Pleschinski: Königsallee

Schwulsein ist in. Anders kann man es nicht sagen. Sogar bei „Bauer sucht Frau“ wird die Partnersuche schwuler Paare ausgebreitet. Kann es einen besseren Beleg für die Ankunft des Schwulseins in der Mitte der Gesellschaft geben? Da trifft es sich natürlich gut, dass der große Thomas Mann nicht nur in seiner Romankunst sondern auch in seiner sexuellen Orientierung auf der Höhe der Zeit war – eben schwul, wenngleich nur verborgen, weil es mit der gesellschaftlichen Veredelung noch etwas hakte. In diesen Kontext könnte man das vorliegende Buch „Königsallee“ von Hans Pleschinski einordnen – und täte ihm doch unrecht, weil es im Kern überhaupt nicht um das Schwulsein geht.

Aber worum geht es? Es geht um die Königsallee in Düsseldorf, besser gesagt um das Hotel Breidenbacher Hof, in dem der Nobelpreisträger Thomas Mann samt Frau Katja und Tochter Erika im Jahre 1954 zu einer Lesung einkehrt. Wie der Romanautor es will, logiert zur gleichen Zeit im gleichen Hotel auch Klaus Heuser, jene jugendliche Traumgestalt, die den latent homosexuellen Thomas Mann während eines Sylt Aufenthaltes im Jahre 1927 so tief verzaubert hatte, dass er ihn nach München einlud und ihn später zur Vorlage seiner Josephsfigur erwählte. Passiert ist nichts zwischen den beiden, außer einem scheuen Kuss, dessen süße Stimmung den Meister hinfort begleitete und die mit den Eindrücken anderer Verliebtheiten zur süß-sauren Grundmelancholie einer kunstfördernden Sublimierung kondensierte.

Kein Thomas Mann Fan, der jetzt nicht an Charlotte Buff denken würde, die den Geheimrat Goethe Jahrzehnte nach ihrer Verliebtheit als Matrone besuchte, was Thomas Mann selbst in „Lotte in Weimar“ als Roman verewigt hat.  Aber während Charlotte Buff Goethe tatsächlich getroffen hat, haben sich Thomas Mann und Klaus Heuser in Düsseldorf nicht gesehen, obwohl Klaus Heuser damals in der Nähe von Düsseldorf, genau gesagt, in Meerbusch-Büderich, lebte.

Es ist also eine Mischung aus Realität und Fiktion, die Hans Pleschinksi dem Leser auf fast 400 Seiten vorsetzt. Und die den Leser, das möchte ich gleich hinzufügen, etwas ratlos zurücklässt. Ratlos deswegen, weil sich der Autor so viel vorgenommen hat, dass man gar nicht recht weiß, wie man dem Buch gerecht werden soll.

Am auffälligsten ist zunächst die sprachliche Dichotomie. Über weite Strecken des Buches wird im Thomas Mann Stil erzählt, mitunter in so prätentiöser Zuspitzung, dass man es kaum noch ernst nehmen kann.  Dann wieder dominiert ein unpoetischer Protokollsprachenstil. Aber warum?  Eine Systematik hinter dieser willkürlich wirkenden formalen Gestaltung mag es geben, ich habe sie aber nicht entdecken können.

Sodann begegnen dem Leser auf Schritt und Tritt Gestalten aus der Literatur, vor allem natürlich aus Thomas Manns Romanen, wie etwa der Liftboy Armand, der wie ein aufdringlicher Wiedergänger Felix Krulls daherkommt – aber auch der Meister selbst sieht sich im „siebten Kapitel“ (das eigentlich das neunte ist) während seines Indentagdösens mit Goethe parallelisiert, den Thomas Mann ganz ähnlich am Anfang von „Lotte in Weimar“ erwachen lässt (dort mit „großer“, hier mit „mäßiger Prächte“). Brechungen, Spiegelungen, Überlagerungen allenthalben. Sogar ein paralleles homosexuelles Begehrungsverhältnis wird am Beispiel Stefan Georges vorgeführt. Diese Liste ließe sich seitenlang fortführen. Aber wozu? Kann es wirklich sein, dass sich Pleschinksi hier in einem l´art pour l´art für Literaturkreuzworträstsellöser verloren hat? Das kann ich mir nicht vorstellen.

Was die eigentliche Handlung betrifft, so treten nacheinander die zickige Erika Mann, der verbitterte Golo Mann, die versteinerte Ehefrau Katja auf, dazu der ehemalige Vertraute Ernst Bertram, allesamt umgeben von einem imaginären Chor der Erinnerungen und Reflexionen, die  ein Epochenpanorama intendieren, obwohl ihnen die eigene Gestelztheit im Wege steht. t.

Auf der anderen Seite sind die Dialoge zum Abgewöhnen. Mit Ausnahme des 13. Kapitels („Besuch von der Trave“), das den Kauf des ganzen Buches lohnt  und in dem Pleschinksi zeigt, wozu er in der Lage ist, kommt die Gesprächsprosa in den anderen Kapiteln extrem gespreizt daher. Was Erika Mann oder der arme Golo Mann dem Klaus Heuser beim ersten Zusammentreffen vortragen, ist derart unwahrscheinlich und gekünstelt, das man fast eine unterschwellig präsentierte Karikatur des Thomas Mann´schen Stils mutmaßen möchte. In dieser Hypothese wurde ich übrigens durch den Ausruf Hoteldirektor Mercks auf Seite 324 bestärkt, der den unerträglich und wirklichkeitsenthoben thomasmannradebrechernden Liftboy Armand auffordert:“Und lernen Sie anständiges Deutsch. Dass der Mensch sie verstehe, der schlichte.“ Aber kann das sein? Will uns Hans Pleschinski den großen Thomas Mann als artifizielle Labertasche vorführen? Kaum zu glauben.

So blieben viele, eigentlich die meisten Fragen offen. Nicht zuletzt die, was  ich von diesem Buch mitgenommen habe. Jenseits der o.a. Kritik bietet „Königsallee“ immerhin ein verdichtetes Portrait der Fünfziger Jahre, eine Darstellung des schwierigen Verhältnisses Thomas Manns zu Deutschland, zu seinen Dichterkollegen Ernst Jünger, Stefan George und Gerhard Hauptmann , einen Einblick in die komplizierten Familienverhältnisse der Manns und eigentlich nur beiläufig eine Beleuchtung der ungelebten Liebe von Thomas Mann zu Klaus Heuser. Denn deren Wiedersehen spielt sich am Ende des Buches so denkbar unspektakulär ab, dass man die ganze Vorgeschichte kaum noch verstehen kann.

Und last not least bietet das Buch eine Antwort auf die Frage, was Thomas Mann heute noch bedeutet, denn „Bücher und das fortdauernde Gespräch über sie sind das Protokoll unseres Wesens“(S. 359). Diese Antwort gibt der Autor im 13. Kapitel in Gestalt eines meisterhaft komponierten Interviews, in dem eine Zwergin den Giganten befragt und ihm standhält.

Alles in allem eine durch und durch „unrundes“ Buch, das so viele Fragen hervorruft, das man darin fast wieder einen Vorzug erblicken kann. Wenn man das will.

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