Lieber Andy, alter Freund

l  (23)

30.4.2018

Lieber Andy, alter Freund,

darf ich dich noch so nennen? Sind wir noch „alte Freunde“? Ich sage dir ja nichts Neues, wenn ich konstatiere, dass kaum noch etwas voneinander hören, Geburtstagwünsche eingeschlossen.  Irgendwie erstaunt mich das noch immer, denn Geburtstagsgratulationen sind keine Lappalien sondern Grenzziehungen. Derjenige, dem ich gratuliere, ist nicht unbedingt mein Freund, aber gehört immer noch zu meinem Bekanntenkreis.  Wem ich aber nicht mehr gratuliere, der entschwindet aus meinem persönlichen Universum. Seine Umlaufbahn hat mit der meinen nichts mehr zu tun.

So ganz will ich dich aber aus meiner Umlaufbahn nicht entlassen. Deswegen ist heute, am 30. April für mich „Andy Day“. Andy, alter Freund, ich gratuliere dir sehr herzlich zum 65. Geburtstag und wünsche dir Glück, Liebe und Gesundheit auf allen Wegen. Soweit ich das inzwischen noch beurteilen kann, blickst du zurück auf ein erfolgreiches Leben und kannst stolz darauf sein, was du geleistet hast. Meine „Gabe“ zu diesem Tag soll dieser Brief sein, in dem ich versuche, in aller Vorsicht, einige Züge unserer nun schon sehr langen Freundschaft zur Sprache zu bringen, Harmonisches, Kurioses und Dissonantes, wobei ich hoffe, dass ich die richtigen Worte und bei dir ein gewisses Interesse finde.

Wie kam es eigentlich zu der offensichtlichen Distanz, die sich zwischen uns entwickelt hat?  Darüber habe ich öfter nachgedacht. Weder du noch ich haben sich – jedenfalls, soweit ich weiß – etwas zuschulden kommen lassen, das diesen „Knacks“ erklären würde,  jedenfalls nichts Augenfälliges. Möglicherweise ist es eine immer schon bestehende  große persönliche Verschiedenheit, die sich nun endlich, nach vielen Jahren auch in reale Distanz und Entfremdung umsetzt.  Möglich, aber unwahrscheinlich. Alle Menschen sind verschieden, es kommt bei Freundschaften nur auf die  positive Energie und den Willen an, diese Verschiedenheit zu überbrücken.

Diese Energie, das ist mir im Rückblick klar geworden, ging im Hinblick auf unsere Freundschaft eigentlich immer von dir aus. Das begann schon vor über dreißig Jahren in dem  Moment, als ich  dich überhaupt  zum ersten Mal wahrgenommen habe. Ich glaube, du warst irgendwann in den Achtziger Jahren Türsteher in einer Disco und teiltest mir bei meinem Eintritt mit,  Katja sei schon weg. Du wusstest also, wer Katja und ich waren, ohne, dass ich dich kannte. Du hast mich also zuerst gesehen, dazu passt übrigens, dass du es nun bist, der  b (1)-001  abdreht.  Offiziell warst du damals aus Südafrika nach Deutschland gekommen, und ich erinnere mich noch sehr genau daran, wie ich dich bei einem gemeinsamen Langlauf  nach Details aus Südafrika fragte und mich wunderte, dass du nichts  über dieses Land wusstest. Dass du aus Israel kamst, hast du mir erst später gesagt. Für mich keine große Sache, denn ich fand dich als Person, als Sportkameraden und schließlich als Freund hundertprozentig in Ordnung. Du hattest  aus meiner Sicht eine Begabung zur Freundschaft, zum Brückenbauen auch zu jenen, die sich als selbst als Brückenbauer etwas lahm anstellen.

