Martin Walser: Tod eines Kritikers

 „Kretins“, „Schwachköpfe“, „Nichtswürdige Langweiler“ – und was es dergleichen mehr am Injurien geben mag, hat der Großkritiker über kleine und große Namen der Literatur ausgeschüttet – immer der Sache dienend, wie er sagte, aber immer auch auf eine ungeheure Weise persönlich. Die Nachfolger Jesu haben gelitten an der Sündhaftigkeit des Menschen, er, der Kritiker leide unter den Sünden der Schriftsteller – mehr noch: wenn er, der Kritiker,  einige Wochen nacheinander deutsche Gegenwartsliteratur lesen müsse, beneide er die Müllabfuhr (S. 37/8)

Einen „Scheißkerl“ haben ihn, unabhängig voneinander, Max Frisch und Heinrich Böll genannt. Aber auch das nur hinter vorgehaltener Hand, weil die Macht des Kritikers von Jahr zu Jahr ins Unermessliche wuchs. Nun hat es einer der Großen des Faches, Martin Walser, gewagt, diesen Großkritiker öffentlich anzugehen und es ihm mit seiner eignen Münze heimzuzahlen: eben  persönlich.

Es geht um Marcel Reich Ranicki, „den Herrn der Bücher“, den der Autor Martin Walser in dem vorliegenden Buch bis in die Sprechweise hinein völlig unverfremdet als Andre Ehrl-König auftreten lässt. Grund genug dieses Buch nun, nach der großen Autobiographie von Reich Ranicki und dem durchaus gelungenen Lebensportrait des Kritikers, das unjüngst  im deutschen Fernsehen gesendet wurde, noch einmal zu  lesen. Worum geht es?

Hans Lach, einer der zahlreichen literarischen Mittelgewichtler, die wie die Tanzbären nach den literarischen Launen von Andre Ehrl-König tanzen und sich nichts sehnlichster wünschen, als eine gute Note zu erhalten, wird mit seinem Roman „Frauen ohne Zehennägel“ in der „Sprechstunde“, der allmonatlichen Fernsehsendung von Andre Ehrl-König  gnadenlos zerrissen. In der anschließenden Edel-Party beim Verleger Ludwig Pilgrim beschimpft und bedroht der uneingeladene und gedemütigte Hans Lach den Großkritiker („Ab zwölf Uhr wird zurückgeschoben!“) und wird herausgeworfen. Noch in der gleichen Nacht verschwindet Ande´Erl-König, nur sein blutiger Pullover wird gefunden. Der Schriftsteller Hans Lach wird verhaftet und des Mordes verdächtigt, alle Welt bricht schon den Stab über ihn, nur der Kabbalistikforscher Landolf  ist von der Unschuld Hans Lachs überzeugt und versucht, durch eine Art Gesamtaufnahme des Werdeganges und  der Lebensumstände von Autor und Kritiker die Verdachtsmomente zu entkräften.

Dieser zugegebenermaßen nicht sonderlich originelle Plot bietet Walser Gegebenheit, das Phänomen Marcel Reich Ranicki umfassend zu beschrieben und zu karikieren, wobei das gesamte Personal des Literaturbetriebes mal in Originalnamen, mal verfremdet auftritt. Ihre Nachricht aber ist immer die gleiche: Andre´Ehrl-König  alias Marcel Reich Ranicki ist   geblendet vom eigenen Gerede, eitel bis zum Abwinken, er hadert mit dem Nobelpreis und dem Büchnerpreis, weil diese nur an  Schriftsteller und nicht an Kritiker vergeben werden, er ist unberechenbar und auf eine unverstehbare Weise grausam und selbstherrlich, ein Apologet des Entweder-Oder, des Gut und Schlecht, der keinen anderen Fixpunkt anerkennt als sich selbst  und der sich von schönen jungen Frauen nur dann beeindrucken läßt, wenn sie sich von ihm beeindruckt zeigen. Wohlgemerkt, all das ergibt sich hinter vorgehaltener Hand, weil der Meister nach seinem Verschwinden ja als tot und der Literat Hans Lach als Mörder gilt. In Wirklichkeit aber, so stellt sich am Ende des Romans ein wenig abrupt heraus,  verhält es sich ganz anders. Der Meister hatte sich nur mit einer jungen Autorin in ein Schloss zurückgezogen und sich an dem Aufruhr über seinen scheinbaren Tod geweidet.

Nun ist er wieder da, prachtvoller denn je,  der bedächtige Hans Lach wird freigelassen und bringt sich um, der Kabbalistikforscher Landolf, aus dessen Perspektive das Buche erzählt wird, zieht sich auf eine spanische Insel zurück- Das wars.

Leider.

Denn trotz manch interessanter Passagen, beschleicht den Leser bald dass Gefühl, dass man das hätte noch viel besser machen können.  Der Hauptmangel dieses Romans  ist, dass  Walser seinen  Antagonisten Reich Ranicki als  einen hundertprozentigen Hanswurst und  Blender schildert, als einen eitlen Dampfplauderer und Medienmann, womit er vielleicht eine gelegentliche Facette des Medienphänomens Reich Ranicki einfängt, dieser Person aber bei aller berechtigten Kritik bei weitem nicht gerecht wird. Was hätte das für ein Roman werden können, wenn der Autor Walser seinen Kritiker Reich Ranicki in Gestatl des Andr´Ehrl-König  als literarische Figur ebenso stark wie schwach gemacht und damit dem Leser die Entscheidung und das Urteil über diese literarische Enormität unserer Epoche überlassen hätte. So bleibt nur die Erinnerung an ein am Ende fast langweiliges Buch und die  hysterischen Reaktionen des Kulturbetriebes, in dem  Walsers Beitrag auf eine gradezu groteske Weise rezipiert wurde. Wie eine Hydra erhob sich die Schar der Reich-Ranicki Adepten aus den Untiefen des Literaturbetriebes um Martin Walser Unfähigkeit, Hass Häme, gar Antisemitismus (völlig abseitig!) vorzuwerfen und ihn, wenn möglich menschlich und literarisch zu vernichten. Der unsägliche Frank Schrittmacher ließ sogar Philipp Reemtsma, den dilettantischen Wehrmachtsausteller, in seinem Blatt zu Wort kommen, um eine Klinge für Reich Ranicki und gegen Martin Walser schwingen. Schirrmacher selbst präsentierte mit seinen Variationen über das Zitat „Ab zwölf Uhr wird zurückgeschossen“ ein Lehrbuchexempel, wie man falsch und denunziatorisch zitiert.  So ergibt sich am Ende ein fast paradoxer Befund: dass ein alles in allem keineswegs gelungenes Buch mit  so vollkommen abseitigen Begründungen derart heruntergemacht wurde, spricht nun fast wieder für Walsers Anliegen.

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