frühling sei gekommen. Ein dünner Graswuchs war in allen Mulden und Niederungen aufgesproßt, vereinzelte Halme nur, schnell und starr emporschießend zwischen den Steinen.“

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