Jedenfalls wurden wir uns in der Folgezeit zu Gefährten unseres Alltags und Zeugen unser Amouren. Die hast die ganze Katja-Zeit miterlebt und alles was nachher kam: Gaby, Karin, später Christa und was es sonst noch alles gab. Ich habe erlebt, wie du die Mädels im Sportreferat flachgelegt und unter  Heikes Zickigkeit gelitten hast. Ich habe dir während meiner Brasilienreise meine Wohnung zur Verfügung gestellt, damit du einen Anlaufpunkt mit Claudia hattest. Weiß Heike das eigentlich? Sie muss mich doch dafür ewig hassen. Je mehr ich nachdenke, desto mehr Details aus dieser Zeit fallen mir ein: Feten, Frühstücke, Flohmärkte, Treffen am Tresen und zum Laufen,  Sportreferat und Telefonate – eine turbulente Zeit, von der ich heute noch weiß, dass ich in ihr die meiste Zeit nicht glücklich war, von der ich heute aber glücklich bin, sie genau so erlebt zu haben. Vor kurzem kam ich in Rothenburg ob der Tauber vorbei und erinnerte mich daran, wie wir einst mit Heike und Katja dort übernachtet hatten. Was für eine kuriose Tour, eine in Bewegung übersetzte Therapie der Rat- und Rastlosigkeit. Wie hart du sein kannst, habe ich erst am Ende der Claudia-Zeit mitbekommen. Du hast sie ans Kreuz geschlagen und für den Rest ihres Lebens b (1)geknickt, aber wer bin ich so etwas zu sagen. Ähnliche Sünden habe auch ich mir reichlich zuschulden kommen lassen. Aus meiner Sicht fand diese turbulente „Bagger Zeit“ für dich ihr happy, indem du Petra getroffen hast. Wir stehen uns nicht mehr nahe genug, dass ich dazu jetzt etwas sagen dürfte. Nur so viel: Dank deinem Schöpfer für diese wunderbare Frau.

Dann bist du mit Petra nach Rumänien gegangen und hast dir dort eine neue Existenz aufgebaut. Und auch jetzt brach der Kontakt nicht ab, denn du hast dich regelmäßig gemeldet und Treffen arrangiert.  Bis noch vor wenigen Jahren riefst du regelmäßig an, wenn du in Deutschland warst, und mit der Zeit wurde unsere Dreierrunde mit Hubert fast zu einer Tradition.  Solche Kontaktpflege zu Freunden gehört aus meiner Sicht zu deinen ganz großen großen Stärken, weswegen auch das Ende dieser Kontaktpflege ab etwa 2015 für mich so augenfällig war.

Aber es gibt auch andere Erinnerungen, die mir einfallen, zum Beispiel ein Detail aus dem Ende meiner Freundschaft zu Ulli Maikowski.  Mit Ulli  war ich über Jahre hinweg eng befreundet gewesen, ich hatte über zehn Jahre lang mit ihm Tennis gespielt, und er hatte mich gefragt, ob ich sein Trauzeuge werden wollte (Ich konnte nicht, weil ich  zur Zeit einer Hochzeit  mit Katja unterwegs war). Da  brach diese Freundschaft Mitte der Neunziger Jahre völlig überraschend ab, als er mich bei einer  jungen Französin, auf die wir beide scharf waren, hinter meinem Rücken übel anschwärzte. Dieses Verhalten kann ich bis heute nicht verstehen, denn es entlarvte eine aus meiner Sicht enge persönliche Beziehung als bloße Fassade. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie ich dir davon  in großer Betroffenheit erzählt habe.  Jetzt zum Detail, an das ich mich erinnere. Wir waren in der Neumarktpassage verabredet und als ich ankam, hattest du dich bereits mit Ulli und Ricarda an einen Tisch gesetzt, was mich in eine peinliche Situation brachte. Als ich dir das Fotoalbum als Dank für deine Gastlichkeit in Rumänien übergab und ging, bist du mir nicht gefolgt, obwohl wir verabredet waren, sondern bist am Tisch sitzen geblieben.  Irgendwann genau in dieser Zeit hast du mir einmal gesagt,  ich wäre dein „bester Freund“. Ich weiß noch genau, dass ich mich in dem Augenblick fragte, wie vielen deiner Freunde du das schon gesagt hattest. Keine große Sache, aber eine die ich erinnere. Muss ich so etwas in diesem Brief schreiben? Wahrscheinlich nicht, aber es fiel mir gerade ein und ein wenig passt es auch zu meiner Stimmung.

