Münkler: Die neuen Kriege

Münkler Die neuen Kriege index Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler gehört zweifellos zu den bemerkenswertesten Figuren im bundesdeutschen Wissenschaftsbetrieb. Nicht nur wegen seiner Veröffentlichungen kurz nach der Jahrtausendwende, die inzwischen fast den Rang von Standardwerken einnehmen, sondern auch wegen einer erstaunlichen politischen Kehrtwende, die er im Zusammenhang mit der moslemischen Masseneinwanderung des Jahres 2015  vorgenommen hat. Agierte er bis zur Merkelschen Grenzöffnung vorwiegend als ein kritischer Politikwissenschaftler, der mit Akribie und nicht ohne Schärfe eine Menge Tabus ansprach, so verwandelte er sich nach 2015 in einen systemangepassten Kavalier-Berater“ (Sloterdijk) der sich nicht zu schade war, in einem eigenen Buch über „Die Neuen Deutschen“ seinen Kotau vor der Regierungspolitik zu publizieren. Würde man seine Figur damit nicht gar zu sehr erhöhen, könnte man in ihm einen umgekehrten Thomas Mann sehen. So wie sich Thomas Mann vom affirmativen Deutschtümelei („Betrachtungen eines Unpolitischen“) zum demokratischen Anhänger der Weimarer Republik wandelte, so wechselte Herfried Münkler umgekehrt vom kritischen ins rein affirmative, regierungsapologetische Fach. Inwiefern dieser Wandel mit seinen traumatischen Erfahrungen mit der Agitation  linksradikaler Studenten gegen seinen Vorlesungsbetrieb („Münklerwatch“) zusammenhängt, wäre der Erforschung wert.

Das mindert aber nicht den Werk von Münklers frühen Schriften, vor allem nicht den seines Standardwerks über „Die neuen Kriege“, in dem er auf gerade mal gut zweihundert Seiten nicht nur eine Geschichte des neuzeitlichen Krieges sondern auch einen kategorialen Aufriss moderner Kriegs- und Konfliktformen liefert.  Ich gestehe, dass ich von diesem Buch begeistert bin. Es ist in einem kristallklaren, gut lesbaren Stil geschrieben, es präsentiert ein immenses Faktenwissen und führt den Leser in mehreren Anläufen von Thukydides bis Habermas auf interessanten Pfaden quer durch die Weltgeschichte.

Die „neuen Kriege“, das ist Münklers bereits im ersten Kapitel entwickelte These, sind durch drei grundlegende Züge gekennzeichnet: Entstaatlichung, Asymmetrie und Autonomisierung. Der Begriff der asymmetrischen Kriege („Traditionelle Großmacht“ gegen „Partisanen“ bzw. „Terroristen“) ist mit diesem Buch geradezu zu einem Markenzeichen Münklers geworden. Alle drei Merkmale kennzeichnen zusammen das Ende „klassischer Kriege“, die ein Ziel, einen Anfang meistens auch noch eine Entscheidungsschlacht und einem Friedensvertag besaßen. Die Gegner asymmetrischer Kriegen sind wie der Name schon sagt dagegen ungleich – es sind die  Großmächte auf der einen Seite und verdeckt operierende aufständische Gruppen auf der anderen Seite, wobei  Münkler zwischen „Partisanen“ und „Terroristen“ unterscheidet. Unter Partisanen versteht Münkler Kombattanten, die innerhalb eines Bürgerkrieges aus dem Untergrund heraus agieren, bis sie eines Tages das Übergewicht erhalten und der regulären Armee in offenen Schlachten gegenübertreten können. Das jedenfalls war das Rezept von Mao, Ho Tschi Minh und Fidel Castro gewesen.  Bei Terroristen handelt es sich um noch winzigere Kampfeinheiten, die durch gezielten Terror gerne gegen Unbeteiligte spektakuläre „Angriffe auf die Moral der Gegenseite“ unternehmen. Ihnen soll bedeutet werden, welche Opfer ihnen noch bevorstehen, wenn sie die Forderungen der Terroristen nicht erfüllen. Das jedenfalls ist die Logik, nach mit palästinensische Terroristen 13 jährige jüdische Mädchen in ihren Schlafzimmern überfallen und erdolchen. Berechtigterweise hält sich Münkler mit der Frage nach der moralischen Begründung terroristischer Aktionen nicht lange auf.  Sie sind ohnehin fast immer nur Bemäntelungen von Mordlust, Grausamkeit und Gier.  Ihre Kämpfer rekrutieren die asymmetrischen Warlords zum großen Teil  aus dem kriminellen Milieu  drittweltlicher Riesenstädte, aber auch aus dem Millionenheer perspektivloser Kinder und Jugendlicher, die mit den immer einfacher zu bedienen automatischen Waffen als willfährige Mordkommandos einsetzbar sind.

