O´Nan: Die Chance

Am Ende einer jahrzehntelangen Ehe, nach einer langen Kette von Misserfolgen, Treuebrüchen und Sackgassen und im Angesicht von einer Viertelmillion Dollar Schulden reisen Art und Marion Fowler im Rahmen eines Valentins-Tag-Special für 249 USD zu den Niagarafällen. Dort, wo sie vor fast dreißig Jahren ihre Hochzeitsreise verbracht haben,  wollen sie mit den letzten 8000 Dollar, die sie besitzen, in dem angeschlossenen Casino alles auf eine Karte setzen, um den finanziellen Zusammenbruch abzuwenden.  Doch schon der Beginn der Reise ist beschwerlich und voller Hindernisse, ein Unfall verursacht eine Verspätung, am ersten Abend verdirbt sich Marion den Magen und das von Art geplante eheliche Revival samt Brillantring entfällt. Die Erinnerungen an Enttäuschungen und Verlust stehen wie kaum überwindbare Mauern zwischen beiden, Marion wirft Art noch immer seinen Seitensprung mit Wendy vor, obgleich sie selbst ihren Ehemann mit der lesbischen Karen betrogen hat. Auch der nächste Tag, an dem die beiden das übliche und nervenaufreibende Besichtigungsprogramm an den Niagarafällen absolvieren, bleiben die untergründigen Spannungen virulent. In diversen Rückblenden erfährt der Leser Näheres über den Werdegang der beiden, die zögerliche Einwilligung in die Heirat von Marions Seite, Arts gehemmte Wesensart, ihren kostspieligen Hauskauf, seinen Ehebruch mit Wendy und schließlich ihrer beider Jobverlust, der sie in eine ausweglose finanzielle Sackgasse stürzte. Auch wenn in den nächsten beiden Tagen die Distanz zwischen den Fowlers  nicht verschwindet, werden sich beide jedoch zunehmend bewusst, dass es nicht nur die Fehler des Anderen, sondern auch die dauerkonservierten Kränkungen im eigenen Gemütsleben sind, die  einem ehelichen Neubeginn im Wege stehen. Zuerst nur vereinzelt, dann immer deutlicher wird neben den Kräften der Aversion auch wieder Attraktion spürbar, bestärkt durch  Champagner, gutes Essen und die ersten tapsigen Versuche einer sexuellen Neubegegnung. Am Ende des Buches, auf den letzten Seiten des Romans, die wie ein spannendes Finale gestaltet sind, treten sie sogar gemeinsam an den Spieltisch und gewinnen im Team, genau das Geld das sie für einen Neuanfang brauchen.

Wen dieses etwas platte Happy-end etwas enttäuscht, sollte bedenken, dass es nur in zweiter Linie um die Schulden des Ehepaares ging. Denn der finale Erfolg am Spieltisch krönt nur die Anstrengung beider, auf ihrer wiederholten Honeymoonreise zu den Niagarafällen die  eigene Frustration und  das eigene Selbstmitleid, die beiden Totengräber jeder Ehe,  schrittweise zu überwinden, um sich dem Ehepartner wieder anzunähern. In der  Beschreibung dieser beidseitigen Selbstüberwindung besteht für mich der moralische Wert des vorliegenden Romans, der damit etwas leistet, was Literatur kaum noch erreicht: Mut machen für ein besseres gemeinsames Leben im Gestalt eines tagtäglichen Neuanfangs. Und was mit besonders gut gefällt: diese Message kommt unaufdringlich daher, zurückhaltend in der Sprache und der Handlungsführung gelingt es dem Autor, seine Leser über 220 Seiten hinweg ohne jede Länge an der komplizierten Wiederannäherung des Ehepaare Fowlers teilhaben zu lassen. Ich habe das Buch mit Interesse und Anteilnahme in einem Rutsch zum Valentinstag 2015 gelesen und anschließend meiner Liebsten erst einmal einen Blumenstrauß besorgt.  Danke, Steward.

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