Die besondere Beziehung, die wir eine Zeitlang hatten, ergab sich aus meiner Sicht auch durch Cora. Du hast mir nach Coras Geburt die Patenschaft angeboten, was mich gefreut, geehrt, aber auch verwundert  hat.   Ich war im April 1998 mit Silvia zusammen aus einem Kurzurlaub zurückgekehrt, als wir die kleine Cora bei einem Besuch in Forstbach zum ersten Mal sahen. Schon damals kam mir diese Patenschaft spät angetragen vor, und Silvia hatte mir  ins Ohr geblasen, ich wäre wohl nur zweite Wahl gewesen. Wie dem auch sei, ich war darüber verunsichert und habe  mich deswegen überhaupt nicht nach Coras genauem Geburtstag erkundigt. Glaub´ es oder nicht, daraus entstand der merkwürdige Umstand dass  ich, als jemand, der an sich Geburtstagsgrüßen großen Wert zumisst, meinem Patenkind nie zum Geburtstag gratulierte. Verrückt nicht?  Aber so war  es, und das wollte ich dir immer schon mal sagen.  Dieser dicke Minuspunkt geht an mich.

Auf der anderen Seite  hast du dich immer bemüht, mir Kontakt zu Cora zu

ora
ora

ermöglichen. Vielleicht habe ich es von meiner Seite an Engagement fehlen lassen, aber  für meine Verhältnisse habe ich zu deiner zauberhaften Tochter eine eigenständige Beziehung aufgebaut. Im Juni, so hoffe ich, wird sie Zeit finden, uns in Bonn einmal zu besuchen.

Jetzt fällt mir plötzlich wieder jede Menge Positives ein, zum Bespiel Andy in Australien. Down under warst du geradezu ein Vorbild an Gelassenheit und Ruhe, während sich Hubert und ich beharkten. Auch ein Kapitel, das nie image009aufgearbeitet wurde. Hubert und ich besitzen eine hochgradig ambivalente Beziehung mit starker Anziehung und Abstoßung zugleich. Das Geheimnis einer dauerhaften Freundschaft, das habe ich durch Hubert inzwischen gelernt, ist die richtige Distanz. Ich denke, dass wir die inzwischen gefunden haben.

Wenn man einmal von Australien absieht, sind wir viermal zusammen  gereist, 1994 zu den Moldauklöstern, 2005 in die Ukraine, 2012 und 2013 durch Osteuropa. Auch wenn ich diese Reise genossen habe, zeigten sich persönliche Unterschiede auch hier. Vor allem nach der Reise von 2013 hatte ich das deutliche Gefühl, dass plötzlich etwas zwischen uns stand. Was und warum, darüber rätsele ich noch heute. Waren es politisch-weltanschauliche Gründe? War mein finanzieller Beitrag zu der Tour ins  Donaudelta zu gering gewesen? War es etwas anderes? Ich habe keine Ahnung.

IMG_5969

Dann gab es  von meiner Seite eine starte Irritation, als ich erfuhr, dass du mit Hubert nach Vietnam fährst.  Wohlgemerkt, ich war schon zweimal dort gewesen, ich hätte im Frühjahr 2015 auch gar nicht gekonnt, aber ich hätte doch erwartet, dass man im Rahmen unserer Dreierrunde mit mir spricht oder mich pro Forma fragt.  Ich hätte auf jeden Fall abgelehnt, nicht nur, aus den oben erwähnten Gründen, sondern auch aus der klaren Einsicht heraus, dass Hubert für Südostasien der hundertmal bessere Reisepartner ist als ich (was ich völlig wertfrei sage). Dass du mir aber bei meinem Besuch in Forstbach auf meine verwunderte Frage nach dieser Reise leichthin  vorschlugst, ich könne doch mitfahren, hatte – bitte verzeih mir die Klarheit dieser Aussage – so viel Unredliches, dass ich erschrak. Die  Doppelbödigkeit, die in diesem Pseudoangebot zum Ausdruck kam, hat mich tief verstimmt. Es war eine Doppelbödigkeit, von der du, als sie ausgesprochen hast, genau wissen musstest, dass ich sie als bloße Redensart erkennen und schlucken musste. Jedenfalls war das keine Kommunikation, wie sie unter Freunden üblich ist