Asymmetrische Kriege, so Münkler, haben zwar immer auch etwas mit sozialen Ungerechtigkeiten oder ethnischen Spannungen zu tun, werden aber mit diesen landauf landab heruntergebeteten Motivationsunterstellungen als Phänomene nur unvollständig erfasst. In Wahrheit brechen sie gerade nicht vorwiegend in bettelarmen Regionen aus, sondern es ist eher der potenzielle Reichtum eines Landes, der die  asymmetrischen Krieger anzieht. Die Blutdiamanten lassen grüßen. Im Unterschied zu „normalen“ Kriegen dauern asymmetrische Konflikte endlos, sie wachsen sich zu „schwelenden Bränden“ aus, die mit der Zeit ganze Großräume vernichten und in erster Linie die Zivilbevölkerung (und hier vor allem gegen Frauen)  in Mitleidenschaft ziehen. In traditionellen Kriegen, so Münkler, betrug die Zahl der zivilen Opfer etwa ein Fünftel der Toten, heute ist diese Quote in asymmetrischen Konflikten  auf vier Fünftel gestiegen.  Eine unbequeme Wahrheit, die manchem linken Kritiker bitter aufstieß, war Münklers Feststellung, dass Flüchtlingslager im Rahmen asymetrischer Kriege Kraft- und Nachschubbasen der Aufständischen darstellen. Der weit überwiegende Teil der  internationalen Hilfe  wird von den asymmetrischen Kriegern kontrolliert, die die  Flüchtlingslager fest im Griff haben. Ebenso politisch inkorrekt ist die Konstatierung der massiven Unterstützung, die die Partisanen und Terroristen aus wohlhabenden Migrantengruppen im Westen erhalten. Das reicht von den Zwangskontributionen, die die PKK unter deutschen Kurden einzieht, bis zu freiwilligen Ausreisen von Islamisten mit deutschem Pass in die Kriegsgebiete des Nahen Ostens.

Ihnen stehen als Gegner pazifzierungsaffine westliche Staaten gegenüber, sogenannte „postheroische“ Gesellschaften, die  zwar den Export von Demokratie und Menschenrechten im Munde führen, aber nicht bereit sind, dafür mit Bodentruppen und unter Inkaufnahme von Toten einzugreifen.  Die Bilder von Tod und Terror in dem Wohnzimmern des Westens will niemand sehen, so dass es mitunter zu reflexhaften Rückzügen kommt – wie etwa der Amerikaner aus Mogadischu, was die Taliban erst zu ihren Großaktionen ermutigte. So bleiben den etablierten Mächten nur Luftangriffe und Söldnerrekrutierungen. Die finanzielle und militärische Unterstützung  von ihnen vermeintlich nahestehenden Gruppen hat sich dagegen immer wieder als ein Desaster erweisen, weil diese Gruppen notorisch korrumpierbar sind.

Am Ende des Buches, dessen zahlreiche Aspekte und Anregungen hier nur angetippt werden konnten,  fühlt sich der Leser bereichert und ratlos zugleich. Münkler hat ein grundlegendes  Dilemma aufgezeigt, dessen Lösung aber im Dunkeln bleibt. Dem aufmerksamen Leser seines Buches muss es vorkommen, als sei unser Planet von einer weltweiten Gewaltinfektion ergriffen worden, die nur eine brachial auftretende imperiale Macht beenden könnte. Eine solche aber ist nirgendwo in  Sicht.  Stattdessen gefallen sich die entwickelten Länder ( Münkler nennt sie die „OECD Staaten“) darin, entsetzt und ratlos auf die Gewaltexzesse der asymmetrischen kriege zu schauen, um sich in halbherzigen Aktionen zu verzetteln, die das Desaster nur noch größer machen.  Immer wenn Präsident Clinton ein totes Kind auf CNN sah, befahl er einen Luftangriff. Bei unserer Knazerlin verhielt es sich bei der Grenzöffnung im September 2015 übrigens ganz ähnlich. Ein deprimierender Befund, gegen den man wenig einwenden kann.

Umso erstaunlicher aber, dass Münkler wenige Jahre nach der Abfassung seines Buches im Angesicht einer noch nie dagewesenen  moslemischen Massenmigration seine eigenen Analysen zu vergessen scheint. Es ist unfassbar, aber Münkler und seine Gattin begrüßen die Hundertausende, die aus den Reichen der asymmetrischen Kriege in die nördlichen Wohlfahrtszonen auswandern,    mitsamt ihren Bildungsdefiziten, ihrer Intoleranz und Gewaltaffinität als „die neuen Deutschen, die unsere Land zum Positiven verändern werden. Fast jede Seite dieser Affirmationsschrift steht im schreiendem Gegensatz zu Münklers früheren Thesen.  Man ist sprachlos vor Staunen, wie eine solche Selbstdementierung  möglich ist. Mit der infamen Herabwürdigung von Peter Sieferles „Finis Germania“ hat  Münkler übrigens diese traurigen Selbstverzwergung noch einmal gesteigert. Schade um diesen Kopf. Und rätselhaft zugleich.

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