. Da wir gerade dabei sind, will ich noch eine Bemerkung über unseren letzten gemeinsamen Abend im März loswerden.  Ehrlich gesagt, war ich überrascht über diese Einladung nach dem langen Andy-Moratorium, was ich am Telefon ja auch zum Ausdruck brachte. Ich erkannte aber die positive Absicht dahinter und habe angenommen, obwohl ich mir schon vorstellen konnte, dass der Abend in dieser Zusammensetzung kein Vergnügen werden würde. Ich möchte niemanden herabsetzen, aber mit Tafelrunden ist es wie mit der Chemie:  bestimmte Elemente harmonieren einfach nicht. Ich habe Petra und dich an diesem Abend bewundert, wie ihr hingebungsvoll und freundlich eine Gastlichkeit geboten habt, die durch hyperaktives Gebrabbel und Getratsche verschenkt wurde. Einziger Lichtblick außer dem Essen und dem Wein waren Huberts humorvolle Einlagen, aber als  Heike die Infos zu Katjas zeitweise epileptischer Tochter ausbreitete, überkam mich ein regelrechtes Fremdschämen.  Was über uns, nach unserem zeitigen Abgang gesprochen wurde, möchte ich gar nicht wissen. Oder täusche ich mich da? Ha jemand gesagt, über abwesende Freunde sprechen wir nicht?

Jetzt aber genug der Retrospektiven, Nörgeleien und Mutmaßungen. Sicher wirst du das eine oder andere anders sehen, ganz sicher würdest du mir eine ähnliche Liste präsentieren können Deshalb am Ende auch ein kritisches Wort zu mir.  Im Uli Andy und Ludwig sind guter DingeUnterschied zu dir habe ich für diese Freundschaft immer zu wenig getan. Das liegt an einer starken Selbstbezogenheit, die mir zeitlebens im Weg stand. Ich war immer gewohnt, dass die Leute auf mich zukamen, und wenn das nicht der Fall war, dann lief eben nichts. Ich habe über die Jahre hinweg kaum bei dir angerufen, immer hast du dich gemeldet. Ich habe die großzügige Reise, die du mir 2013 durch Rumänien ermöglicht hast, viel zu wenig gewürdigt. Hinzu kommt, dass ich in den letzten zehn Jahren geradezu manisch nur aufs Schreiben konzentriert war und nicht mehr rechts und links schaute. Darüberhinaus kann ich zu meiner Entschuldigung nur anführen, dass jeder im Alter jeder ein wenig zur Karikatur seiner selbst wird, über die nur noch die echten Freunde schmunzeln können. Den anderen, die weiterblättern, kann man es nicht verdenken.

 Womit wir beim Ende wären. Im Rückblick besitzen die Jahre mit Andy  für mich noch immer eine  Wertigkeit ganz eigener Art. Egal, was es an Problematischem im Nachherein zu bemeckern gibt – eine Zeitlang gemeinsam durchs Leben j2 (1)gesegelt zu sein, nimmt mich für jeden ein, mit dem ich das jemals getan habe. Auch wenn Freundschaften gelegentlich verblassen, verhält es sich mit ihnen wie mit alten Büchern.  Auch wenn ich nicht mehr in ihnen lese, haben sie mir einmal viel bedeutet und besitzen deswegen immer einen Ehrenplatz in meinem Bücherschrank.

Mitte Mai, wenn ich in Russland die  Ostküste des Schwarzen Meeres erreiche, werde ich an dich denken, alter Junge. Sei herzlich gegrüßt, genieße diesen Tag und bleibe mir im Prinzip wohlgesonnen wie in den guten alten Zeiten

Ludwig

 

 

 

 

Kommentar verfassen